Wie aus Maarwasser einmal Meerwasser wurde!

Uli Diederichs, Daun

In den 1960er Jahren hatte das 'Wirtschaftswunder' auch die Eifel erreicht. Das Auto ersetzte mehr und mehr das Motorrad, und neben den Radios stand eine zunehmende Anzahl an Fernsehgeräten. Am Ende des Jahrzehnts besaß fast jeder Haushalt seinen 'Schwarz-weiß-Apparat'. Wenige Begüterte konnten sich sogar schon einen „Bunten" leisten, der damals ca. 2.200 DM kostete (was bei Berücksichtigung der Inflation einer heutigen Kaufkraft von 3.800 € entspricht). Nicht nur mein Jahrgang (1956/57) nutzte jede Gelegenheit aus, um in die Röhre zu schauen. Es gab tolle Serien für uns Kinder: Rin-Tin-Tin, Fury, Lassie, um nur einige zu nennen. Und Flipper! Jeder kannte die Filmmelodie und konnte den Text mitsingen: "Man ruft nur Flipper, Flipper, gleich wird er kommen. Jeder kennt ihn, den klugen Delfin". Eines schönen Tages - es war in den Osterfe-rien - ging helle Aufregung durch unsere Reihen. Was war los? Die regionale Tageszeitung hatte ganz aktuell berichtet, dass Flipper bei seiner Europatournee kurze Zwischenstation in Daun machen würde. Nachmittags im Ge-mündener Maar! Die Meldung schlug ein wie eine Bombe, hatte laut Zeitung jedoch einen entscheidenden Haken: Flipper brauchte unbedingt Salzwasser. Aber das Gemündener Maar war - natürlich - gefüllt mit Süßwasser. Die Zeitungsschreiber hatten aber direkt den passenden Verbesserungsvorschlag parat. Möglichst viele Leute sollten sich bei Krementz oder im Kaiser's Kaffeegeschäft Hamacher, bei Feinkost Griesbach oder bei 'Zeppjess' (Römisch Marie) ein Päckchen bestes Meersalz kaufen. Bloß nichts anderes - kein Viehsalz und schon gar kein Streusalz. Spätestens um die Mittagszeit musste dieses Meersalz dann ins Maar geschüttet und gut verteilt werden. Deshalb sollte jeder etwas geeignetes zum Rühren mitbringen.

Alle meine Freunde und ich erleichterten daheim unsere Sparbüchsen um ein paar Groschen für das Päckchen Meersalz; am besten für zwei, denn Flipper sollte sich ja wie zuhause im Meer von Florida fühlen. Als wir das Salz gekauft hatten, ging die Suche nach dem passenden Rührgerät um. Mir fiel ein, dass meine Tante eine riesengroße geschnitzte Gabel mit einem genau so großen Löffel als Dekoration im Wohnzimmer an der Wand hängen hatte. Nach einigem Bitten und Betteln überließ sie mir die Sachen, nicht ohne mahnende Worte: "Breng se joa wär mott heem. Unn mach se bluß net kabott"! Ich versprach es schnell und war weg.

Wir alle verschlangen unser Mittagessen, und das auch nur halb. Wie vereinbart trafen wir uns am alten Krankenhaus, um von dort auf unseren Fahrrädern ans Maar zu fahren. Als ich hin kam, warteten sie schon auf mich: Starks Martin, Hilgersens Dieter, Hahns Franz und Butschi Eppi, unser amerikanischer Spielgefährte. Meine Freunde wurden blass vor Neid, als sie meine gigantischen Rührgeräte erblickten. Hatten sie doch selbst nur Mutters Schneebesen oder einen Suppenlöffel dabei. Sofort radelten wir los, um ja nicht zu spät zu kommen. Ich musste ziemlich breitbeinig trampeln, weil Löffel und Gabel vom Gepäckträger noch ein gutes Stück unter dem Fahrradsattel durch nach vorne reichten. Das war mir die Sache aber wert. Abgehetzt und aufgeregt am Maar angekommen, konnten wir schon eine große Schar anderer ausmachen. Hauptsächlich Jugendliche, so wie wir. Die Fahrräder wurden unsanft abgestellt, Meersalz und Rührwerk geschnappt und schnell auf die Bootsstege gelaufen, die damals noch senkrecht ins Maar hinein ragten. Ein besonders eifriger überwandt sogar den Zaun der Badeanstalt, um auf den Sprungturm zu klettern und von dort oben sein Meersalz breitflächig ins Wasser zu rieseln. Voller Ehrgeiz rührten wir los; jeder wollte den anderen bei seinem Einsatz für Flipper übertreffen. Als wir fast fertig waren, hörten wir deutlich ein lauter werdendes Motorgeräusch näher kommen. Die Spannung stieg zum Zerbersten an. Ein Lieferwagen fuhr auf den Parkplatz der Badeanstalt. Aber nicht die Fernsehfamilie von Flipper - Porter Ricks mit seinen Söhnen Sandy und Bud - stieg aus, sondern der Reporter von der Zeitung. Er ging mit breitem Grinsen auf uns zu, fotografierte dabei fleißig und sagte dann lauthals lachend: „April, April!" Tatsächlich - in unserem kindlichen Übereifer hatten wir das völlig vergessen. Es war wirklich der 1. April. Damals fuhren wir weit mehr beschämt als enttäuscht nach Hause. Alle lachten über uns - am meisten die Älteren. Von denen waren auch viele am Maar gewesen und dem Aprilscherz aufgesessen. Sie redeten sich allerdings geschickt damit raus, dass sie ja nur beobachten wollten, wer alles drauf reinfällt. Heute, mehr als vierzig Jahre später, schmunzeln wir selbst an jedem 1. April beim Gedanken an diese wunderschöne Erinnerung.