Weihnachten der Erinnerungen

Brigitta Westhäusler, Hillesheim

Denke ich an Familienfeste, so denke ich unweigerlich an Weihnachten. Nichts hat sich im Laufe der Jahre so sehr gewandelt wie dieses, und keines ist wichtiger, weil es immer noch zu den Höhepunkten eines Jahres zählt. Kaufhäuser und Supermärkte mögen vielleicht nur an Verkaufszahlen denken, wenn schon ab Ende August die ersten Nikoläuse im Angebot erscheinen und Vorboten eines positiven Jahresumsatzes abgeben. Wenn dann Anfang November die Weihnachtsbeleuchtungen installiert werden, wird jeder mehr oder weniger von einem gewissen Gefühl erfasst, bewusst oder unbewusst. Sicher, die einen lehnen den ganzen Kitsch ab, schimpfen auf die Kommerzialisierung, die zum Teil seltsame Blüten treibt, fliegen lieber in exotische Gefilde und möchten von Weihnachten nichts wissen. Das andere Extrem sind Menschen, die nicht genug bekommen von Lichterketten und blinkenden Objekten, die amerikanischen .Vorbildern' ziemlich nahe kommen und das ganze Haus mit Dekorationen vollstopfen. Ob man nun .Weihnachtsfan' ist oder nicht, man kommt nicht umhin, sich in einer gewandelten Gesellschaft mit dem Thema auseinanderzusetzen. Werden einem beim profanen Einkauf von Wurst und Gemüse die schönen alten Weihnachtslieder zu Ohrwürmern, ja, dann versetzt es mir einen Stich in der Herzgegend und unwillkürlich wandern meine Gedanken in die Vergangenheit, in die 50er Jahre, als ich Kind war. Das Weihnachtsfest bildete den Höhepunkt eines Jahres. Natürlich war der Sommer schön, beinahe nie enden wollend und voller Freiheit, aber nichts kam der Weihnachtszeit gleich. Der Advent, die Zeit des Hoffens und Bangens und voller Erwartung. Die einzige Dekoration war der Adventskranz, klassisch mit roten Bändern und Schleifen. Und da sind die Abende im Kerzenschein, ohne Fernseher, wo man um den Küchentisch versammelt war, sich erzählte, etwas bastelte und Mutter strickte. Das Wohnzimmer, meist die gute Stube, die nur wenige Male im Jahr überhaupt benutzt wurde, war verschlossen. Zugang gesperrt und das Schlüsselloch verhängt, was uns Kinder nicht davon abhielt, doch immer wieder zu versuchen, einen Blick zu wagen. Mit einer Stricknadel glaubte man, das Tuch etwas beiseite schieben zu können, aber die Eltern wussten schon, was sie taten. Dann gab es geheimnisvolle Geräusche, die genau analysiert wurden, und man stellte sich wunders vor, was da vor sich ging. Der Glaube an das Christkind war noch stark, und selbst mit sieben oder acht Jahren war es nicht ungewöhnlich, sich die Existenz dieses überirdischen Geschöpfes vorzustellen. Zur Adventszeit gehörte natürlich auch das Backen, aber selbst das geschah meist, wenn wir Kleinen im Bett lagen. Wie bewundere ich heutzutage meine Mutter! Die halben Nächte musste sie aufgeblieben sein, um all die Wunderwerke herzustellen und in diesen Mengen! Da gab es nur den alten Herd, der mit Holz und Kohlen geheizt wurde, kein Thermostat, keine Zeitschaltuhr, keine Umluft. Trotzdem sind ihr all die traditionellen Plätzchen und die Christstollen gelungen. Wenn wir morgens aufstanden, lag nur der wunderbare Duft in der Luft und die Vorfreude wuchs. Endlich war es dann soweit, der 24. Dezember war gekommen. Der Nachmittag war länger als alle Nachmittage des Jahres, so empfand man es zumindest. Die Zeit des Wartens auf das Christkind war eine endlose Qual. Jeder von uns fünf Kindern musste etwas aufsagen oder vorlesen. Vor Aufregung glühte man im Gesicht, die Hände waren meist kalt. Gegenseitig sprach man sich Mut zu. Da, endlich ertönte das Glöckchen. Das Christkind war gekommen! Wie die Orgelpfeifen, der Jüngste zuerst, die Älteste am Schluss marschierten wir im Gänsemarsch in das Wohnzimmer. Überwältigt war ich vom Anblick! Da stand der Weihnachtsbaum und drehte sich langsam in dem alten, ziselierten Ständer zu der Melodie „Süßer die Glocken nie klingen". Die brennenden Kerzen spiegelten sich in dem Silberschmuck und in dem Lametta, zu jener Zeit .Pflichtschmuck' an jedem Baum, und ich war wie verzaubert.

Diese Pracht machte mich stumm, und meine Geschwister und ich wurden andächtig wie in der Kirche. Nachdem die Spieluhr ihre Melodie einmal produziert hatte, hielt Vater den Mechanismus an und Mutter setzte sich ans Klavier. Der Reihe nach sangen wir alle Strophen der traditionellen Weihnachtslieder, und Mutter konnte immer mit Vor- und Zwischenspiel die Überleitungen wunderbar herstellen. Abwechselnd kamen dann auch die Wortvorträge, und wie stolz war man, wenn man das Gedicht fehlerfrei aufgesagt hatte. Den feierlichen Abschluss bildete immer „Stille Nacht". Spätestens dann liefen die ersten Tränen. Man war emotional so aufgeladen und spürte für kurze Zeit die Erhabenheit des Moments. Man glaubte, etwas Überirdisches zu erleben. Dann endlich wurde das große Licht eingeschaltet und feierlich hoben Mutter und Vater das Betttuch vom Gabentisch, unter dem sich eine merkwürdige Landschaft ausgebreitet zu haben schien. Schon während des Singens riskierte man ab und zu einen Blick und überlegte, welcher „Berg" wohl die eigenen Geschenke verbarg. Bald hörte man das Geraschel von Papier und ein freudiges oder überraschtes „Oh oder Ah". Ich kann mich nicht erinnern, jemals enttäuscht worden zu sein. Es gab nicht viel, eine Puppe oder ein Buch und etwas zum Anziehen, aber ich war immer zufrieden, weil das Geschenk fast immer unerwartet war. Mit am schönsten von allem war „der Teller", ein Pappmodell in Sternenform mit wunderschön kitschigen Motiven. Darauf lagen all die köstlichen Plätzchen, eine Tafel Schokolade, eine Orange, ein paar Nüsse. Man bekam das Jahr über kaum Süßigkeiten, so dass diese Gaben eine Herrlichkeit für sich waren. Und wie dankbar war man! Voller Sehnsucht denke ich an diese Zeit zurück. Man kann das nicht mit heute vergleichen. Überlegt man sich, welchen Stellenwert alleine heute ein Wohnzimmer einnimmt! Aber die Kinder tun mir manchmal leid, weil sie um eine geheimnisvolle Zeit und wertvolle Erfahrungen betrogen werden. Das ganze Jahr über gibt es alles. Die Geschenke werden schon vorher ausgewählt und sind keine Überraschung mehr. Und trotz allen Konsums und Überflusses fehlt es vielen an Zufriedenheit und Dankbarkeit. Schade.