„... ist nur lang geworden 80 Fuß"

Die St. Anna-Kirche in Gerolstein wird 200 Jahre alt

Karl-Heinz Böffgen, Gerolstein

Die katholische St. Anna-Kirche in Gerolstein wird 2013 zweihundert Jahre alt. Die allermeisten Gotteshäuser im Land sind wesentlich älter als die Gerolsteiner Pfarrkirche. Fast jede Dorfkirche oder Kapelle hat innen wie außen mehr zu bieten und ist baustilistisch und zeitlich einzuordnen. Nicht so St. Anna, die schon mit ihrer örtlichen „Konkurrentin", der genau hundert Jahre jüngeren evangelischen Erlöserkirche, nicht mithalten kann. In Sarresdorf, auf historischem Gelände, steht das „finale Gesamtkunstwerk des Historismus", dagegen im Stadtkern, eingeengt durch Burgstraße und Hang, befindet sich die bescheidene katholische Kirche; eher uninteressant für Kunstinteressenten, doch wichtig für die Gerolsteiner. Die Erlöserkirche wurde am 15.10.1913 in Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II. eingeweiht. Zur Konsekration von St. Anna trug der damalige Pfarrer von Sarresdorf (!) in das Kirchenbuch ein: „Am 12. September 1813, dem Fest der Geburt der hl. Gottesgebärerin, wurde von mir nach vorher erlangter Erlaubnis des Hochwürdigen Ordinarius von Trier das erste heilige Messopfer mit aller nur möglichen Feierlichkeit in der neu erbauten Kirche in Gerolstein dargebracht."

St. Anna ist kein Höhepunkt der Kirchenbaukunst, doch war (und ist) die Kirche für Generationen geistiger Mittelpunkt der Kirchengemeinde, Treffpunkt für liturgische Versammlungen (z. B. Eucharistiefeier) und für die wechselnden Gelegenheiten des Lebens sowie für Konzerte. Vor allem aber kann die Kirche, trotz ihres relativ geringen Alters, auf eine ganz besondere Entstehungsgeschichte zurückblicken. Vor etwa tausend Jahren, als es Burg und Siedlung Gerhardstein (Gerolstein) noch nicht gab, war Sarresdorf bereits Pfarrort mit Kirche. Noch 1813 bezeichnete sich Franz Georg Mayer als „Pastor von Sarresdorf'. Die Kirche dort wurde 1812, der Chor 1832 abgetragen. Sie war schätzungsweise 22 Meter lang, elf Meter breit, einschiffig mit zwei Nebenaltären und bereits im 14. Jahrhundert als „Unsere Liebe Frau zu Sarresdorf" bezeichnet. Nach Schug/Schuler (1956) dürfte das Patronat wohl noch älter sein. Im Jahr 1811 lebten in Gerolstein etwa 530 Menschen. Es war noch nicht lange her, dass das mittelalterliche System zusammengebrochen, die letzte Gräfin Augusta geflüchtet und das Land dem, zunächst sehr kirchenfeindlichen Staat Frankreich eingegliedert wurde. Trotz dieser auch wirtschaftlich schweren Zeit begannen die Gerolsteiner mit dem Bau ihrer Kirche, die „... zehn Fuß länger und sechs Fuß breiter als die Sarresdorfer Pfarrkirche ..." (Schug/Schuler) werden sollte. Ein preußisch-rheinländischer Fuß maß 0,314 Meter. Seit einigen Jahrhunderten war Sarresdorf zur „Wüstung" geworden, es lebten dort zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur noch eine Handvoll Menschen, etwa ein Kilometer von der Stadt entfernt.

Die neue Kirche erhielt (zunächst) ein gerades, geschlossenes Schiff mit vier (Fenster-) Achsen, heute noch an den neuromanischen Rundbögen an den Fenstern erkennbar, dazu den Turm an der Ostseite. Offenbar war es um die finanzielle Ausstattung schlecht bestellt, denn die Kirche, die 120 Fuß (ca. 38 Meter) lang werden sollte, „ist aber nur lang geworden 80", wie ein aufgefundener Notizzettel vermerkt.

1889 wurde St. Anna durch den westlich gelegenen Choranbau und das Seitenschiff erweitert (s. Lageplan-Skizze). Von außen sind diese Erweiterungen gut nachvollziehbar durch die neugotischen, so genannten gedrückten Spitzbögen über den Fenstern und den anderen Öffnungen im Inneren sowie durch die Bogen-friese unter den Dachtraufen des Hauptgebäudes (Chor und über Seitenschiff-Anbau). 1936 erhöhte man den Turm um ca. fünf Meter, 1937 wurden vier neue Glocken installiert. Die in den Jahren 1944/45 entstandenen größeren Kriegsschäden waren schnell behoben worden, 1948 erfolgte der Anbau einer neuen Taufkapelle am Nebeneingang. In diesem Jahr hatte man den gotischen Hauptaltar bereits Zweiten Vatikanischen Konzils: Altar zum Volk gerichtet, Ambo statt Kanzel, Sakramentsaltar im Seitenschiff.

Foto: Lange, 1940

Die im September 1981 fertig gestellten Änderungen und Ausbauarbeiten griffen sehr stark in die überlieferte Gestaltung und Ausstattung des Innenraumes ein, sie fanden nicht jedermanns Zustimmung. Was vor über dreißig Jahren womöglich aus einem gewissen Reform- und Renovierungseifer heraus umgesetzt wurde, ist heute eher als fragwürdig einzuordnen; zumindest aus der Sicht des Verfassers: In der einfachen „Hallenkirche" wurde eine dreiseitige Anordnung der Gemeinde um den Altar „implantiert", die Empore mit Orgel entfernt, die neue Orgel und die Sänger im ehemaligen Chor aufgestellt, ein neuer Boden verlegt, ein neuer Altar, die alte Kanzel, alter/ neuer Sakramentsaltar installiert und eine neue, großformatig gefaltete Holzdecke eingebaut, statt der ehemals klaren, bescheidenen, seitlich einst abgerundeten und sonst geraden Decke.

In den 1960/70er Jahren plante man den Neubau einer größeren, „modernen" Pfarrkirche in Sarresdorf. Das Grundstück gegenüber der evangelischen Erlöserkirche hatte die katholische Kirchengemeinde bereits erworben. Damals galt auch die Prämisse, dass kein Kirchenmitglied länger als fünfzehn Minuten zum Gottesdienst zu gehen haben sollte. Diese Überlegungen bzw. Planungen wurden allerdings bald zu den Akten gelegt.