Die Kasselburg, ein spätmittelalterlicher Burgenbau

Dr. Michael Losse

Vorbemerkung

Im heutigen Landkreis Vulkaneifel konnte ich im Rahmen meiner bisherigen Inventarisierung fast 100 Burgen, Schlösser, Ortsbefestigungen und Adelssitze sowie ur- und frühgeschichtliche Befestigungen nachweisen. Unter den dabei erfassten mittelalterlichen Burgen gibt es eine auffällig große Zahl spätmittelalterlicher bzw. im Spätmittelalter aufwendig ausgebauter Burgen, die weit über die Region hinaus von architekturgeschichtlichem und burgenkundlichem Interesse sind.

Die Kasselburg

Ca. 750 m nordwestlich von (Gerolstein-)Pelm ragt auf einem Basaltfelsen steil über dem Kylltal die weithin sichtbare Kasselburg auf. In der europäischen Burgenforschung bisher kaum bekannt, gehört sie zu den eindrucksvollsten und architektonisch, kunstgeschichtlich sowie burgenkundlich bedeutendsten Burgen der Eifel und des Rheinlandes - letztlich sogar Deutschlands.

Geschichte und Baugeschichte

Wegen des Burgnamens schlossen Heimatforscher verschiedentlich auf einen römischen Vorgängerbau der Kasselburg. Ein römisches Kastell lässt sich jedoch als Vorgängerbau der Kasselburg nicht nachweisen. Über Gründungszeit und Ersterwähnung der Kasselburg gibt es verschiedene Meinungen bzw. Ungewissheit. So soll schon 1115 die Ersterwähnung erfolgt sein. Die Burg könnte im 12. Jh. - vermutlich von den 1181-1225 bezeugten Herren v. Castel (Castell) - gegründet worden sein. Eine Mathilde v. Castell war die erste Gattin Friedrichs v. Blankenheim. 1291 erscheint die Burg urkundlich unter dem Namen Castilburg - vielleicht abgeleitet vom lateinischen castellum: Burg (dann wäre es eine Tautologie) - und 1314 als Castelberch. Zwischen 1240 und 1330 findet sich die Nennung Kastelberch. Als mit der Burg verbundener Personenname ist für 1280 Reiner Schurl v. Castelberch bezeugt. Bis zum 15. Jh. finden sich: Kastilberg castrum (1291), Burglehen zu Castilburch (1291), Burg Kastilberg (1291), apud Casteleberg castrum (1299), dem juncherren von Castilberg (1373/74), zu Ka-stelberch inde zu Gerartzsteyn [zu Kasselburg und zu Gerhardstein1] (1387), sloß zu Kastel-burgh (1483) und Castelberg (1493). Als wahrscheinliche Erstnennung der Kasselburg gilt eine Urkunde von 1291, mit der Gerhard v. Blankenheim einen Rententausch im Dorf Essingen bei der Kasselburg (villa Essingen prope Kastilberg castrum) regeln wollte. Wohl seit jener Nennung bis 1406 waren die Herren v. Blankenheim(-Kasselburg) bzw. v. Blankenheim-Gerolstein Besitzer der Kasselburg. Über vorherige Besitzer und den Bauherrn kann derzeit nur spekuliert werden. Friedrich v. Blankenheim war nach einer 1314 auf Castelberch ausgestellten Urkunde Lehnsmann Königs Johanns von Böhmen und zugleich des Hauses Luxemburg sowie des Trierer Erzbischofs Balduin. Die Edelfreien v. Blankenheim wurden 1380 vom König in den Reichsgrafenstand erhoben. Mit Graf Gerhard VII. starb 1406 die ältere Linie v. Blankenheim aus. Es wurde vermutet, als Burgmannen der v. Blankenheim hätten die Herren v. Castel-berg/Castilberg den Namen der Burg angenommen.

Im Rahmen eines Erbvergleiches gelangte die Kasselburg 1335 an Gerhard V. v. Blankenheim, der 1337 ein Bündnis mit Erzbischof Balduin schloss. Gerhards Sohn, der auch Gerhard hieß, war 1354 Herr zu Kasselburg. Zusammen mit seinem Bruder Johann war er in den 1370er/-80er Jahren Mitbesitzer der Burg; in Akten der Stadt Köln fand er 1385, 1392 und 1402 als Herr zu Kastelberg und Gerhardstein Erwähnung. Gerhard V. und Gerhard VI. v. Blankenheim gelten als Bauherren „des mächtigen Doppelturmes und des Palas mit Kapelle", doch sind beide Bauten Produkte mehrerer Bauphasen (s. unten). Gerhards VI. Sohn, Graf Gerhard VII., starb 1406; danach verwaltete dessen Bruder Friedrich, der Bischof von Utrecht, die Burg. Wilhelm I. v. Loen zu Heinsberg kam durch die Heirat mit Elisabeth, einer Tochter Gerhards VII. v. Blankenheim, in den Besitz der Grafschaft. Nach bisheriger Meinung verpfändete er 1426 die Burgen Neublankenheim und Kasselburg an Eberhard von der Marck-Arenberg, der seinerseits die Pfandschaft 1440 Clais v. Nattenheim hinterließ. Hier gibt es bis heute viele Unklarheiten: So erhielt 1440 Johann Hurt v. Schönecken - nicht Clais v. Nattenheim - zumindest die Kasselburg für 2.200 Gulden Pfandsumme vom Trierer Erzbischof. Entweder überließ zuvor Wilhelm I. v. Loen zu Heinsberg die Burg dem Erzbischof als Pfand oder Eberhard von der Marck-Arenberg hatte sie nach 1426 dem Erzbischof überlassen. Infolge einer Fehde des Johann Hurt v. Schönecken mit dem Trierer Erzbischof - dieser zog mit seinen Truppen und denen des Grafen Ruprecht v. Virneburg vor Hillesheim und die Kasselburg - fiel die Burg 1452 ans Erzstift Trier, das sie bis 1514 besaß und an verschiedene kurtrierische Amtmänner vergab. 1541 kam es zum Manderscheidschen Vergleich zwischen Erzbischof Richard v. Greif-fenclau und Graf Dietrich v. Manderscheid, der die Ablösung von Burg und Herrschaft Kasselburg und deren Übergang an Schleiden regelte. Graf Dietrich v. ManderscheidBlankenheim einigte sich mit dem Pfandherrn Eberhard von der Marck und zahlte dem Erzbischof 2.000 fl. Ablösung. Er musste sich zudem verpflichten, innerhalb eines Jahres „das Schloß zu demolieren und wehrlos zu machen", was offenbar so nicht ausgeführt wurde.

1426-52, und erneut ab 1611 war die Kasselburg im Besitz der von der Marck. Nachdem sich Hans-Gerhard v. Manderscheid-Blankenheim noch 1593 als Landesherr in der Kasselburg hatte huldigen lassen, bemächtigte sich 1611 Philipp von der Marck-Lumain der Burgen und Herrschaften Kasselburg, Kerpen und Neublankenheim. Wegen ungeklärter Erbstreitigkeiten ließ 1674 der Bischof von Münster/Westfalen als Bevollmächtigter die Kasselburg besetzen. Infolge eines Urteils des Reichskammergerichtes gelangte sie 1674 an die Herzöge v. Arenberg, die sie später als Kaserne der herzoglichen Artillerie nutzten. Im 18. Jh. war die Kasselburg dann Sitz eines arenbergischen Försters, doch 1744 wurde sie als in modo verfallen erwähnt. Immerhin zeigt die Tranchot-Karte (NA Blatt 155 Dockweiler) noch zahlreiche Einzelheiten der Burg. Nach der Beschlagnahme durch französische Truppen 1794 kam die Kasselburg schließlich 1815 in preußischen Besitz. 1838 besuchte König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen sie und schlug eine Instandsetzung vor. In den 1860er/-70er Jahren entstand Eisenbahnlinie Köln-Trier, die unterhalb der Burg vorbeiführt. In diesem Zusammenhang investierte die Rheinische Eisenbahngesellschaft 1.000 Taler in eine Teilsanierung der Burg, um „den Reisenden etwas zu bieten". Zu jener Zeit erfolgte auch die Erschließung des hohen Wohn- bzw. ehemaligen Torturmes, des sog. „Doppelturmes", der eine neue Aussichtsplattform über preußischen Kappen erhielt. 1902 und 1913 - die Burg war damals Teil einer Staatsdomäne - ließ die staatliche Denkmalpflege Restaurierungen vornehmen; die Arbeiten 1913 leitete der Architekt Gustav Krause. Nachdem die Kasselburg 1946 an das Bundesland Rheinland-Pfalz gekommen war, ließ die staatliche Schlösserverwaltung 1976/77 u.a. den Palas sanieren, dem Kapellenturm wieder ein Dach aufsetzen und 198486 Mauersanierungen an der Hauptburg und am „Doppelturm" vornehmen. Schon 1971 hatte die Kreisverwaltung in der Burg und in deren Umfeld ein Adler- und Wolfsgehege eingerichtet. Die Burg dient seither als Greifvogelgehege und ist nur eingeschränkt zu besichtigen. Seit 1988 untersteht die Burg der Organisation Burgen, Schlösser, Altertümer Rheinland-Pfalz (BSA), der Nachfolgeorganisation der staatlichen Burgen- und Schlösserverwaltung Rheinland-Pfalz.

Beschreibung

Durch die umfänglichen Ausbauten der Kasselburg im 14. und frühen 15. Jh. Jh. wurde diese - wie eingangs erwähnt - zu einer der bedeutendsten Burgen jener Zeit in der Eifel und im Rheinland. Burgenkundlich ist sie durchaus auch ein im deutschen und mitteleuropäischen Rahmen sehr wichtiger Bau.

Da nach 1500 offenbar keine größeren (Neu-) Baumaßnahmen mehr auf der Kasselburg stattfanden und die 1514 vertraglich vereinbarte Niederlegung der Wehranlagen weitgehend unterblieben war, zeigt die Burg trotz aller seitdem erfolgten baulichen Verluste und des ruinösen Charakters bis heute anschaulich das Erscheinungsbild einer spätgotischen rheinischen Landesburg. Allgemein gelten die Grafen Gerhard V. und Gerhard VI. v. Blankenheim (2. und 3. Drittel des 14. Jh.) und das Erzstift Trier (2. Hälfte des 15. Jh.) als Schöpfer dieser großartigen Burg, die in dieser Form also ein Produkt mehrerer Bauphasen ist.

Struktur:

Die verzogen viereckige, ungefähr 30 x 40 m große Hauptburg umgibt dreiseitig - auf der West-, Nord- und Ostseite - die weitläufige, polygonale, fast ovale Vorburg (ca. 70 x 90 m), die ursprünglich kleiner war. Mit ihren Burgmannenhäusern und Wirtschaftsbauten entstand die Vorburg in dieser Form und Größe während der Zeit der kurtrierischen Herrschaft. Einem Teil der Nordseite ist ein Zwinger vorgelegt. An der West- und Nordseite der Burg sind Teilstücke der vorgelegten Wall-Graben-Befestigung erhalten. Die Kasselburg ist eine Höhenburg des Typs Gipfelburg, die wegen ihres Standorts auf einer Spornkuppe am Rande einer Hochfläche auch Elemente einer Spornburg aufweist. Insofern ist ihr Wall-Graben-System - das äußere Verteidigungselement - als „halber Ringgraben" aufgeführt. handelt, bleibt vorerst ungeklärt. Das gesamte infrastrukturelle Umfeld der Burg wurde noch nicht erforscht.

Die Burg besteht größtenteils aus Bruchsteinmauerwerk; an den Gebäudeecken finden sich oft Eckquader - auch Buckelquader - aus Sandstein. Eine Analyse oder gar eine Bau-befundung gestaltet sich wegen der Nutzung der Burg als „Adler- und Wolfspark" äußerst schwierig; so grenzt das Wolfsgehege an die nördliche Feldseite der Vorburg, und vor die Innenseiten der Burgmauern sind große Käfige für Greifvögel gesetzt worden. Ob es sich bei den im Wald zwischen Parkplatz und Kassenbereich sichtbaren, von einem Fahrweg tangierten Mauerfundamenten auf einem kleinen Hügel vielleicht um Reste eines Vorwerks

Vorburgen:

Der Zugang zur Burg erfolgt heute von Südwesten: Der Vorburg vorgelagert sind deutlich erkennbare Reste der Wall-Graben-Befestigung. Man betritt die Vorburg durch einen Torturm, der durch die Aufhöhung eines dem in der Nordwestecke der Ringmauer eingesetzten, niedrigen rundbogigen sekundären angesetzten Vortores entstand. Dessen vermauerte Zinnen lassen sich noch recht gut in der feldseitigen Fassade des Turmes erkennen. In Höhe der ehemaligen Zinnen findet sich eine auf den Zugang ausgerichtete Schießscharte des Typs Schlitzscharte. Hinter dem Torturm blieb das ehemalige Außentor - ein Schalentor - erhalten. Das beschriebene Tor erschließt einen durch eine Mauer im Nordosten vom größeren Teil der Vorburg abgetrennten Vorhof, den östlich die Hauptburg begrenzt und mit dem „Doppelturm" und dem Kapellenturm überragt. Südöstlich neben dem Schalentor blieben Reste eines an die Ringmauer angefügten zweigeschossigen Gebäudes erhalten. Das Bindeglied zwischen der äußeren Vorburg (Vorhof) und der größeren, inneren Vorburg bildet der aus einem Doppelturmtor hervorgegangene „Doppelturm" (dessen Beschreibung s. unten). Der Zugang zur inneren Vorburg erfolgt durch ein nordwestlich an den „Doppelturm" angefügtes einfaches Mauertor. In der Verlängerung des Mauerzuges, in dem sich dieses Tor öffnet, setzt ein hier der Vorburgmauer über eine Strecke von gut 40 m vorgelegter schmaler Zwinger an. Hinter der Wehrmauer der inneren Vorburg - überwiegend an diese angebaut - stehen bzw. standen mehrere Bauten. Es waren dies

Burgmannenhäuser und Wirtschaftsgebäude, die vermutlich während der kurtrierischen Herrschaftszeit 1452/1514 in der damals erweiterten Vorburg entstanden. Ein fast quadratischer Turm springt, durch einen Zwischenbau mit dieser verbunden, nördlich vor die Ringmauer aus.

Auf der Ringmauer der Vorburg erheben sich, wie auch auf jener der Hauptburg, hohe, schmale zweigeschossige Scharwachttürmchen, an denen sich Krampen für Klappläden finden. Sie kragen über teils aufwendig ausgearbeiteten doppelten gotischen Konsolenreihen aus.

Der sog. „Doppelturm" bindet nur mit seiner Südostecke in die Hauptburg ein. Anscheinend diente er ursprünglich als Haupttor der damals wohl noch kleineren Burg. Im letzten Ausbauzustand war er einer der imposantesten gotischen Wohntürme in Mitteleuropa. Seine repräsentativste Seite ist die zur Vorhofseite - d.h. zur ehemaligen Feldseite im Westen.

Einschließlich der später als Durchgang aufgegebenen Torhalle umfasst das 37 m hohe Bauwerk acht Geschosse. Typologisch gehört der Turm zu den im Rheinland, insbesondere im Mittelrheingebiet und in der Eifel, im 13./14. Jh. häufigen Doppelturmtoren. Wie u.a. die vergleichbaren Tortürme der Burg Welschbillig (TR) und der Bertradaburg (Mürlenbach, DAU) diente er - zumindest in seiner letzten Ausbauphase - als Wohnturm. Der „Doppelturm" der Kasselburg ist das Produkt mehrerer Bauphasen; er war sicher nicht ursprünglich so hoch geplant. Eine Baufuge legt nahe, dass die unteren drei Geschosse den Ursprungsbau darstellen, der im 2. Drittel des 14. Jh. entstanden sein könnte - wahrscheinlich unter Graf Gerhard V. v. Blankenheim nach der 1355 vorgenommenen Erbteilung. Magnus Backes (1993) nannte ihn einen „der kühnsten Wehrbauten überhaupt, die das Mittelalter schuf. In ihm sind Funktion und Bedeutung von Torbau, Wohnturm und Bergfried (Wehrturm und Herrschaftssymbol) architektonisch verschmolzen - Ausdruck der Selbstsicherheit, Machtfülle und auch Wirtschaftskraft dieses [...] Geschlechts". Tatsächlich gehörten Doppelturmtore zu den eindrucksvollen Bauelementen hochrangiger spätmittelalterlicher Burgen und Stadtbefestigungen. Das Doppelturmtor ist ein feldseitig von zwei Türmen flankiertes Tor. In seiner schlichtesten Form ist es ein turmflankiertes Mauertor, d.h. eine Zweiturmgruppe. Die aufwendigste Form bildet eine Dreiturmgruppe, die aus dem eigentlichen, im Grundriss rechteckigen oder quadratischen Torturm oder -bau und zwei diesen flankierenden, meist gerundeten Türmen zusammensetzt. Die flankierenden Türme waren in manchen Fällen als nach hinten offene Schalentürme ausgebildet, wie z.B. an den Stadtbefestigungen von Köln und von Ahrweiler. Die dreiteilige Form des Doppelturmtores kam als Burg-, öfter noch als Stadttor, ab dem 13. Jh. häufiger, insbesondere im Rheinland vor.

Das aufwendige Doppelturmtor war ein repräsentatives herrschaftliches Element. Als solches steht es auf Siegeln, Münzen und in Buchmalereien als Abbreviatur symbolisch für Städte und Burgen. Burgenkundlich und kunstgeschichtlich gleichermaßen bemerkenswert, wissenschaftlich aber nur wenig beachtet und erforscht sind jene Doppelturmtore, die Kombinationen aus Tor- und Wohntürmen darstellen - etwa die erwähnten Torbauten der Burgen Welschbillig und Mürlenbach - und die teils Produkte mehrerer Bauphasen sind, wie der „Doppelturm" der Kasselburg.

Das Erdgeschoss des Turmes der Kasselburg enthielt ursprünglich den Durchgang des Torweges zum Burghof; die feldseitige Portalrah-mung könnte dem 13. Jh. angehören. Seine Obergeschosse enthalten mit Sitznischen in den Fenstern und überwiegend mit Kaminen ausgestattete, mit Balkendecken versehene Wohnräume, die eine Wendeltreppe im nordwestlichen Turmkörper miteinander verbindet. Aus einem Rechteck ist der Grundriss entwickelt. Diesem Rechteck ist im rechten Drittel der Westfassade ein halbrunder, unten massiver (?) und im Nordwesten ein auf hufeisenförmig-gestelztem Grundriss ausspringender Turmkörper vorgesetzt, an den nordöstlich einst eine Wehrmauer anschloss. Vereinzelte Schießscharten - hohe Schlitzscharten für den Einsatz von Bögen (und Armbrüsten)2 - sind auf bestimmte Punkte im Vorfeld des Turmes ausgerichtet.

Die Fenster sind mit Blendmaßwerk in verschiedenen Ausformungen gerahmt. Sie werden dem Typus „Trierer Fenster" zugerechnet. Es scheint, der Turm wurde in einer zweiten Bauphase um zwei oder drei (?) Etagen aufgestockt, bevor dann die obersten Geschosse mit ihren Eckbuckelquadern hinzugefügt wurden. Vielfach spekuliert wurde über die Nutzung des Turmes. „Dies beginnt schon bei der Frage, ob der Turm tatsächlich den Zugang zur inneren Burg bildetet oder nur ein 'Renommiertor' war"; und „tatsächlich fällt auf, dass sich die Durchfahrt im Vergleich mit der gesamten Dimension des Turmes äußerst bescheiden ausnimmt. Die Torfunktion bildete wahrscheinlich nur einen Nebenaspekt". Dieser Feststellung von Christopher Herrmann (1995) ist zuzustimmen, doch geht er - wie die meisten Burgenforscher, die sich mit der Kasselburg befassten - offenbar davon aus, dass der Turm in einer einzigen Bauphase entstanden ist. Nach den Aufstockungen, und insbesondere nach der Aufgabe des Torweges, wirkt das ehemalige Portal in der Tat „äußerst bescheiden".

Dass der Turm funktional im letzten Bauzustand ein aufwendiger Wohnturm war, ist unbestritten. „Wer im Torturm wohnte, ist unbekannt. Mit Sicherheit handelte es sich nicht um die Familie des Burgherrn, denn für diesen war der gleichzeitig entstandene große Palas bestimmt. Eher dürften hier Teile der Besatzung oder Gäste Unterkunft gefunden haben." Dieser Einschätzung ist entgegenzuhalten, dass auch andere architektonisch aufwendige spätmittelalterliche Burgen - etwa die mehrfach erwähnte Bertradaburg - sowohl einen Wohn-(Tor-)Turm und einen Palas bzw. Saal-/Wohnbau nebeneinander besaßen. Im 3. Obergeschoss des Turmes der Kasselburg war vielleicht eine Küche untergebracht. Abschließend bleibt festzustellen, dass die Anfänge des Doppelturmtores/Wohnturmes der Kasselburg - mit Vorbehalt -, entgegen bisheriger Meinung, noch ins 13. Jh. reichen könnten. Christopher Herrmann meinte in seiner Untersuchung ,Wohntürme des späten Mittelalters auf Burgen im Rhein-MoselGebiet' (1995), nach „Ausweis der Einzelformen (besonders der Fensterbekrönungen)" könne man den Turm in die 2. Hälfte des 14. Jh. datieren, doch fand in jener Zeit meines Erachtens lediglich ein Um- und Ausbau des Turmes statt. Krampen für Schlagläden vor den Fenstern gibt es lediglich in den obersten Geschossen.

Voll und ganz ist Herrmanns Fazit zuzustimmen: „Der Torturm der Kasselburg gehört zu den beeindruckendsten Beispielen seiner Art im deutschen Burgenbau. Durch Höhe, reiche Bauzier und den Doppelturmtypus erscheint er dem Betrachter in einer sehr repräsentativen und imponierenden Gestalt und löste den alten Kasselbuger Bergfried als Statussymbol ab."

Hauptburg:

An der Ostseite der Hauptburg steht der im Kern wohl romanische, im Grundriss quadratische Bergfried3 mit Seitenlängen von 6,75 m. Seine Mauerstärke beträgt 1,80 m, auf der Hofseite jedoch nur 1,60 m. Magnus Backes vermutet, der Bergfried habe frei gestanden, doch spricht die zum Hof hin geringere Wandstärke eher dagegen. Im spätmittelalterlichen Ausbau stoßen sowohl das nordöstliche Teilstück der Hauptburg-Ringmauer als auch der dieser vorgelegte Torzwinger an den Bergfried. Der Torzwinger könnte, darauf lässt die gerundete Mauerführung seiner feldseitigen Ecke schließen, im 14. oder frühen 15. Jh. entstanden sein. In (spät-)gotischer Zeit wurde der Turm mindestens einmal aufgestockt und in Höhe des 3. Obergeschosses durch eine hölzerne Brücke mit dem Palas verbunden. Im 2. Obergeschoss weist der Bergfried Reste einer Abortanlage auf. Kamine in den oberen Etagen zeigen, dass auch dieser Turm im Spätmittelalter als Wohnturm genutzt wurde. Im Winkel zwischen Palas und Bergfried steht ein kleineres, ehemals offenbar als Wohnbau dienendes und später umgenutztes Gebäude, das als älterer Palas bezeichnet wurde. Südwestlich des Bergfrieds erstreckt sich der gotische Palas, der vielleicht älteres Mauerwerk enthält. Zusammen mit dem angefügten Kapellenturm hat er eine Länge von 32,50 m. Die gotischen Fensterformen, die jenen des „Doppelturmes" gleichen, verweisen auf einen (Aus-)Bau im 14./15. Jh. Von dem dreigeschossigen Bau sind nur die Außenmauern erhalten, diese jedoch mit wichtigen Details, darunter umfängliche Außenputzreste und Hocheingang mit Treppenabdruck im Putz. Bemerkenswert sind zudem Stockfenster mit Maßwerkblenden und im Inneren Reste bis zu 3,80 m breiter repräsentativer Kamine. Im Erdgeschoss lag ein 16,80 x 8,30 m großer Saal nebst anschließendem Wohnraum. Feld-seitige Fenster im Erdgeschoss wurden wegen der Gefahr des Eindringens von außen später stark verkleinert. Hölzerne Decken trennten die Geschosse voneinander. An den Palas westlich anstoßend steht der Kapellenturm, der die Südwestecke der Burg betont und zusammen mit „Doppelturm", Bergfried und Torturm die Silhouette der Burg prägt. Die Kapelle4 (8,50 x 4,50 m) befand sich im Erdgeschoss des im Grundriss hufeisenförmigen Turmes. Sie war ursprünglich mit zwei ungleich großen Kreuzgewölben überfangen. Die Turmräume enthalten Reste großer Kamine.

Literatur:
Magnus BACKES: Staatliche Burgen, Schlösser und Altertümer in Rheinland-Pfalz (Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz. Verwaltung der staatlichen Schlösser, Führungsheft 7), Mainz 1993
Anton von BEHR: Kasselburg (Kreis Daun). In: Mitteilungen des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Heimatschutz 3/4, 1910
Werner BORNHEIM GEN. SCHILLING: Rheinische Höhenburgen. 3 Bde. Neuss 1964;
Alfred DAHN: Die Kasselburg. Geschichte und heutige Verwendung. In: Jahrbuch des Kreises Daun 1976. Monschau 1977 (weitgehend nach KD Daun 1928);
Walter JANSSEN: Studien zur Wüstungsfrage im fränkischen Altsiedelland zwischen Rhein, Mosel und Eifelnordrand (Beihefte der Bonner Jahrbücher, Bd. 35, T. I und II) Bonn 1975 Christofer HERRMANN: Wohntürme des späten Mittelalters auf Burgen im Rhein-Mosel-Gebiet (Veröffentlichungen der Deutschen Burgenvereinigung. Reihe A: Forschungen, Bd. 2). Espelkamp 1995
Michael LOSSE: Theiss Burgenführer Hohe Eifel und Ahr. Stuttgart 2003
Michael LOSSE: Burgen und Schlösser, Adelssitze und Befestigungen in der Vulkaneifel (Kreis Vulkaneifel, ehemals Kreis Daun). Petersberg 2012
Otto PIPER: Burgenkunde. Bauwesen und Geschichte der Burgen (Nachdruck der verbesserten und erweiterten 3. Aufl. von 1912). Frankfurt und München 1967 Wilhelm SPRUTE: Die Kasselburg früher und heute. In: Eifelver-ein 1993 (Gerolstein)
Ernst WACKENRODER: Die Kunstdenkmäler des Kreises Daun (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz 12, III). Düsseldorf 1928 A. ZENGLER (Reg.-Baumeister): Die Kasselburg in der Eifel. In: Die Rheinlande, Mai 1902.

Anmerkungen:
1 Die Burg Gerhardstein ist identisch mit der Burg Gerolstein.
2 Bis ins frühe 15. Jh. waren Schießscharten in Deutschland zur Verteidigung für Bogen und Armbrust eingerichtet, erkennbar an der Schießschartenform als schmale, hohe Schlitzscharten (vgl. z.B. auch Mürlenbach, Bertradaburg). Mit dem 15. Jh. änderten sich die Formen der Schießscharten wegen der Nutzung von Feuerwaffen.
3 Bergfried wird der meist dominierende Hauptturm deutscher Burgen genannt. Anders als ein Wohnturm war er nicht zum permanenten Bewohnen eingerichtet. Erst in der Burgenkunde der 2. Hälfte des 19. Jh. setzte sich die Bezeichnung durch; in der mittelhochdeutschen Sprache (berchfrit, ber-vride) meinte der Begriff Angriffs- und Verteidigungstürme. Im Mittelalter hieß er meist nur Turm (lat.: turris). Die Kasselburg verfügte mit Bergfried und „Doppelturm" über gleich zwei imposante Machtsymbole.
4 Für 1291 ist ein Burgkaplan namens Bertholf bezeugt. 1374 stiftete Gerhard v. Blankenheim den Zehnten von Lissendorf und Pelm zur Bezahlung des Priesters auf der Burg. Der Altar war den hl. vier Marschällen des Heiligen-römischen Reiches (Deutscher Nation) geweiht, d.h. Johannes dem Täufer, Johannes dem Evangelisten, St. Georg und St. Antonius. 1485 erfolgte die Beseitigung des Altares us nothwendiger Ursachen; danach findet sich keine Erwähnung der Burgkapelle mehr.
Fotos von Dr. Michael Losse und Wolfgang Bogenberger