Der Duft der großen, weiten Welt

Ein Loblied auf Pommes - weiß/rot

Ernst Krämer, Gerolstein

Es war ein heißer schwüler Sommertag, um es genau zu sagen, ein Samstag und zwar der 31. Juli 1965, als in dem kleinen verschlafenen Provinzstädtchen Gerolstein ein neues Zeitalter begann. Doch was war das für ein Ereignis - was alles bis dahin gewesene - auf den Kopf stellte? Mir, als damals 13-jährigem Jungen, sind die Bilder bis heute unvergessen - die überschwängliche Freude der Leute - die flimmernde Hitze über dem Asphalt - die Musik - die Fahnen, die extra wegen diesem besonderen Tag den Flecken und öffentliche Gebäude zierten - der Duft, der durch die Luft schwebte, ein Duft, den man bis dato in Gerolstein nicht kannte - und dann diese freudige Spannung, die sich überall breit machte und die Menschen, wie von einer unsichtbaren Hand geleitet, zu jenem Ort führte, an dem das große Ereignis stattfinden sollte. Selbst die Glocken von St Anna, die gerade den Mittag einläuteten, klangen anders als sonst, schwungvoller, lauter, melodischer, als wollten sie allen Menschen im Kylltal und auf den Eifelhöhen kundtun, was heute Großes in Gerolstein geschieht. Nachdem das Mittagsläuten verstummt war und der damalige Stadtbürgermeister Hans Wollwert seine viel zu lange Festrede beendet hatte, wurde in Anwesenheit der Honoratioren unserer Stadt und unter frenetischen Hurrarufen der Bevölkerung, von dem Ehepaar Inge und Helmut Juester, die erste Frit-tenbude von Gerolstein eröffnet! - Hurra, Hurra, Hurra!!

Beim Eintauchen des ersten Siebes, gefüllt mit den von den Belgiern erfundenen länglich quadratisch geschnittenen Kartoffeln, ins siedende Fett, intonierte das BSW Blasorchester „Freude schöner Götterfunke". So - oder so ähnlich hatte sich die Sache damals abgespielt. Ok, Ok, kann sein, dass bei mir die Fantasie ein wenig durchgegangen ist, doch nach 46 Jahren kann man sich nicht mehr „so genau" an jedes einzelne Detail erinnern! Fakt ist auf jeden Fall „am 31. Juli 1965" erlöste das Ehepaar Juester, Gerolstein endlich von der „Frittenbudenlosen Zeit". Jetzt mussten wir „Gerolsteiner Pänz" nicht mehr heimlich, ohne das Wissen der Eltern, nach Prüm radeln, nur um ein Schälchen Pommes mit Mayo zu genießen. Jetzt hatten wir eine eigene Frittenbude vor dem Haus, beziehungsweise vor der St. Josef Schule. In einer Ecke von „Schüssler's Garten" an der Raderstraße stand das Objekt unserer Begierde. „Juester's Futterkrippe" stand auf einer großen Neon-Leuchtreklame. Wir Kinder wurden von

der Imbissbude magisch angezogen, so wie die Motten von dem grellen Licht der Reklame. Die Pommes waren aber auch lecker! Kein Wunder, denn damals durfte die Fritte noch Fritte sein. Sie war noch nicht in EG- Normen eingezwängt, wo pedantisch Höhe, Länge, Breite und Gewicht vorgeschrieben sind und somit die freie Entfaltungsmöglichkeit der Fritte schon im Keim erstickt wird.

Doch zurück zu der noch damals freien Fritte! 50 Pfennig bezahlte man für eine kleine Schale knusprig zart gebratener Pommes, dargereicht mit einem Schuss Mayo oder Ketschup. Der „Klatsch" Sonderbeilage kostete 10 Pfennig. Nicht zu vergessen die kleinen Piekser aus Holz (und nicht wie heute aus Plastik), mit denen man die Fritte fachgerecht zum Mund führen konnte. Neben den Fritten hatte das „Imbissbudenbetreiber Ehepaar" Juester, natürlich auch andere Köstlichkeiten anzubieten: eine Currywurst mit Brötchen für 1,50 DM, Bratwurst mit Brötchen 1,20 DM und, nicht zu vergessen, der köstliche Schaschlik, der weit über die Grenzen unserer Stadt bekannt war.

Für uns Kinder war die Frittenbude einfach was Besonderes. Sie vermittelte uns damals ein wenig Großstadtflair, so wie „Mc Donald's" bei den Kindern der heutigen Generation. Nichts deutet mehr an dieser geschichtsträch-tigen Stelle darauf hin, dass hier einst die „Erste Frittenbude" von Gerolstein gestanden hatte. Nicht mal die kleinste Hinweistafel gibt Auskunft über jenes Ereignis, dass die Entwicklung unserer Heimatstadt maßgeblich mitgeprägt hat. Nur meine Sinne erinnern sich noch, wenn ich an diesem Ort vorbeikomme. Sofort ist dieser einzigartiger Duft wieder in meiner Nase, der Duft von Fritten, die am 31. Juni 1965 den Weg nach Gerolstein gefunden hatten!