Triumpfgefühl

Mein Cabrio

Brigitta Westhäusler, Hillesheim

Noch einmal schaute sie auf ihn herab. Sein Kopf lag mit der linken Seite auf der Tischplatte, sein rechter Arm hing schlaff herunter. „Fahr' zur Hölle!", flüsterte sie, dann straffte sie ihren Körper, nahm die beiden Tassen und trug sie zum Spülbecken im Lehrerzimmer, wo sie sie sorgfältig auswusch und abtrocknete. Dann stellte sie sie in den Geschirrschrank, aber ein bisschen weiter nach hinten. Auch die Kaffeekanne und die Kaffeemaschine reinigte sie genau.

Danach kehrte sie ins Sekretariat zurück und betrat noch einmal das Rektoratszimmer. Sie nahm ihre Unterlagen vom Schreibtisch, und kritisch ließ sie ihren Blick schweifen. Hatte sie an alles gedacht? Ja, alles war perfekt. Niemand würde auf die Idee kommen, dass Dr. Konrad Steinmeier ermordet worden war.

Wie zufällig fuhr sie mit ihrer linken Hand in die linke Hosentasche. Ja, das Fläschchen war da. Er hatte eine Herzattacke, und niemand war dabei, als er starb. Er hatte noch nicht einmal mehr Zeit, sein Handy zu bedienen. Sehr, sehr traurig.

Ihre Lippen verzogen sich zu einem hämischen Grinsen. Dann hatte sie genug von seinem Anblick. Sie schloss die Verbindungstür zu ihrem Büro, legte die Papiere auf ihren Schreibtisch, nahm ihre Handtasche in die linke Hand, den Schlüssel in die rechte, schloss das Büro wie immer ab und verließ mit klappernden Absätzen das Schulgebäude.

Als sie ihr Autoradio einschaltete, ertönte „I will survive...", und lauthals sang sie den Titel mit. Ja, überleben, das wollte sie, und jetzt konnte sie es. Welch eine Befreiung! Ein neues Leben lag vor ihr. Vorbei die Zeiten, in denen sie nur die kleine, dumme Sekretärin war, die nichts im Kopf hatte. Frau Brücken hier, Frau Brücken da! Wo sind die Unterlagen? Haben Sie den Elternbrief schon fertig? Denken Sie an den Termin mit der Berufsberatung! Bringen Sie mal Frau Y und Herrn X zu mir ins Büro!

Niemals ein Bitte- oder ein Dankeschön. Nur Fehler hatte sie gemacht! Nichts war richtig. Jetzt hatte er sogar mit Kündigung gedroht. Eigentlich konnte er das nicht, aber er hatte die richtigen Verbindungen zur Kreisverwaltung. Und sie bekam es doch mit der Angst zu tun.

Ihre Existenz war bedroht. Was sollte sie denn machen? Sie liebte doch den Beruf. Die Schüler mochten sie, und ihr gefiel es, mit jungen Menschen zu tun zu haben. Auch die meisten Lehrerinnen und Lehrer schätzten sie, mit einigen war sie sogar befreundet. Es war ein gutes Betriebsklima, nur nicht mit dem Boss. Der war wahrscheinlich nur eifersüchtig. Eigentlich konnte den niemand leiden. Aber das war jetzt vorbei. Und sie war es, sie hatte den Mut, diesem Tyrannen das Handwerk zu legen.

Ihr war nach Tanzen, nach Singen, nach Champagner. Übermütig jagte sie mit ihrem Cabrio über die Landstraße. Weg musste sie, nur nicht nach Hause! Ihre Haare flatterten ihr lustig um den Kopf, aber sie nahm dies kaum wahr. „ Ins Landcafe", dachte sie, „das wäre jetzt der richtige Ort zum Feiern." Die Straße war frei, und sie drückte noch ein wenig mehr aufs Gaspedal. „Für mich soll's rote Rosen regnen." sang Hildegard Knef. Der Traktor tauchte einfach von rechts auf und fuhr auf die Landstraße. Frau Brücken konnte nicht überholen, sie bremste, aber da war nichts mehr zu machen. Sie rutschte unter die Hinterachse. Das Cabrio fing Feuer.