Glaube versetzt Berge

Nach der Erinnerung von Martha Mertes

Wilma Herzog, Gerolstein

Der Mann meiner Schwester war an der Front vermisst. Als diese Ungewissheit sich in unerträgliche Länge zog, kehrte sie mit ihren vier Kindern zu unserer Mutter heim nach Gerolstein. Die Kinder waren klein, die Not jedoch groß, und sie machte erfinderisch. Als der Jüngsten die Schuhe zu klein wurden, schnitt meine Schwester einfach die Kappen weg und schon hatten die kleinen Füßchen wieder mehr Platz. Not macht aber nicht nur erfinderisch, sie lehrt auch beten.

Viel wurde gebetet in jener Zeit, für Frieden, Brot und Heimkehr. Das wusste die Kleinste sehr gut, die eines Samstagnachmittags, als ihre Mutter die Küche putzte, sagte: „Mama, ich geh' jetzt in die Kirche beten!" Der war das ganz recht, so war das Kind ihr ein Weilchen aus den Füßen, und die St. Anna Kirche war ja fast nebenan. Dass der liebe Gott, zu dem so viele innige Gebete geschickt wurden, dort wohnte, in dem kleinen Häuschen, das hatte die Mama der Dreijährigen wohl schon erklärt.

Im kühlen Dunkel des Beichtstuhls saß, wie immer um diese Stunde, Dechant Molter und wartete im Gebet auf seine reuigen Schäfchen. Noch war die Kirche leer, als er auf einmal das Tip Tap der kleinen Füßchen in Holzschuhen näherkommen hörte, da lüftete er doch ein wenig den Vorhang des Beichtstuhls und erkannte das Kind aus der Nachbarschaft. Um es nicht bei ihrer Andacht zu stören, verhielt er sich ruhig.

Doch die festen Schrittchen näherten sich zielstrebig immer näher dem Beichtstuhl. Die Kleine hob auf einmal den Vorhang ein wenig und als sie das Gesicht des Dechanten sah, blickte sie ihn mit flehenden Augen an und sagte voller Inbrunst:

„Lieber Gott! Schick' meinen Papa heim!" Dechant Molter, der in diesem Moment alles gegeben hätte, auf der Stelle dem Kind die Bitte zu erfüllen, schüttelte den Kopf: „Ich bin nur ein Diener vom lieben Gott. Der liebe Gott wohnt da vorne am Altar, siehst du, in dem ganz kleinen Häuschen, dem Tabernakel" und zeigte dahin. Worauf das Kind sich wortlos von ihm abwandte und mit Tip Tap in die gezeigte Richtung ging, um oben vor dem Tabernakel mit gefalteten Händen seine inständige Bitte mit fester Stimme zu wiederholen: „Lieber Gott! Schick' meinen Papa heim!"