Wo ist das Dorf meiner Kindheit?

Gertrud Knobloch, Berg/Starnberg

Auf dem Lande leben Menschen enger in einer Gemeinschaft, als in der Stadt. Aber ist der Zusammenhalt dort besser, werden mehr Hilfen, wird mehr Ansprache geboten? Das Dorf ist in seiner Struktur im Gegensatz zu früher stark verändert. Es ist für Einheimische und Zugezogene oft nur noch der Ort, an dem sie wohnen - meist ruhiger und weniger dicht aufeinander als in Städten oder Vororten.

Doch die wenigsten arbeiten noch im Dorf. An selbständigen Landwirtsfamilien sind meistens nur noch so viele anzutreffen, die man an einer Hand abzählen kann. Für die anderen Dorfbewohner bringt schon der Beruf mit sich, dass man auch einen Freundeskreis hat, der weit über das Dorf hinausgreift. Da ist kaum noch einer, der heute nicht unter Zeitdruck steht. Und das nicht nur im Beruf. Dadurch wird der Kontakt am Wohnort untereinander immer spärlicher. Auf diese Weise geht nach und nach auch das persönliche Interesse aneinander verloren, da ohnehin keiner vom anderen mehr genau weiß, womit er sich tagsüber beschäftigt. Diese Entwicklung wird mehr und mehr zu Verhältnissen führen, wie sie auch in den Städten an der Tagesordnung sind. Dieser Entwicklung sollte bewusst entgegengesteuert werden, wie das mancherorts auch schon geschieht. Das Dorf stellt Aufgaben und fordert Lösungen. Die menschliche Anteilnahme im positiven Sinn sollte wieder mehr in den Vordergrund rücken. Dazu dienen Aktivitäten von Vereinen, wie sie auf dem Lande schon immer gepflegt werden - auch heute noch. Dazu können aber noch besser Aktivitäten von Landfrauen beitragen.

Gerade sie können versuchen, alte und neue Dorfbewohner zusammenzuführen zu einer echten Dorfgemeinschaft, die auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl und Heimatliebe im besten Sinn wachsen lässt.

Gemeinsinn trägt gute Dorfgemeinschaft

Die Überschaubarkeit der Dorfgemeinschaft schließt immer auch die Möglichkeit zu sozialer Kontrolle ein. Das war in früheren Jahren und Jahrhunderten nicht immer ein positiver Umstand, wie man aus den Romanen von Heimatschriftstellern weiß, aber auch aus der Überlieferung von Eltern und Großeltern. Leute, die aus der Reihe tanzten, Mädchen mit unehelichen Kindern, Behinderte waren oft verachtet - kein Ruhmesblatt für Dorfgemeinschaften, wie sie damals waren. Aber man darf nicht vergessen, dass auch die Sozialstruktur damals anders war und dass wir uns nicht nur im sozialen, sondern auch im mitmenschlichen Denken heute weiterentwickelt haben.

Dass Einzelne Machtansprüche stellen und erwarten, dass denen Rechnung getragen wird, ist ebenfalls ein Relikt aus der Vergangenheit. Positives weiterführen, Negatives unterdrücken - dies muss das Ziel sein bei der Intensivierung des Dorflebens, eine Aufgabe, der sich vor allem die Landfrauen stellen sollten.

In den Dörfern von heute täuscht oft der schöne Schein der Zusammengehörigkeit. Der Tanzboden alter Art ist meistens nicht mehr da. Statt des Krämerladens steht auf freiem Feld ein Supermarkt. Das ist zwar entlastend für den Geldbeutel. Doch der Krämerladen bedeutete früher mehr als eine Einkaufsquelle. Er war immer auch eine Stätte, wo man mit der Nachbarschaft ein paar Worte wechseln konnte. Die Gefahr, dass Dörfer in der Freizeit gemieden werden, ist vor allem für die Jugend groß. Doch eine Diskothek ist keine Alternative.

Was könnte getan werden? Das wäre zu überlegen, vor allem von den Frauen des Dorfes, die nicht berufstätig sind. Oft haben sie eine fundierte Ausbildung oder ausgeprägte praktische Begabung. Viele wären durchaus in der Lage, ein interessantes Programm für alle zu entwickeln. Das könnten gemeinsame Bastelstunden sein, Pflege von Volkslied und Volkstanz, gemeinsame Gymnastik, Waldlauf, Wanderungen, Fahrten.

Von begabten Köchinnen, wie man sie auf dem Lande noch häufig findet, könnten Kocherfahrungen weitergegeben oder solche in wechselnden Gastküchen gemeinsam ausgetauscht und vertieft werden. Die Dorfgeschichte könnte erforscht und aufgeschrieben und eine fortlaufende Chronik angelegt werden. Man könnte wieder eine Art „Spinnstube" einrichten zum gemeinsamen Singen und Handarbeiten. Das sind nur einige Ideen.

Rührigen Landfrauen wird sicher mehr einfallen, gerade auch für die Kinder und Jugendlichen; gemeinsame Fahrradfahrten etwa, Treffs privater Art, Einrichtung besonderer Spielmöglichkeiten. Nicht vergessen sein sollten die älteren Dorfbewohner, die oft nichts so dringend brauchen wie ein bisschen Zuwendung. Wer nimmt sich dafür heute noch Zeit? Sie könnten von jüngeren Frauen umschichtig in loser Folge zu Kaffee und Kuchen eingeladen werden oder zu einer gemeinsamen, nicht zu weiten Fahrt in die Natur mit Picknick. Gerade alte Leute, die ein bisschen verwirrt reagieren, sollten hierbei nicht vergessen sein. Sie brauchen besondere Zuwendung.