Der seltsame Schrank

Nils Lamberty, Dreis-Brück

Ich sollte das Wochenende bei meiner Oma verbringen. Das gefiel mir gar nicht. Meine Oma wohnte nämlich außerhalb unserer Stadt, nahe am Wald. Ein ganzes Wochenende keinen Fernseher, keine Videospiele, und meine Freunde konnte ich auch nicht sehen. Ich versuchte meine Mutter zwar noch zu überreden, aber es nützte nichts. Also fuhren wir los. Meine Großmutter freute sich riesig, mich wieder zu sehen. Als meine Mutter wieder gefahren war, sagte meine Oma zu mir: „Bring deine Sachen schon mal hoch in dein Zimmer, ich mache uns Apfelpfannkuchen!"

„Bin gleich wieder da", antwortete ich, wenn auch noch etwas mürrisch. Gerade als ich meine Sachen aufs Bett legte, hörte ich über mir ein heftiges Poltern. Ich wurde neugierig und ging auf den Dachboden. Hier oben war ich ja noch nie gewesen, dachte ich bei mir. Überall lagen seltsame Sachen herum. Spinnweben hingen von der Decke, es war finster und es roch ganz komisch. „Autsch!", schrie ich laut auf, als ich über irgendetwas stolperte. „Mann, wo ist denn der Lichtschalter?", schimpfte ich vor mich hin. Dann stand ich vor einem großen, alten Schrank.

Ich ging auf ihn zu. Er war von oben bis unten mit Spinnweben behangen. Mir lief es eiskalt den Rücken runter, als ich die Netze entfernte. Ich öffnete vorsichtig den Schrank. „Knarr!", machte die alte Tür und „quietsch". Ich erschrak. Eine dicke Staubwolke kam mir entgegen. Als ich in den Schrank sah, verschlug es mir die Sprache. Entsetzt fiel ich auf den staubigen Boden. Durch den geöffneten Schrank konnte man in die weite Prärie sehen. Mutig stand ich auf und stieg in den Schrank hinein. Erst passierte nichts. Dann machte es „Rums!", und hinter mir fiel die Tür ins Schloss. Ich erschrak so sehr, dass ich stolperte und auf den steinigen Boden fiel. „Aua! So ein Mist!", schrie ich, während ich mir das Knie rieb. Nun schaute ich mich nach allen Seiten um. Nirgends war der Schrank zu sehen. Nur Sand, Steine und die glühende Sonne. Auf einmal fing die Erde an zu beben. In der Ferne sah ich eine riesige Staubwolke. Als sie näher kam, konnte ich erkennen, was es war. Eine Bisonherde, die mit einem Affenzahn auf mich zukam. „Hilfe, Hilfe!", schrie ich auf. Ich war steif vor Schreck. Meine Augen waren nur noch auf die näher kommende Herde gerichtet. Mir lief es kalt den Rücken runter. Als die Bisons nur noch wenige Meter von mir entfernt waren, spürte ich einen kräftigen Stoß. Ich landete unsanft auf dem Boden. Neben mir trampelte die Bisonherde vorbei. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. „Wer bist du?", fragte mich ein Junge. Ich zuckte zusammen. Denn vor mir stand ein echter Indianerjunge. „Ich?", fragte ich verdutzt. „Ja! Du! Ich heiße übrigens .Kleiner Fuchs'", sagte er. „Nils", antwortete ich.

„Was ist das denn für ein Name?", fragte .Kleiner Fuchs' verwundert. „Du hast mir das Leben gerettet!", bedankte ich mich und erzählte ihm, was geschehen war. „Nichts zu danken. Mein Papa .Weiser Fuchs' ist Häuptling in unserem Dorf, er weiß bestimmt Rat! Komm, wir gehen zum Fluss!", sagte .Kleiner Fuchs'. Dort lag ein altes Kanu. „In dieser Klapperkiste sollen wir fahren?", fragte ich mit nicht gerade überzeugter Stimme. Wir stiegen in das Boot und fuhren los. Der Fluss war zwar ziemlich ruhig, aber ich hatte immer noch ein schlechtes Gefühl. „Sollen wir eine Abkürzung nehmen?", fragte mich .Kleiner Fuchs'.

„Ja!", sagte ich schnell, damit wir endlich wieder an Land kämen. Er lenkte das Kanu in einen Nebenfluss, der jedoch viel wilder war und aus dem Felsen heraus ragten. „Ist das wirklich deine Abkürzung?", brüllte ich, während meine Hände das Boot fest umklammerten. „Nein! Ich weiß nicht, wo wir hier sind!", schrie er zurück. Als er einen Moment nicht aufpasste, fiel ihm auch noch das Paddel aus der Hand. Der Fluss wurde immer schneller und schneller. Als es anfing laut zu rauschen, brüllte .Kleiner Fuchs': „Ich weiß, wo wir sind! In der Nähe des großen Wasserfalls! Er hat einen unübertrefflichen tiefen Abgrund und ist gefährlich." Die Gefahr kam immer näher und näher. Das Boot kippte nach vorne und ... im letzten Moment wurden wir am Kragen gepackt und aus dem Kanu gerissen. Ich nahm gerade noch wahr, wie das Kanu den reißenden Abhang hinunter fiel und an der Wasseroberfläche zersplitterte. „Papa, Papa, du hast uns gerettet. Das war super, wie du mit dem Pferd über den Fluss gesprungen bist und uns heraus gefischt hast!", rief .Kleiner Fuchs' stolz. „Das ist mein neuer Freund!", wendete .Kleiner Fuchs' ein.

„Freunde von meinem Sohn sind auch meine Freunde und sind herzlich willkommen!", begrüßte mich der Häuptling freundlich. Ich erzählte ihm, wie ich durch den Schrank zu ihnen kam. Er nickte nur und lächelte seltsam. Plötzlich tauchte aus dem Nichts der Schrank auf und ich schaute in den Dachboden zurück. „Ich muss gehen!", sagte ich. „Kommst du wieder?", fragte .Kleiner Fuchs' traurig. „Ich denke schon", antwortete ich ihm zurück. Als ich mich verabschiedet hatte, ging ich auf den Schrank zu und stieg ein. Kurz darauf war ich wieder auf dem Dachboden meiner Oma. Nun stand ich auf und schaute in den Schrank zurück. Dort war mein neuer Freund mit seinem Vater und winkte mir zu. Ich schaute sie noch einmal an und machte langsam die schwere Schranktür zu. Ich stieg langsam die Treppe hinunter und lief zu meiner Oma. „Du kommst genau richtig! Die Pfannkuchen sind gerade fertig geworden", sagte sie. Den Rest des Wochenendes verbrachte ich glücklich bei meiner Großmutter.

Seit diesem Ereignis bin ich gerne bei ihr und besuche meinen neuen Freund im Schrank.