Blumen, Fahnen, Harzgeruch

Roswitha Gräfen-Pfeil, Mosbach

Aufregung schon Tage vorher: wird das Wetter halten, wer geht mit mir Blumen zupfen, wo können wir Fichtenspitzen abpflücken, was werde ich verdienen?

Ja, Fronleichnam war das Fest im Jahr, an dem ich meine ersten Groschen verdiente. Ich war damals in einer der ersten Klassen der Volksschule Daun in der Burgfriedstraße, noch keine zehn Jahre alt. Meine Freundin Beatrix und ich gingen Blütenköpfe sammeln am Hang zum Wehrbüsch. Dort gab es Teufelskralle, Margeriten, Wiesenschaumkraut und Butterblumen. Und hinter dem Sportplatz im Wäldchen waren die Fichten noch so niedrig, dass wir die neuen Austriebe abpflücken konnten. Irgendwie wussten wir, dass das nicht erlaubt war, aber wir sagten uns, wir holen ja nicht viel. Der harzige Geruch von frischem Fichtenaustrieb erinnert mich noch heute an diese Aktionen. Schnell ging es auch, die Lupinendolden oder Ginster abzustreifen. Unser Lesegut kam in Spankörbe, später in der Burgfriedstrasse oft in eine große Zinkwanne. Manchmal wurde auch schon beim Sammeln sortiert. Einfarbige Blütenköpfe oder Koniferenaustriebe, jeweils nur eine Sorte, wurden benötigt, um Bilder zu legen oder die wunderbaren Blütenteppiche vor den Altären. Es gab einige Groschen, wenn wir mit unseren Spankörben ankamen und sie älteren Menschen oder Geschäftsleuten anboten. Zehn Pfennig für STORCK-Riesen-Karamellen und Kaugummi konnte es schon geben. Oder es reichte für eine Handvoll loser Bonbons aus dem Geschäft nebenan. Auch viele Anwohner an der geplanten Prozessionsstrecke richteten kleine Altäre vor ihren Eingängen. Da wurden Zimmerpflanzen herausgeholt, Hortensien und Gummibäume, Alpenveilchen und Fleißige Lieschen wurden um ein Kreuz oder ein frommes Bild arrangiert. Als Untergrund diente oft ein Teppich oder eine Tischdecke. Es gab, glaube ich, einen regelrechten Wettbewerb darum, wer das schönste Bild auf der Strasse oder am Altar legte. Gartenbesitzer rupften dafür auch prächtige Pfingstrosen oder Schneeball.

Burgfriedstraße 16, vor dem Haus von Hebamme Haas (Hans und Roswitha Gräfen).

Stundenlang herrschte geschäftiges Treiben in den frühen Morgenstunden des Fronleichnamstages, bis alles wunderbar aussah. Die Männer besorgten Buchengrün und Fichtenzweige und verdeckten damit Hauswände hinter dem Altar. Die gelb- weißen Kirchenfahnen wurden aufgestellt, und kleine Papierfähnchen in das Grün gebunden.

Früh begann die Prozession. Zuerst ging der Pfarrer mit der Monstranz unter dem von Männern getragenem Baldachin auf dem Blütenweg, anschließend die „neuen" Kommunionkinder, danach die anderen Gemeindemitglieder, getrennt nach Männer und Frauen. Am Ende der Prozession trafen alle Teilnehmer in der St.-Nikolaus-Kirche ein. Dort erteilte der Priester auch den Schluss-Segen. Es war sehr bewegend, wenn Männer mit historischen Fahnen den Altar umstanden, die Messdiener die Schellen erklingen ließen, die Orgel "Großer Gott, wir loben Dich" spielte und alle laut sangen! Messdiener schwangen die Weihrauchbehälter und umhüllten die vorderen Reihen mit Wohlgeruch. Zurück blieben auf der Straße zertretene Blütenteppiche, die wegen der Rutschgefahr schnell weggekehrt wurden. Und einige Blumensträuße, die in den Häusern und auf dem Friedhof aufgestellt wurden, nachdem die Altäre abgeräumt waren.