Erinnerungen an ein besonderes Tal

Die kleine Kyll

Gertrud Margarete Morsink, Landscheid

Wer als Kind das Glück hatte, an einem Bach oder kleinen Rinnsal matschen und spielen zu können, wird die klaren Bäche der Heimat, mit den bunten, abgeschliffenen Steinen und an dem Ufer wachsenden Weiden und Erlen immer lieben. So geht es mir jedenfalls. Unsere Familie wohnte bis Anfang 1940 in unserem damals sehr zentral gelegenen alten Haus in Wallenborn. Dicht am Gartenzaun floss der Walmerbach vorbei, mal mit wenig, mal mit viel Wasser. Im Sommer war er ein kleines Rinnsal mit Pfützen. Im Frühjahr, Herbst und bei starken Gewitterregen staute das Wasser vor der alten Sandsteinbrücke. Der Bach trat über die Ufer und überschwemmte das Umfeld. Besonders „Schottes Haus" war sehr gefährdet. Mit Kuhmist als Staumaterial versuchte man, das Schlimmste zu verhindern, was leider nicht immer gelang. Bei einer Überschwemmung passierte es, alle Hühner samt Hahn ertranken in den Fluten. Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre wurde der Walmerbach im Ort durch große Betonrohre unterirdisch bis zur Fettwiese abgeleitet und überflutete dort die anliegenden Wiesen. Sehr zum Nutzen für das Vieh; schon im zeitigen Frühjahr konnte das saftige Gras gemäht werden.

Im Winter bei starkem Frost bescherte er uns Kindern die schönsten Eisbahnen, dann war die Fettwiese Treffpunkt und Tummelplatz für die gesamte Wallenborner Jugend. Angereichert durch das Wasser der kleinen Bäche die durch und um Wallenborn ihr Bett haben, nimmt er in südöstlicher Richtung seinen Lauf durch das schöne Tal. Unterhalb der Mansteinsbrücke fließen Marschbach und Walmerbach vereint in südlicher Richtung weiter und münden Unterhalb der Rutschmühle in die kleine Kyll. Den Weg durch das Tal lernte ich schon früh kennen. Im Herbst wurde der Kastenwagen mit Roggen und Weizen beladen und mit dem Kuhgespann zum Mahlen zur Schutzer Mühle gebracht. Meine Schwester Katharina und ich durften dann voller Stolz auf den Getreidesäcken sitzen und uns auf dem schlechten Weg hin und her schaukeln lassen.

Dabei konnten wir in Ruhe das Tal mit den Windungen des Baches betrachten und unserer Phantasie freien Lauf lassen, angeregt durch die Erzählungen der alten Leute. Auf der Heimfahrt war der Wagen mit Mehl beladen das mindestens für ein halbes Jahr ausreichte, es musste vorgesorgt werden. Der Weg zur Mühle war im Winter sehr beschwerlich.

Hier eine Geschichte die unser Großvater mit fünf Jahren erlebte und oft und gern erzählte: Es war im März 1867. Der Winter war lang und frostig. Mitte März lag stellenweise immer noch Schnee. In der Familie war für die nächsten Tage Brotbacken angesagt. Fast jede Familie hatte einen eignen Backofen, in dem zwölf bis dreizehn große runde Brote Platz hatten. Für die volle Menge reichte das Roggenmehl nicht, die Arbeit für paar Brote war zu aufwendig. Urgroßvater musste zur Schutzer Mühle, um das nötige Mehl zu bekommen. Es war ein schöner heller Märztag. Er schulterte den Rucksack, das Leinen-mehlsäckchen wurde verstaut, paar kräftige Butterbrote eingepackt, er nahm den Hermeskeiler in die rechte und seinen 5-jährigen Sohn, der ihn zum ersten Mal zur Mühle begleiten durfte, an die linke Hand, so begann der Marsch durchs Tal. Das Geschäft mit dem Müller war schnell erledigt.

Dem Besuch bei der Verwandtschaft stand nichts im Wege. Beide Seiten freuten sich über die Abwechslung. Neuigkeiten und Ansichten wurden ausgetaucht es wurde viel geredet. Niemand merkte, dass es draußen schon dunkel war. Man hoffte auf das Licht des guten alten Mondes, das den Heimweg in der Dunkelheit erleichtern sollte, er tat ihnen den Gefallen. Der kleine Junge war sehr müde, deshalb machten sie ab und zu eine Pause. Durch das Knacken des vereisten Schnees hörten sie, dass ihnen jemand folgte. Auf einer Lichtung im Mondenschein sahen sie, dass es ein Wolf war. Der Vater sagte zu seinem Sohn „Wir brauchen uns nicht zu fürchten, ich habe ja meinen guten Hermeskeiler dabei". Der Wolf folgte ihnen bis kurz vor Wallenborn, Er hielt Abstand und versuchte auch keinen Angriff. Es war der letzte Wolf, der auf Wallenborner Gebiet gesehen wurde. Die Familie war für das Glück, das Beide hatten, sehr dankbar, es hätte auch anders ausgehen können.

Die Länge des Tales beträgt bis zur Mündung ca. vier bis fünf Kilometer. Westlich grenzt es an den 585 m hohen Krettscheid mit den Distrikten „Paradies, den Bergen und Wolfsgraben" und östlich an „die Klopp und Burberg." Im Zweiten Weltkrieg suchte die Wallenborner Bevölkerung im Klopp und in den Bergen Schutz vor den feindlichen Tieffliegern. Mit mehreren Familien lebten die Menschen gemeinsam dort in selbst erbauten Holzhütten. Am Ende des Waldes, einige hundert Meter von Schutz entfernt, stand auf einem Grundstück die verfallene Ruine der Rutschmühle, die erst nach dem Krieg völlig abgerissen und entfernt wurde. Jetzt befindet sich dort ein kleiner Weiher.

Nach einer alten Erzählung von Steffens, im Buch „Eiflia illustrata Band 2", -
DER KREIS DAUN.

Die Rutschmühle bei Schutz

In der Nähe des Ortes Schutz stand einst eine alte Getreide und Ölmühle. Um das Jahr 1815 ging eine junge Frau aus Schutz zur besagten Mühle, als sie unterwegs einem Mann be-

gegnete, es war Martin der älteste Sohn des Müllers. Es war eine schaurige Last, die er da schleppte, hatte er doch im Streit seinen Bruder erschlagen. Als er der Frau ansichtig wurde, legte er den Sack ab und rang ihr das Versprechen ab, niemanden etwas von der Begegnung zu verraten. Andernfalls würde er auch sie in den Sack stecken. In ihrer Angst blieb der Frau nichts anders übrig, als das zu schwören, zumal sie die Beine eines Menschen aus dem Sack herausschauen sah. Martin, der Mörder verscharrte daraufhin die Leiche seines Bruders im Waldboden. In der Geisterstunde aber sah man den Erschlagenen mit zwei Hunden und einem Gewehr durch die Gegend irren, wie der Volksmund berichtet. Der Mörder fand keine Ruhe mehr. Er verkaufte die väterliche Mühle und begab sich ins Ausland. Ängstliche Leute aber wollen nachher noch oft den Geist des Ermordeten in der Nähe der alten Mühle gesehen haben, wie er sich in Gestalt eines weißen Marders gespenstisch auf dem Räderwerk der verlassenen Mühle herumtrieb, um dann mit einem entsetzlichen Schrei in den nahen Bergen zu verschwinden. Später versuchte noch einmal ein fremder Müller, die Rutschmühle in Gang zu setzen, um dort wieder Getreide und Öl zu mahlen. Als aber auch er eines Nachts den weißen Marder sah, musste er an die Geistergeschichte denken, die man in der Gegend erzählte. Als er nun mit seiner Schrotflinte nach dem Tier schoss, ereignete sich etwas Entsetzliches: Der Marder zerriss in einzelne Teile und wurde wiederum zu einem neuen Marder. Da packte selbst diesen mutigen Müller das Grauen und er verließ noch am folgenden Tag die Mühle, die man von da an mied. Von Wallenborn nach Schutz führt ein gut begehbarer Weg durch das besondere Tal, für Naturliebhaber eine Freude, doch für Autofahrer ein gewisses Risiko.

Anmerkung:
Ein Hermeskeiler ist ein knorriger Naturstock mit poliertem Knauf durch den eine Lederschleife gezogen ist. Er war in früheren Zeiten Schutz und Waffe der Landbevölkerung.