Last, Mühe und Schrei oder innere Notwendigkeit des Künstlers

Roman-Biographie über Pitt Kreuzberg aus Ahrweiler erschienen

Jochen Arlt, Bad Münstereifel

Ute Bales — seit einem Vierteljahrhundert wohnt sie mit Familie in Freiburg. Heimat indes bleibt die Eifel. Zunächst fällt der authentisch gebliebene Sprachduktus auf - un-überhörbarer Sound des Gerolsteiner Landes, wo sie im Schatten der markanten Munterley aufwuchs.

Überdies weisen ihre bislang präsenten drei Buchtitel deutlich den Weg zum ehemaligen Daheim, zur anhaltend tiefen Verwurzelung dort hin: „Der Boden dunkel" (Iatros Verlag & Verlag Pi), 2006 das Debüt im Literaturgenre, eine sozialkritische Kylltal-Prosa; „Kamillenblumen" (Rhein-Mosel-Verlag, 2009), anrührende Milieustudie um die Hausiererin .Kolverather Traud', offeriert erdiges Eifel-Aroma aus den harten Jahren um 1900 bis hinein in die Adenauer-Zeit; ebenfalls im Rhein-Mosel-Verlag (RMV/2010) präsent die Roman-Biographie „Peter Zirbes", dem mobilen Steinguthändler und Dichter aus dem Wittlicher Land das längst fällige und würdige Denkmal setzend. Gar keine Frage, dass nur von Ute Bales die Rede sein kann. Bales, seit wenigen Monaten 50 Jahre jung, entstammt einer kreativen Familie aus Lissingen. Bereits in Kindertagen fühlte sie sich verwachsen mit Büchern. Erst nach spät-pubertären Welt-Erkundungen, die bis Wien oder Süd-Italien reichten, schloss Ute Bales in Freiburg ihr Studium mit einem Magister in Politikwissenschaft und Germanistik ab. Und vom Breisgau aus konnte die Dozentin an einer Wirtschaftsakademie endlich ihren Herzenswunsch realisieren - als Schriftstellerin gleichzeitig Chronistin ihrer Eifel-Bodenhaftung sein. Am 10. August 2012 erschien eine Roman-Monographie über Pitt Kreuzberg aus Ute Bales' Feder - „Unter dem großen Himmel" (RMV).

Ute Bales im Gespräch mit Jochen Arlt:

Arlt: Es sind durchweg schwierige Charaktere, denen Sie sich in Ihrem bisherigen Werk annahmen. Da ist in „Der Boden dunkel" die Nachkriegstragik um den unfreiwillig schrägen Lebensweg des Klaus Henkes. In „Kamillenblumen" reflektieren Sie das dornenreiche Dasein der obdachlosen Wanderarbeiterin Traud. Und der Alltag vom fahrenden Händler-Poet Peter Zirbes glich einem andauernden Kreuzweg. Weshalb widmen Sie stets vom Schicksal gebeugten Menschen, diesmal Pitt Kreuzberg, Ihre Aufmerksamkeit?

Bales: Mich haben Außenseiter immer schon angezogen. Damit meine ich auch das innere Außenseitertum. Menschen eben, die sich nicht kompatibel zur Gesellschaft verhalten. So wie Peter Zirbes, der 1901 aus der katholischen Kirche austrat, deshalb in seinem konservativen Heimatdorf eine beispiellose Welle der Empörung auslöste. Allen meinen Protagonisten gemeinsam ist neben der Eifel-Herkunft, dass sie etwas taten oder für etwas lebten, das ihnen Spott, Verachtung, Unverständnis einbrachte. Hinzu kommt bei allen die Unmöglichkeit den eingeschlagenen Weg zu verlassen und, zwangsläufig, der daraus resultierende Konflikt. Literatur lebt von schrägen Lebenswegen. Und Literatur ist eine Reproduktion von Seinsmöglichkeiten, die berühren sollen. Mich reizen Parallelwelten wie das Hausierermilieu oder der schier unglaublich konsequente Weg Pitt Kreuzbergs für die Kunst. Im Kontrast dazu sehe ich unsere schnelle, behütete, vermeintlich abgesicherte Welt. Ich halte es für wichtig mittels Literatur einen Sinn zu entwickeln für das Ungewöhnliche, das Abseitige sowie ein Nischenbewusstsein zu schaffen, zu sensibilisieren für einen Menschen, einen Missstand, ein Problem. Meine Helden sind keine Bewohner einer globalisierten Coca-Cola-Welt, sondern kon-turierte Personen, nicht transformierbar, auch nicht austauschbar. Sie bewegen sich in einer bestimmten Aura. Und das hört, sieht, merkt der Rezipient ihnen an. Auch ihre Sprache ist konkret und verortbar - wie sie selbst.

Arlt: Ja, Ihr aktueller Protagonist Pitt Kreuzberg soll wahrlich kein unkomplizierter Zeitgenosse gewesen sein!

Bales: Nein, das war er sicher nicht. Menschen, die etwas zu sagen haben und so konsequent ihrem inneren Drang, meist gar Zwang folgen, sind nie einfach. Auch Kreuzbergs Kunst ist unbequem, schwer zugänglich. Hinzu kommt seine weltanschauliche Haltung, sein Charakter wie besonderes Charisma, seine Querköpfigkeit.

Arlt: „Ob er einen Apfel auf einem Holzbock, den kantigen Stein am Maarufer oder die schroffe Rinde eines sterbenden Baumes malt, überall spürt man die innere Last, seine Mühe, seinen Schreiso Pitt-Kreuzberg-Kenner Rainer Roeckelein.

Bales: In der Tat sind seine elementare Last und die Mühe spürbar. Auch der Schrei. Pitt Kreuzberg hat gemalt, weil ihn innere Notwendigkeiten dazu zwangen. So hat er das selbst formuliert. Pitt setzte sich mit den Dingen auseinander. Er malte auf einer hoch geistigen Ebene, die sich nicht sofort erschließt. Der intensive Betrachter seiner Bilder spürt all jene Auseinandersetzungen und dazugehörenden Tiefen. Dies müssen schmerzhafte Prozesse gewesen sein. Kreuzberg hat sein Leben hindurch darum gekämpft, alles so darzustellen wie es richtig sein soll. Auch das ein übernommenes Zitat. Pitt Kreuzberg wollte die Leute wach machen und die Dinge über den Weg der Kunst bewusst werden lassen.

Arlt: In Schalkenmehren bereits galt Kreuzberg als Sonderling, Kauz. Ist dies auf die Mentalität der eher konservativ ausgerichteten Dorf-Eingeborenen zurückzuführen respektive auf den prinzipiellen Status des Künstlers als verkopfter Einsiedler oder Querdenker? Bales: Auf beides. Im Schalkenmehren seiner Zeit war man, wie auf allen anderen Dörfern übrigens gleichfalls, keinen Heller wert, wenn man nicht im Dreck wühlte, sich nicht verhielt wie alle. Ausgenommen bestenfalls Pfarrer und Lehrer. Künstler galten als dubios, suspekt. Dies ist heute noch teilweise so. Erklären Sie mal Ihrer Bank oder Ihrem Nachbarn, dass Sie als Künstler existieren können. Das sind andere Lebensentwürfe, die nicht jeder redliche Arbeitsmann, nicht jede fleißige Hausfrau nachvollziehen mag. Erst recht nicht im damaligen sozialen Umfeld.

Arlt: Für eine Eifel-Künstler-Monographie hatten Sie die Wahl zum Beispiel von Karl Blechen über Curtius Schulten bis hin zu Fritz von Wille. Warum Pitt Kreuzberg? Bales: Er erfüllt alle Anforderungen eines starken Protagonisten. Ich hatte bei Pitt das Gefühl, mich in sein Werk und damit in seine Gedanken hineinversetzen zu können.

Arlt: Dies war bereits nachlesbar in Ihrer Zirbes-Prosa...

Bales: Jedoch erwies sich diesmal mein Gefühl mit Beginn des Schreibens als pure Naivität. Kreuzberg blieb mir fürs Erste schwerst zugänglich. Aber ich ließ nicht locker, habe seinen Drang zur Kunst allmählich verstanden -etwa das Bedürfnis sich am Maar anzusiedeln, dort nach dem Ursprung, nach den Wurzeln zu suchen. Über diesen Weg, der zudem das Thema Mensch und Landschaft integriert, bin ich Pitt Kreuzberg näher gekommen.

Arlt: Welche Gemeinsamkeiten blieben Pitt, der im rheinischen Brühl wie Düsseldorf lebte oder im bayerischen Rosenheim und Scheveningen/ Holland, mit dem heimatlichen Ahrweiler? Bales: Ahrweiler ist sein Geburtsort. In Brühl besuchte er die Schule. Pitt entstammt einer alteingesessenen, begüterten Kaufmannsfamilie. Sein Urgroßvater prägte durchs Entdecken der Apollinaris-Quelle die Ortsgeschichte. Das zum Beispiel sind sehr starke Wurzeln. Pitt Kreuzberg hat sich immer wieder in Ahrweiler aufgehalten. Schon der verzweigten Verwandtschaft und seiner Tochter wegen, die mit einem Arzt von der Ahr verheiratet war. Kreuzberg war außerdem Mitglied der Are-Künstlergilde, hielt Kontakt zu Kollegen wie Ernst Kley, Hanns Matschulla, Josef Krahforst, Carl Weisgerber. Er nahm teil an den Gilde-Ausstellungen oder Versammlungen. Nur wenn kein Geld für den Zug in der Tasche war, fielen für ihn diese Gemeinsamkeiten aus. Über Künstlerfreunde wurde Kreuzberg nicht zuletzt regelmäßig mit dem geliebten Ahrburgunder versorgt.

Arlt: Pflegte Kreuzberg in Schalkenmehren denn ein soziales Umfeld oder wahrte er bewusst Distanz zu den Einheimischen? Bales: Er wahrte Distanz, ob bewusst oder unbewusst. Schon durchs Verbale. Kreuzberg sprach hochdeutsch statt Dialekt, kleidete sich anders als die Dorfbevölkerung. Wohl aber gab es Annäherungen im Ort. So verhalf ihm eine ältere Nachbarin zu einem Garten. Oder Pitt wurde in Gasthäusern verpflegt, wobei er die Unkosten nicht selten mit Bildern beglich. Auch zur Heimweberei gab es Kontakte, zu Lehrern, zu den Schäfern am Maar oder zum Pfarrer - obgleich er kein Kirchgänger war.

Arlt: Stimmt es, dass der Mayener Photograph Heinrich Pieroth zu Pitts wenigen engeren Vertrauten zählte?

Bales: Heinrich Pieroth gehörte definitiv zu Kreuzbergs engsten Gefährten. Pieroth stellte in seinem Mayener Photogeschäft Kreuzbergs Bilder aus und verkaufte etliche der Werke. Heinrich knüpfte für Pitt Verbindungen zu Kunstinteressierten, schlug prinzipiell Brücken für ihn. Beide lebten von und mit Bildern. Pieroths Sinn für Kunst prägte die lebenslange Freundschaft mit Kreuzberg.

Arlt: Pitt Kreuzberg geht der Ruf nach, dass er hinsichtlich Damenbekanntschaften nichts anbrennen ließ - Wahrheit oder Legende? Bales: Ein Vorurteil, dem ich beinahe auf den Leim gegangen wäre. Dieses Gerücht, keine Ahnung woher es kam, hatte sich in meinem Kopf gehalten - bis ich anfing, mich mit ihm gezielter zu beschäftigen. Nahezu sicher, dass Kreuzberg Frauen mochte. Warum auch nicht? Er hatte während seiner Ehe eine Affäre mit einer Düsseldorfer Schülerin.

Foto: Hartmut Flothmann, Idstein

Aber Pitt blieb bei seiner Frau, pflegte sie wegen einer psychischen Erkrankung viele Jahre. Im Alter, nach dem Tod seiner Trudel, verliebte er sich in eine wesentlich jüngere Frau. Vielleicht gab's das ein oder andere Techtelmechtel. Von „nichts anbrennen lassen" kann meines Erachtens freilich keine Rede sein.

Arlt: Auffallend, Kreuzbergs umfangreiches Werk gezielter betrachtet, die stilistische Plu-ralität. Realismus und Objekttreue hier, dort leicht Kubistisches, schließlich Expressionismus oder Jugendstil-Anlehnungen. Wie, im doppelten Wortsinn, verarbeitete der Künstler epochale Strömungen - etwa zwischen 1933 und 1945?

Bales: Flott entgegnet: auf seine Weise. Pitt Kreuzberg ist in keine Kunstrichtung einzuordnen. Das schließlich macht ihn so interessant. Er lässt sich stilistisch wohl kaum der Eifelma-lerei zuordnen, grundsätzlich überhaupt keiner Kunstströmung. Es gibt bislang nirgendwo eine umfassendere Analyse seines Gesamtwerkes. Gleichwohl sind Einflüsse erkennbar. Kreuzberg ist, wie wir alle, ein Mensch seiner Epoche. Wiederholt betonte er, an keine Richtung gebunden zu sein. Entwicklung war das Geheimnis seiner Kraft und Fähigkeit. Die Darstellung des Wesenswahren der Erscheinungen hielt er für seine Aufgabe. Das mag sich für heutige Ohren überspitzt anhören, ist aber eine hohe Auffassung von Kunst. Mit Pitts Bildern müssen Interessierte sich konzentriert beschäftigen, um sie zu verinnerlichen. Ich bin weit davon entfernt, alle seine Schöpfungen verstanden zu haben. Jedoch habe ich mich auf das von ihm geforderte Hineinvertiefen eingelassen und Erstaunliches erfahren, darunter viel Zeitgeistiges. In den NS-Jahren arbeitete Kreuzberg behutsamer. Er war nicht engagiert antifaschistisch, wollte in Ruhe gelassen werden und malen, versuchte Balance zu finden, um seine Existenz nicht zu gefährden.

Arlt: Wie einfach oder schwierig waren die vermutlich weitfächrigen Recherchen in dem verhältnismäßig wohl überschaubaren Pitt-Kreuzberg-Nachlassumkreis? Bales: Sehr umfangreich. Ich hatte den Anspruch, Kreuzberg möglichst authentisch, mit sämtlichen denkbaren Hintergründen darzustellen. Damit meine ich keineswegs nur 80 Jahre deutsche Geschichte. Schwierig waren die Recherchen über Pitts Studienzeit, die erste Phase in Düsseldorf vor 1914. Dann das zweite Mal Düsseldorf, nach der mörderischen Erfahrung des ersten Weltkrieges. Die vielen verlorenen, verfemten und vergessenen Künstler, schließlich die als entartet eingestuften Malerkollegen. Dabei tauchten immer wieder neue Fragen auf. Es gab unzählige Gespräche, Mails und Telefonate, unter anderem mit Zeitzeugen. Sehr hilfreich war das Buch der Volksbank Rhein-Ahr-Eifel, in dem zahlreiche Kreuzberg-Kenner zu Wort kommen und viel Zeitgeschichtliches beschreiben. Jan Wilbert hat eine hervorragende Homepage mit sämtlichen Kreuzberg-Bildern und Dokumenten eingerichtet. Mir standen Privatbriefe zur Verfügung, wissenschaftliche Ausarbeitungen und so fort. Das alles erleichterte die umfangreichen Recherchen.

Arlt: Pitt Kreuzberg wird wiederholt genannt als ein Vorläufer der „Neuen Wilden", also jenen heftigen Pinselartisten der frühen 1980-er Jahre, wie etwa Peter Bömmels, Walter Dahn, Milan Kunc, Albert plus Markus Oehlen, Salome. Teilen Sie diese Beurteilung oder sehen Sie hier zu viel und falsch zugedachte Ehre? Bales: Spannend zu erfahren, was Pitt heute dazu sagen würde. Ich bin nicht sicher, ob man ihn als Vorläufer einer schöpferischen Strömung sehen kann, die in den späten 1970er Jahren notwendig wurde. Die Kunst der Jungen Wilden ist zwar stark expressiv, die Hintergründe aber sind unterschiedlich. Vorläufer war Kreuzberg für andere Strömungen, die uns heute selbstverständlich sind. Er war ein früher Grüner, ein Alternativer, ein Mahner vor Umweltkatastrophen und Kriegen.

Arlt: Gelegentlich ist die Rede von Ute Bales als zeitgemäße Sachwalterin Clara Viebigs. Teilen Sie diese Einschätzung oder sehen Sie hier zu viel und falsch zugedachte Ehre? Bales: Das sollen andere entscheiden. Clara Viebig ist ein großes Vorbild und sicherlich bin ich von ihr beeinflusst worden.