Ein „Dornröschen" wird gerettet

Oberehe und sein Schloss

Alois Mayer, Daun-Pützborn

Die „herbe und ach so raue Eifel", wie sie von vielen beschrieben wurde, war dennoch schön und lieblich genug, um als Wohnsitz für viele feudale Familien in herrschaftlichen Häusern, Ritter auf Burgen, Grafen in Schlössern zu dienen. Die Eifel war reich an Burgen. Allein im Vulkaneifelkreis existierten und bestehen noch (genutzt oder als Ruinen) bis zu 100 Burganlagen. Eine davon - ein wenig beachtetes Kleinod, ein barockes Schlösschen -befindet sich mitten in einem kleinen Ort, der seinen mittelalterlichen Namen von Yee über E und Overee zum heutigen Oberehe wandelte. Dicht an einer ehemaligen Römerstraße liegend, fanden „erlauchte" Herren das sanfte Tal des Ahbaches recht günstig, dort zu siedeln und wahrscheinlich gegen Ende des 12. Jahrhunderts den Grundstein zu einer Burg zu legen. Dabei entspricht das Wort „eine" schon nicht mehr der Wahrheit, denn Oberehe erlebte zwei Burgen.

Die Nellenburg

1218: In einer Stiftungsurkunde des Klosters Niederehe wird erwähnt, dass Nikolaus von Broill (= Brohl) in Oberehe eine Burg bewohnt. Sie wird „Nellenburg" genannt und stand in unmittelbarer Nähe der heutigen Burggebäude, mitten im Ort Oberehe an der Hauptstraße. Diese war als „Koblenz-Lütticher Bezirksstraße" eine bedeutsame Verbindung, die von Dreis über Hillesheim in den heute belgischen Raum führt. Woher der Name Nellenburg sich ableitet, ist noch nicht geklärt. 1300: Im Liber valoris1 der Erzdiözese Köln sind ein Pastor (Rektor) der Kirche und ein Nikolaus von Broill, Burgherr zu „Overe" verzeichnet. Oberehe lag damals im kurtrierischen Amt Daun. Die kleine befestigte Nellenburg mit Hof, Ökonomiegebäuden und Gütern gehörte jedoch als Lehen den mächtigen Grafen von Blankenheim-(Manderscheid-Gerolstein). Und die Ritter von Oberehe standen als Burgmannen im Dienste der jeweiligen Grafen von Blankenheim. So kann man urkundlich erfahren, dass Burgmann Richard von Oberehe, der Sohn Balduins, 1333 von Herrn Gerhard von Blankenheim für seine Dienste mit 40 Mark belehnt wurde.

1405: Noch einmal erwähnen Urkunden einen Diedrich von Oberehe, als er einen Vertrag siegelt, in dem Else Koleuen (Kolf) von Münstereifel dem Grafen Gerhard von Blankenheim 44 Kronen aushändigt, als Teiltilgung ihrer großen Schuld von 300 Gulden.

Oberehe-Eingangstür zum Schloss

Vermutlich ist mit diesem Diedrich das kleine Rittergeschlecht derer von Oberehe ausgestorben, denn bereits ein Jahr später (1406) wurde sein Schwiegersohn Wilhelm von Heyer mit den Obereher Gütern belehnt. 1492: Thomas Print von Horchheim, genannt „Broel", wird vom Grafen Manderscheid-Blankenheim mit Gütern und Rechten zu Oberehe belehnt. Er heiratete 1496 die Margarethe Haust von Ulmen. Während seiner Regierungszeit werden in den Jahren von 1496-1543 sowohl die heruntergekommene Nellenburg als auch die schadhafte Kirche völlig erneuert. Er starb 1543 als Amtmann zu Kronenburg (Kreis Euskirchen).

Dessen Sohn, ebenfalls mit Namen Thomas Print von Horchheim (und Herr zu Thor und Oberehe, Amtmann zu Steinfeld) heiratete Anna von Orsbeck und gelangte so auch in den Besitz des Hauses Wensberg bei (Ahr-)Brück. Auf seine Veranlassung hin, wurden das Vermögen und die Stiftungen der „St. Georgskapelle" zu Wensberg (Kreis Altenahr-Ahrweiler) auf die Pfarrkirche zu Oberehe übertragen.

Wappen Joh.Christoph von Veyder über der Eingangstür

Was die Herren Print von Horchheim, genannt Brohl, in Oberehe für Rechte hatten, liest sich dann so: „Oberehe hait Broill einen scheffen-stoill, dingt umb peicht und zinß, renth und gefelle, hait nichts an der hoehen oberkeit. Derglichen der Gerhartsteinerhoef, der nu auch Broelß ist, hait kein verpott zu thun sunder unser gnedigster churfürst und her allein. Den Zehenden zu Oberehe hait pastor halff und Broell halff, die muell daselbst an Broelen, gibt 6 malter korns." (Die Herren von Brohl haben einen richterlichen Schöffenstuhl in Oberehe und dürfen Pacht und Zins, Renten und Gefälle2 beziehen, aber keinerlei Recht, zu richten. Ebenfalls gehört ihnen der Gerol-steinerhof, sie dürfen dort aber kein Gericht halten. Das steht einzig und allein unserem gnädigsten Kurfürsten zu. Von dem Zehnten zu Oberehe erhält der Pastor die eine Hälfte, die andere die Familie von Brohl. Die Obereher Mühle muss der Familie von Brohl einmal im Jahr sechs Malter3 Korn abliefern.) Aus der Ehe Thomas Print von Horchheim mit Anna von Orsbeck zu Wensberg ging Sohn Nikolaus hervor. Dieser war Kanzler und Rat des Herzogs von Jülich und Amtmann zu Mettmann. Er heiratete Maria von der Horst zu Heimerzheim und zeugte die Tochter Maria Elisabeth. Diese heiratete in erster Ehe den Edmund von Metternich zu Vettelhoven und in zweiter Ehe den Johann Bertram von Gertzen, Freiherr von Sinzig. Durch diese Erbereien kamen 1640 Teile des Burganwesens in Oberehe in das Eigentum der Sinziger Familie. Andere Teile gingen über in die Familie des Wilhelm Spies von Büllesheim zu Schweinheim, der Maria Katharina geheiratet hatte, Schwester von Maria Elisabeth.

1673: Dieser Sinziger Teil der Nellenburg gelangte als Heiratsgut an die Familie von Pallandt4, die kurze Zeit später auch noch den restlichen Teil (von der Familie Spies von Büllesheim zu Schweinheim) käuflich erwarb. Neben dem Grundbesitz waren damals auch zwei Bauernhäuser (Lehnsfamilien: Jakob Sprünker und Peter Reich) diesem Adelsgeschlecht lehnspflichtig. 1680: Im Zuge der Reunionskriege5 marschierten französische Truppen kreuz und quer durch die Eifel und zerstörten dabei äußerst viele Burgen. Auch die kleine Nellenburg in Oberehe wurde von französischen Truppen unter Marschall Fourille so gründlich verwüstet, dass sich eine Renovierung nicht mehr lohnte. Zurück blieben wenige Ökonomiegebäude und ein stark verschuldeter Besitz. Die Familie von Pallandt verlor ihr Interesse an ihrem Burgteil und den gering ertragreichen Besitzungen. Deshalb verkauften sie ihre Güter 1692.

Das Schloss

Es war Johann Christoph von Veyder6, Herr zu Malberg, der dieses Obereher Trümmergrundstück der Nellenburg erwarb. Unmittelbar diesem gegenüber ließ er nun in den Jahren 1696 - 1698 eine neue Burg als befestigten Gutshof errichten. Dabei wurden die noch bestehenden älteren Wirtschaftsgebäude (aus dem Jahre 1667) mit einbezogen und auch Baureste der zerstörten Nellenburg verwendet. Nunmehr entstehen ein dreigeschossiger frühbarocker Hauptbau mit rechteckigem Grundriss, ein säulengeschmücktes Eingangsportal (mit Ankerzahlen 1696) und ein malerisch breites, von zwei quadratischen Türmen eingefasstes Torhaus mit Schießscharten. Über dem Toreingang zum Hauptbau ist ein steinernes Wappen der Familie von Veyder angebracht. Hinter dem neuen Burghaus wird ein trapezförmiger Garten mit einem sechseckigen Gartenpavillon angelegt, heute umgestaltet zu einer kleinen Johanneskapelle. Das gesamte Anwesen schützen hohe und starke Umfassungsmauern.

So bietet diese Burg, in der Folgezeit auch meist Schloss Oberehe genannt, ein schönes Beispiel für damalige kleinere Landsitze in der Eifel, das hier der Familie Veyder zur Verwaltung ihrer Ländereien, aber auch als Erholungssitz diente. Anfang des 18. Jh.: Ernst von Veyder, zwischenzeitlich zum Baron avanciert, verkaufte den befestigten Gutshof an Johann Hugo Freiherr von Metternich.

1794: Als Folge der Französischen Revolution drangen französische Besatzungstruppen in die Eifel und annektierten linksrheinische Gebiete. Die Revolutionsregierung ließ nahezu alle feudalen und klösterlichen Besitzungen beschlagnahmen und säkularisieren. Darunter auch das Eigentum des Fürstenhauses von Metternich-Winneburg. 12.11.1807 wurde in Trier die Burg in Oberehe mitsamt ihren Gütern und Ländereien zur Versteigerung angeboten. Das eine Gut, bestehend aus Garten, Baumgarten, Wiese und Acker, dessen Pächter Herr Hackels aus Oberehe war, wurde für 970 Francs (258 Taler) versteigert. Das andere Gut („die Burg", bestehend aus einem Haus, Scheunen, Hof, Ställe, einem alten unbewohnten Haus, drei Gärten, fünf Wiesen und sieben Äckern, bisher gepachtet von Herrn Herres, Oberehe, wechselte für 6325 Francs (1683 Taler) seinen Besitzer. Die restlichen Ländereien und Wiesen wurden in sieben Parzellen zu 3195 Francs (850 Taler) verkauft. Alle Besitzungen ersteigerte der reiche Großgrundbesitzer Lambert Becker aus Rockeskyll. Seine Nachkommen nutzen sie bis 1972 landwirtschaftlich. 1900/01: Links neben der Obereher Burg am Torgebäude stand eine alte barocke Kirche, inmitten eines Friedhofes. Sie war ein einschiffiger Bau, dem heiligen Apostel Jakobus geweiht, mit kleinem rechteckigen Chorhaus und schmaler Sakristei. Stark baufällig geworden, wurde sie nun abgerissen und nach Plänen des Architekten Julius Wirtz aus Trier durch einen neugotischen Neubau in der Ortsmitte ersetzt. An der Stelle der ehemaligen Kirche war ein schlichtes großes Holzkreuz in die Burgmauer eingelassen. Die heutigen Besitzer ersetzten es durch ein Buntsandsteinkreuz. Bittere Kriegsjahre musste das Burgschloss Oberehe erleben, degradiert zu einem Bauernhof mit Ökonomiegebäuden, die zunehmend verfielen, militärische Besetzung und Zwangsevakuierung aller Dorfbewohner in die Burg, eine Gaststätte und das „Sälchen", in dem es teilweise rau und derb zuging. Die Jahrzehnte kamen und gingen und ließen zunehmend ein Anwesen zurück, dessen Ende sich anzudeuten schien. Und dann kam, wie im Märchen, eine Familie, die sich in dieses „scheinbar tote Dornröschen" verliebte und es wieder zu neuem Leben erweckte.

1972 bis heute: Die Burganlage befindet sich im Privatbesitz der Familie Graf von Preysing. Diese aus Niederbayern stammende Grafenfamilie lässt sie seitdem in liebevoller Eigenleistung und mit der Unterstützung des Landesamtes für Denkmalpflege RheinlandPfalz gründlich renovieren. 1988 erhielt das unter Denkmalschutz stehende Ensemble das Prädikat als „schutzwürdiges Kulturgut" bei bewaffneten Konflikten im Sinne der Haager Konvention. Ebenfalls wurde dieser Burg Oberehe 1989 der Sonderpreis des Kreises Daun für fachgerechte Restaurierung denkmalswerter Bausubstanz verliehen. Bis heute finden ständig Restaurationsund Renovierungsmaßnahmen statt, die dieses prachtvolle Denkmal in seiner einmaligen kultur-und bauhistorischen Besonderheit der Nachwelt erhalten. Wohnräume rund um eine mächtige steinerne Treppe, Kamine und Stuckdecken, passende Möbel und Einrichtungsgegenstände. Aber nicht nur das Haupthaus, auch das so genannte „Jägerhaus", die Außenanlagen, Gärten, Höfe und auch das Gartenhäuschen (jetzt als Johannesoratorium genutzt) wurden restauriert, renoviert und stilgerecht hergerichtet. Es ist den jetzigen Besitzern hervorragend gelungen, aus einer unansehnlichen und kaum beachteten „Dorfburg" zwischenzeitlich wieder ein architektonisches Kleinod, ein verträumtes Schlösschen, entstehen zu lassen.

„Wir haben uns sehr gut in die Gemeinde Oberehe integriert, fühlen uns wohl und haben die Bevölkerung und dieses Anwesen, eingebettet in stille, traumhafte Natur, lieben gelernt", meint Familie von Freysing, und alle Oberehener sind sich einig, dass ihnen und ihrer geschichtsträchtigen Dorfkultur gar nichts Besseres geschehen konnte, als die Initiative und das hohe Engagement dieser Familie, die aus einem heruntergekommenen Anwesen wieder das Obereher Schlösschen entstehen ließ.

Das Eingangstor, flankiert von zwei mächtigen Torgebäuden

Quellen und Literatur:
Barsch Georg: Eiflia illustrata oder Geographische und historische Beschreibung der Eifel. Osnabrück 1966 Brommer, Peter, Die Ämter Kurtriers. Grundherrschaft, Gerichtsbarkeit, Steuerwesen und Einwohner. Mainz 2003 Mötsch Johannes: Regesten der Urkunden im Archiv der Fürsten von Metternich im Staatlichen Zentralarchiv zu Prag. Bd. 2, Koblenz (2001)
Mayer Alois: Untergegangene kirchliche Einrichtungen im Kreis
Daun in: Jahrbuch Kreis Daun 1986
Schieder Wolfgang: Säkularisation und Mediatisierung. Die
Veräußerung der Nationalgüter im Rhein-Mosel-Departement
1803-1813, Boppard, 1987.
www.torhaus.de Anmerkungen:
1 Liber valoris (Coloniensis dioceses) ist ein Steuerverzeichnis der Kölner Erzbischöfe. In ihm enthalten sind alle ihre Besitzungen und die Angaben über (steuerliche) Abgaben.
2 Gefälle sind verschiedene (steuerliche) Abgaben oder Einnahmen aus kirchlichen oder gerichtlichen Bereichen.
3 Malter = Volumenmaß für Getreide, hier ungefähr 12-15 Zentner Korn
4 Die Familie derer von Pallandt (Pal(l)ant, Palandt) war ein rheinisches Adelsgeschlecht, deren Stammsitz in WeisweilerEschweiler war. Sie zählte mit zu dem reichsten und einflussreichsten Adel des Herzogtums Jülich.
5 Die Reunionskriege setzten sich zusammen aus dem „Devolutionskrieg von 1667/68", dem „Holländischen Krieg von 16721679" und dem „Pfälzischen Erbfolgekrieg von 1688-1697). Die Franzosen, verbündet mit den Engländern, drangen in die Niederlande, in die Eifel und Pfalz ein, verwüsteten sie und zerstörten dabei nahezu alle pfälzischen und Eifeler Burgen.
6 Johann Christoph von Veyder (* um 1647 in Malberg; + 3. 4. 1716 in Kerpen), Herr von Malberg, Meer- und Bettenfeld, Oberehe, Hohenfels und Heyer sowie Statthalter des Herzogs von Arenberg. Ihm gelang 1710 die Aufnahme seiner Familie in die Ritterschaft des Herzogtums Luxemburg und der Grafschaft Chiny. Er heiratete in Koblenz am 7. 7. 1680 Maria Catharina von Solemacher (* 18. 10. 1653 in Koblenz; + 20. 12. 1700 in Oberehe).