Delikte in Salm vor 300 Jahren

Die Rechtsfälle im Kailer Jahrgedingsprotokoll von 1714

Claus Rech, Trier

Seit dem Spätmittelalter gehörte das Dorf Salm zum Bezirk des Oberkailer Hochgerichts. Die Manderscheid-Kailer Grafen waren in Salm alleinige Gerichtsherren. Damit konnten sie über sämtliche Delikte Recht sprechen - vom kleinen Vergehen bis hin zur Straftat. Dies geschah alljährlich beim Oberkailer Jahrge-ding. Immer wenn das Gericht zusammenkam, mussten die Salmer Dorfbewohner in Oberkail erscheinen, um ihre Klagen vorzubringen oder auch, um Urteilssprüche entgegen zu nehmen. Die Jahrgedinge standen als Gerichtsverhandlungen unter der Leitung eines juristisch geschulten Vertreters des Grafen. Die Urteile fällte er zusammen mit sieben Schöffen, von denen einer in der Regel aus Salm stammte. Aus dem Jahre 1594 ist beispielsweise Peter Scholthiss als Salmer Schöffe bekannt. Er wird im Kailer Hochgerichtsweistum genannt, in dem der Graf zusammen mit den Schöffen die Rechtsordnung der Herrschaft niederschreiben ließ1.

Im Jahre 1714 wurde das Oberkailer Jahrgeding von Notar Nikolaus Holzem aus Bitburg geleitet. Der Jurist agierte als Vertreter des Grafen Karl von Manderscheid-Kail. Daneben bekleidete Holzem in dieser Zeit das Amt des Gerichtsschreibers der Herrschaft Kail. Der Ort der Gerichtsverhandlung war 1714 einer der Innenhöfe der Oberkailer Burg2.

Die Jahhrgedinge

Auf einem Jahrgeding wurden meist Fragen der niederen und mittleren Gerichtsbarkeit verhandelt. Im 18. Jahrhundert konzentrierten sich die Verhandlungen aber immer mehr auf Fragen der innerdörflichen Ordnung und der Feld- und Waldpolizei.

Die Verhandlung der Delikte fand im Rahmen einer seit langem eingespielten Vorgehensweise statt: Bei der Eröffnung der Gerichtsversammlung las der Vertreter des Grafen den versammelten Untertanen zunächst die alten Grenzbeschreibungen der Herrschaft vor und gab allgemeine Dinge bekannt. Dann folgte die eigentliche Verhandlung, in deren Verlauf man die Delikte der Beschuldigten vorbrachte. Die Betroffenen konnten sich im Anschluss dazu äußern. Danach beratschlagten die Schöffen und der Vertreter des Grafen über die zu verhängenden Strafen. Nach der Urteilsfin-dung schließlich wurden die verhängten Bußen bekannt gegeben. Sie waren meist in Geld zu begleichen.

Neben Fragen der niederen und mittleren Gerichtsbarkeit konnte das Hochgericht auch über schwere Straftaten urteilen. Verhandlungen, bei denen am Ende über Leib und Leben des Angeklagten zu entscheiden war und die zur Hinrichtung des Straftäters führten, waren aber eher selten3. Die Gerichtsverhandlung des Jahrgedings hatte einen feierlichen Charakter, da sich durch sie die gräfliche Herrschaft auch nach außen hin darstellte. Auch das Begleitprogramm unterstrich diese Bedeutung: Auf die Verhandlung folgte jeweils ein „geselliger Teil", bei dem die Schöffen noch ein ordentliches Mahl verspeisten und einiges an Wein und Bier konsumierten. Da bei den Jahrgedingsterminen viele Menschen zusammenkamen, kann man sich vorstellen, dass die Untertanen diesen Anlass auch für den gegenseitigen Austausch oder wichtige Absprachen nutzen.

Was bei den Kailer Jahrgedingen verhandelt wurde, lässt sich für die Zeit von circa 1590 bis 1647 und von 1701 bis 1793 aus den überlieferten Protokollen ermitteln. Wohl bedingt durch die zahlreichen kriegerischen Ereignisse, fehlen die Akten für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die Jahrgedingsprotokolle sind in den Oberkailer und Manderscheider Akten des Bestands Manderscheid-Blankenheim im Herzog von Croy'schen Archiv in Dülmen überliefert4.

Das Kailer Jahrgeding von 1714

Die Jahrgedinge waren in erster Linie mündliche Verhandlungen, deren Ergebnisse allerdings schriftlich dokumentiert wurden. Die Jahrgedingsprotokolle beginnen immer mit einer feierlichen Einleitung, die den Leser über Sinn und Zweck dieser offiziellen Dokumente informiert. So heißt es 1714 (siehe Foto)5: „Heuth den 22t[en] 9bris ist das Hochgerichts Jahrgeding der Herrschafft Kayll nach uhralt[em] wolbrach[tem] gebrauch renovirt

Einleitungstext zum Kailer Jahrgedingsprotokoll von 1714. Quelle: Herzog von Croy'sches Archiv zu Dülmen, Bestand Manderscheid-Blankenheim, 11, 4.

und gehalt[en] word[en], Und nachdem es durch die Hochgerichts Scheffen gebannet und befreyet, hat der Bot nach denen ab- und ahn-wesenden inquirirt und ausgeruff[en]." Wer zum Jahrgeding in den Kailbachort kam, wird anschließend aufgelistet. Die beim Jahr-geding Anwesenden stammten aus den Orten des Oberkailer Hochgerichtsbezirks. Er war größer als die eigentliche Herrschaft Kail. Außer Salm gehörten zu diesen Gerichtsbezirk Oberkail, mit Eulendorf, Biermühle, Schwarzenborn, Eisenschmitt-Überscheid, Musweiler, mehrere Höfe in Gindorf und Orsfeld sowie die Höfe Schwickerath und Desserath6. Mit Ausnahme der Hofleute aus Schwickerath und „Deistert" (Hof Desserath nahe Deudesfeld), die nicht benachrichtigt worden waren, erschienen 1714 sämtliche erwachsene Untertanen aus den Orten des Hochgerichtsbezirks. Zu den Desserather Untertanen wird für zukünftige Jahrgedinge vermerkt: „Deister Hoffleuth (...) sollen hinführo gebotten werden." Auch das Jahrgeding von 1714 begann mit dem Vorlesen der Grenzbeschreibung und einer Aufzählung der Pflichten der Untertanen. Es folgte die Aufforderung, die seit dem letzten Jahrgeding begangenen Übertretungen vorzutragen, die das „sähen, mähen, schelten, schlagen, uberackeren e[t] c[etera]" betrafen. Das bewusste Verschweigen von Vergehen stand unter Strafe.

Die Salmer Delikte 1714

Nach Ermahnungen zur pünktlichen Zahlung der Abgaben an den Grafen und Aufforderungen, der Bekanntgabe von Holzverkaufsterminen und einer Anordnung zur Neubepflanzung von Lichtungen im Wald listet das Jahrgedingsprotokoll die im Jahr 1714 vorgebrachten Klagen auf.

Der Eintrag zur Schlägerei in Salm im Kailer Jahrgedingsprotokoll von 1714. Quelle: Herzog von Croy'sches Archiv zu Dülmen, Bestand Manderscheid-Blankenheim, 11, 4.

Den Untertanen aus dem Hochgerichtsbezirk wurden zehn Vergehen zur Last gelegt. Sie waren vom Schöffenkreis zu verhandeln. Neben den Vorkommnissen in Oberkail, Eisenschmitt und Schwarzenborn werden drei Delikte aus Salm genannt. Sie werden im Folgenden vorgestellt.

Schlägerei: Die erste Klage aus Salm betraf eine Schlägerei, die aus einem Streit heraus entstanden war. Ihre Folgen würden heute wohl dem Tatbestand der Körperverletzung entsprechen. Nachdem bereits Klagen aus anderen Orten des Gerichtsbezirk verhandelt worden waren, heißt es im Jahrgedingsprotokoll: „It[em], das Pesch Hans und georgh lenard von Salm sich in der seiberswiesen zerschlagen." Über die Buße wird berichtet: „Sollen zur Straff zahlen ein Jeder 14 St[ü]b[e]r7." Die Schlägerei war auch eine Störung der inneren Ordnung des Dorfes. Sie ist typisch für die bei den Jahrgedingen verhandelten Fälle, denn Schlägereien kamen in den Dörfern immer wieder vor. Bei Festen wie der Kirmes waren sie sogar fast die Regel. Störung der Flurordnung: Über die Störung der Salmer Flurordnung berichtet der nächste Anklagepunkt: „It[em] der Scheffen von Salm bringt vor, das die im oberdorff8 wohnende einen wegh durch den floir machen und großen schaden dadurch den nachbar[en] verursach[en], begehrt, das dieses abgestrafft und verbotten werde bey peen eines goltgul-den straff." Offenbar ließen sich die eingeleiteten Baumaßnahmen noch relativ einfach rückgängig machen, so dass keine Strafe verhängt wurde; aber für die Zukunft heißt es:

„So worden ohne straff verbotten."

Beweiden fremder Grundstücke: Durch das unerlaubte Beweiden fremder Grundstücke entstanden früher zahlreiche Schäden. Aus Salm wird 1714 berichtet: „Der (durchgestrichen: Scheffen) Mühlen Jo[hann]es bringt vor, das des muhlers pferdt und die kälber, da schneiders Niclas die Huth gehabt, einen Kühe schaden in seinem Cappes gethan.". Der Schaden war also offenbar im Garten des Klägers entstanden.

Als Strafe wird genannt: „Ein Jeder, nemblich der mühler scholtheis, schneiders Niclas wirdt gestrafft ad 14 St[ü]b[e]r." Das Beweiden fremden Grundes war wie der vorherige Punkt ein Verstoß gegen die Feldordnung. Klagen gegen unerlaubtes Beweiden fremder Grundstücke wurden im 18. Jahrhundert immer häufiger9. Insgesamt lagen in Salm 1714 nur kleinere Delikte vor. In einen Fall blieb es bei der Ermahnung durch das Gericht und in den beiden anderen verhängte man niedrige Strafen. Die Salmer Delikte waren typische Vergehen, die immer wieder bei den Jahrgedingen verhandelt wurden.

Weitere Bestimmungen des Jahrgedings

Nach der Liste mit den Vergehen bezieht sich ein weiterer Abschnitt des Jahrgedingspro-tokolls auf die Bezahlung des Boten, der die Untertanen über den Jahrgedingstermin benachrichtigt hatte. Sein Lohn variierte mit der Entfernung zu den einzelnen Orten: „Wan der bott uff Salm geht, hat das gericht ihm taxirt 12 alb[us], uff schwartzenbohr 4 alb[us], uff die schmitt 4 albus, nacher musweiler 12 albus, nach gindorff 4 albus, bier und eulendorf 4 alb[us], kaill 2 alb[us]s, dieser tax betrifft das gebiet[en] der underthanen, und nicht die froenden zu gebieten, so der bot zu thun schuldig, kombt ihm von heutigem Jahrgedingt 15 alb[us]." Abschließend wird dann noch einmal auf die Dinge Bezug genommen, die beim Jahrgeding verhandelt worden waren: „Diese obige Klagen seint heuth, den 22t[en] 9bris 1714 uff gehaltenem Jahrgeding durch Uns Vice Meyer und Scheffen der Herrschafft Kayll der billigkeit gemäß taxirt und moderirt worden, lauth durch darauf gesetzten apostillen; act[um] Uff dem Jahrgeding in Keill im Schloß ahn Jahr und Tag wie oben. Aus Befehl des gerichts." Unterschrieben wurde das Dokument durch den Notar Nikolaus Holzem. Dieser erhielt von einem Herrn Prang, bei dem es sich wahrscheinlich um dem herrschaftlichen Rentmeister handelte, für seine Anreise 2 Reichstaler 36 Albus ausgezahlt. Handzeichen oder Unterschriften der Schöffen fehlen auf dem Dokument.

Einordnung und Ausblick

Die Salmer Vergehen von 1714 sind Beispiele für die alltägliche Delinquenz auf dem Lande. Sie kommen in den Jahrgedingsprotokollen immer wieder vor. Die Zahl dieser Alltagsdelikte war in Salm 1714 aber noch sehr überschaubar.

Die Klagen wurden 1714 durch den Salmer Schöffen und zwei geschädigte Bewohner des Dorfes vorgebracht. Sicherlich betrafen die vorgebrachten Vergehen nur einen Teil der dörflichen Vorkommnisse des vorangegangen Jahres, denn nicht alles wurde vor dem Jahr-geding verhandelt. Vieles regelte die Dorfgemeinde noch unter sich. Im weiteren Verlaufe des 18. Jahrhunderts änderte sich das, denn in späteren Jahrdingsprotokollen füllen allein schon die Salmer Delikte ganze Seiten. Eine verstärkte Kontrolle der dörflichen Verhältnisse durch die Herrschaft dürfte hierfür die Ursache gewesen sein. Salm blieb bis 1762 ein Teil des Oberkailer Hochgerichtsbezirks. In diesem Jahr verstarb mit Maria Anna die letzte Manderscheid-Kailer Gräfin. Es scheint, dass man in der Folgezeit dazu überging, eigene Jahrgedinge in Salm selbst abzuhalten, denn das Protokoll eines solchen Gerichtstermins ist von dort noch aus dem Jahr 1792 überliefert. Das Ende der Jahrgedinge kam dann schließlich mit dem Einrücken der französischen Truppen im Jahre 1794. Die Franzosen beseitigten die alten Gerichtsstrukturen und führten eine völlig neue Rechts- und Staatsordnung ein10.

Anmerkungen:
1 Zum Salmer Schöffen von 1594 vgl. Claus RECH, Das Hochge-richtsweistum von 1594. Die Verfassung der Herrschaft Kail, in: Erich GERTEN / Jörg KREUTZ / Claus RECH, Oberkail. Geschichte eines Dorfes in der südlichen Eifel, Neuerburg 2001, S. 52 - 58, hier S. 53.
2 Das Jahrgedingsprotokoll ist überliefert in Herzog von Croy'sches Archiv (fortan: HCAD), Bestand Manderscheid-Blankenheim (BMB), 11, 4. Dort befindet sich auch das Ernennungsschreiben des Grafen Karl von Manderscheid-Kail für Nikolaus Holzem vom 3. August 1698.
3 Vgl. Eugen HABERKERN / Joseph Friedrich WALLACH, „Ding", in: Hilfswörterbuch für Historiker. Mittelalter und Neuzeit, Bd. 1. A - K, 7. Aufl. Tübingen 1987, S. 149.
4 Siehe hierzu das Verzeichnis der Dülmener Akten bei Ludwig SCHMITZ-KALLENBERG, Nachträge zu den Inventaren der nichtstaatlichen Archive des Kreises Coesfeld (Archiv Manderscheid-Blankenheim in Dülmen u.a.), hrsg. von der historischen Kommission der Provinz Westfalen (= Veröffentlichungen der historischen Kommission des Provinz Westfalen, Heft IVa), Münster 1908, S. 40 und 65.
5 Die Rechtschreibung wird wie im Original von 1714 wiedergegeben.
6 Vgl. die Nennung der Orte in HCAD, BMB, 11, 4, Kailer Jahrgedingsprotokoll von 1714. Während Desserath, Musweiler, Orsfeld und Schwickerath kutrierisch waren, unterstanden die anderen Orte der Luxemburger Landeshoheit. Nur Salm gehörte weder zu Kurtrier noch zu Luxemburg, so dass die Kailer Grafen hier alleinige „Landesherren" waren. Zur territorialen Situation in Salm zu Beginn der Neuzeit seit verwiesen auf Franz Roman JANSEN, Kurtrier in seinen Ämtern, vornehmlich im 16. Jahrhundert (= Rheinisches Archiv 117), Bonn 1985, S. 325, 400, 415, 417 und 499 (Fußnote 27). In der Übersicht von Wilhelm FABRICIUS, Erläuterungen zum geschichtlichen Atlas der Rheinprovinz. Die Karte von 1789. Einteilung und Entwicklung der Territorien von 1600-1794 (= Publikationen der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde, 12), Bonn 1898, S. 346, wird Salm für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts als zum „Hof Gerolstein" gehörig und als Teil der gleichnamigen Grafschaft aufgelistet. Bis 1742 bzw. 1762 war es allerdings noch reichsunmittelbarer Besitz der Manderscheid-Kailer Grafen, vgl. EBD., S. 348 und S. 351 - 352.
7 Dieses und die nachfolgenden Zitate sind aus dem Kailer Jahrgedingsprotokoll von 1714 in HCAD, BMB, 11, 4, entnommen.
8 Die beiden Siedlungskerne des Unter- und des Oberdorfes sind bis heute in Salm erkennbar, vgl. die Karten bei Jochen GEHLEN, Edmund MERTES (Hrsgg.), Salm. Ein Eifeldorf, München 1996, S. 56 ff.
9 Als Hausnamen sind in Salm heute noch die Bezeichnungen „Miela" und „Schneggisch" bekannt, vgl. Jochen GEHLEN / MERTES, Salm, S. 58.
10 Die Einwohner aus Salm werden 1791 und 1792 nicht mehr in der Kailer Jahrgedingsprotokollen erwähnt, vgl. HCAD, BMB, 6, 40. Dagegen ist für 1792 ein „Herrengeding zu Salm" überliefert, vgl. Landeshauptarchiv Koblenz (LHAK) 29 B, 240.