Karl-Heinz Böffgen, Gerolstein
Kaiser Wilhelm II. war anwesend, als am 15. Oktober 1913 die prächtige evangelische Erlöserkirche in Gerolstein eingeweiht wurde. Die Eifel-Zeitung titelte am gleichen Tag ganz groß: „Willkommen Kaiser Wilhelm". Dazu druckte sie ein Gedicht ab, dessen letzte Strophe hieß: „Heil Dir, Du Fürst des Friedens, des Reiches Schutzpanier; Gott schütze und erhalte Dich. - Heil Kaiser Wilhelm Dir!" Doch der Friede war in Europa längst brüchig, die Staaten, durch verschiedene Bündnissysteme verpflichtet, waren aggressiv geworden. Die Gründe, hier nur kurz angedeutet: Nationalismus, Imperialismus und Militarismus. Bei seiner Reise am 15. Oktober 1913 nach Gerolstein wird Wilhelm II. sich ganz sicher an die Manöver erinnert haben, die auch aus strategischen Gründen in der Eifel stattfanden. Er wird ebenfalls bestens darüber informiert worden sein, wie gut das Eisenbahnnetz, auch nach militärischen Belangen geplant, in und durch die Eifel, ausgebaut war. Die Eifel war ein hervorragend geeignetes Aufmarsch- und Mobilisierungsgebiet, ganz nahe am „Erbfeind" Frankreich. Und Gerolstein, die aufstrebende 2.400 Einwohner-Gemeinde, hatte sich zum bedeutenden Eisenbahnknotenpunkt entwickelt. Hier erlebten die Menschen sowohl die Kriegsvorbereitungen als auch den Kriegsbeginn Anfang August 1914 besonders intensiv und hautnah. Im Jahre 1914 verbreitete sich ein Gerücht in der Eifel und erhitzte auch die Gemüter in Gerolstein: Von Frankreich aus bewegten sich große Gold- und Geldtransporte heimlich durch die Eifel nach Russland, zur Unterstützung der gegen Deutschland, Österreich und Ungarn verbündeten Gegner. Bauern sperrten mit Wagen usw. Straßen und Wege, bei der Bevölkerung machten sich zunehmend Nervosität und Unsicherheit breit. In Gerolstein hatte sich bereits vor der Ausrufung der Mobilmachung (1. August 1914) ein so genannter Landsturm gegründet. Diese Organisation, auch als Landwehr bezeichnet, war ein Aufgebot wehrfähiger Männer bis 65 zu Jahren, die zum Schutz vor Spionage oder heimlicher Zerstörung wichtiger Infrastruktureinrichtungen eingesetzt wurde. So verrichtete der jüdische Geschäftsmann Lazarus Levy (geb. 1873, und 1943 von den Nazis im KZ Theresienstadt ermordet) seinen Dienst am Wasserhochbehälter „Lehmen", als er in der Nähe am Auberg eine verdächtige männliche Person herumkriechen sah. Lazarus schoss auf den Mann; weil er aber ein schlechter Schütze war, verfehlte er den Verdächtigen. Letzterer, der Geologe Dr. H. Rauff aus Berlin, erforschte gerade den Gerolsteiner Raum, beendete aber nach dem Zwischenfall umgehend seine Untersuchungen.
Gerolsteins Stadtchronist und Geologe Batti Dohm hat diese Geschichte festgehalten. Er beschreibt als 17jähriger Augen- und Ohrenzeuge die große Kriegsbegeisterung in Gerolstein, den Hilfsdienst der Bevölkerung für die durchziehenden Truppen. „Von den Dörfern kamen die Bauern mit Butter, Brot, Schinken und Dauerwürsten, im Bahnhofsrestaurant wurde offiziell Erbsensuppe ausgegeben." Viele junge Leute, Männer wie Frauen, stellten sich zur Verfügung.
„Hier bei uns (in Gerolstein) hallte es (seit der Mobilmachung am 1.8.1914) straßauf und straßab von den Liedern der Reservisten, die von der Heimat Abschied nahmen. Die Lieder waren z. B.: „Die Wacht am Rhein", „Siegreich wollen wir Frankreich schlagen"."
Foto: Deutsche Soldaten auf dem Weg zur Westfront 1914, aus: Geschichtliche Weltkunde, Bd. 3, Diesterweg 1979
Um den 3. und 4.8.1914 herum trafen dann in pausenloser Reihenfolge Züge mit sächsischen Regimentern ein. Von hier aus marschierten, fuhren oder ritten sie in Richtung Prüm-Luxemburgische Grenze. Diese Regimenter 106, 107 und 108 sowie das der Ulanen Nr. 18 kamen aus Leipzig. Ihre geografischen Kenntnisse waren so mangelhaft, dass sowohl Soldaten als auch Offiziere sich beim Ausladen in Gerolstein wunderten, dass hier Deutsch gesprochen wurde. Der ganz im Westen liegende Teil des Reiches war ihnen völlig unbekannt. Und so glaubten sie, sich hier bereits dicht hinter der Front, fast schon in Feindesland, zu befinden. Auf den Bahnstrecken rollten unaufhörlich Militärtransporte durch Gerolstein. Auf den Straßen in Richtung Westen drängten sich große Kolonnen mit Soldaten und Kriegsgerät. Bei Westwind war in Gerolstein der Geschützdonner von Belgien her zu hören. „Ich führe Euch herrlichen Zeiten entgegen", hatte Kaiser Wilhelm II. seinem Volk versprochen. Doch 1914 war ein Krieg ausgebrochen, der fast alle Staaten der Erde erfasste und annähernd 10 Mio. Menschen das Leben kostete. Der Erste Weltkrieg endete 1918 und Gerolstein erlebte ihn auf Grund seiner bahnstrategischen Lage besonders intensiv, auch wenn es nie direkt in Kriegshandlungen geriet. Etwa 70 Gerolsteiner waren in den Krieg gezogen, die meisten mit Begeisterung; 41 haben ihre Heimatstadt nicht mehr gesehen, ihre Namen sind auf den Tafeln des Ehrenmals am Brunnenplatz eingemeißelt.