Der geliehene Koffer

Richard Würtz, Gerolstein

In den 1950-er Jahren sah es in der Eifel mit Arbeitsstellen nicht gut aus. Das Wort Hartz IV gab es noch nicht. Arbeitslos hieß, sich beim Arbeitsamt melden -sprich „stempeln" gehen. Viele fuhren also dahin wo es Arbeit gab und das war in den großen Städten zwischen Köln und Duisburg. Dort wo nach dem Krieg der Wiederaufbau stattfand. So fuhr auch ich nach meiner Lehrzeit mit einem geliehen Koffer meiner Schwester nach Köln, um dort Arbeit zu suchen. Gleich am ersten Tag war ich erfolgreich und fand eine Arbeitsstelle. Stellte man sich bei einer Firma vor und erzählte, dass man aus der Eifel kommt, so war das schon die halbe Einstellung. Die Eifeler waren als fleißig, ehrlich und zuverlässig bekannt und bei den Firmen bei der Wohnungsnot somit als Arbeiter beliebt.

Die Suche nach einer Wohnung bzw. einem Zimmer war nicht so einfach in der Stadt. Ich hatte aber dann doch Glück und fand nach einigem Suchen ein Zimmer in einem Altbau, dass ich mit einem befreundeten Bekannten teilte. Die Narben des Krieges waren noch in der Stadt zu sehen, so auch hier. Rechts neben diesem Haus waren noch Trümmergrundstücke vom Krieg. Das Wort Appartement gab es für uns nicht und es wäre für uns auch nicht bezahlbar gewesen. Was die Sanitärenanlagen betraf, waren wir nicht besonders gut versorgt. Eine Gemeinschaftstoilette für alle Bewohner der Etagen gab es im Treppenhaus und fließendes Wasser gab es auch nicht im Zimmer. Anstelle dessen hatte uns die Vermieterin eine Schüssel mit frischem Wasser für die kleine Morgenwäsche und einen Eimer für das Schmutzwasser bereitgestellt. Wir hatten aber das große Glück, dass in der Nebenstraße eine Badeanstalt war, wo man für 20 bis 30 Pfennig duschen oder baden gehen konnte.

Als Küchenschränkchen hatten wir ein Möbelstück der Marke „JAVA" (Apfelsinnenkiste) in unserem Zimmer. Die Kiste hatten wir mit Tapete zwecks besseren Aussehens beklebt. Als Selbstversorger war das Küchenschränkchen mit dem Nötigsten bestückt. Es reichte für eine Herdplatte, eine kleine Pfanne, einen Kochtopf, Teller, Tassen und Besteck. Natürlich freuten wir uns auf unser erstes selbstverdientes Geld, was damals noch wöchentlich in der Lohntüte bar ausgezahlt wurde. In den ersten Monaten in Köln kaufte ich mir von dem Lohn neue Kleidung. Ich weiß heute noch, dass ich mir damals einen schönen Tuchwintermantel gekauft habe. Ich habe aber auch wie es damals üblich war, einen Teil des Lohnes an meine Eltern abgegeben. Ab und zu besonders an Feiertagen und zur Kirmes sind wir nach Hause in die Eifel gefahren. Der Zug von Gerolstein zurück nach Köln war sonntags abends bzw. montags morgens so voll, dass man keinen Sitzplatz bekam, da alle wieder in die großen Städte zurück zur Arbeit fuhren.

Nach 1960 wurden die Arbeitsverhältnisse und Möglichkeiten auf eine Arbeitsstelle in der Eifel wieder besser. Auch der Arbeitslohn wurde etwas besser und erhöhte sich. Der Stundenlohn war 1955 in der Eifel circa eine D-Mark, in Köln dagegen betrug er schon 1,80 DM. So kamen mit dem Wandel der Zeit wieder Viele in die Heimat-Eifel zurück. Die Infrastruktur wurde besser in der Eifel und erste Industriebetriebe siedelten sich in der Eifel an. Bei einem solchen Betrieb fand ich Arbeit als technischer Angestellter bis zu meinem Rentenalter.

Den geliehenen Koffer habe ich meiner Schwester natürlich wieder zurückgegeben. Inzwischen hatte ich mir einen eigenen Koffer von dem in Köln verdienten Geld gekauft.