Man muss sich halt zu helfen wissen

Christa Feltgen †, Kerpen

Kinderreichtum war früher ganz normal. Die Kinder waren allgemein brav erzogen, halfen sich untereinander und erledigten meist geduldig alle Arbeiten, die Vater und Mutter ihnen aufgaben. Die Eltern wären sonst mit der Arbeit nie fertig geworden. Dennoch gab es immer wieder gerade unter den Jungen welche, die sich gern verdrückten, wenn sie helfen sollten. Ausreden fielen ihnen im Handumdrehen ein, denn meist war irgend etwas los, wo sie unbedingt dabei sein mussten, ein neues Motorrad im Dorf, die Dreschmaschine war gekommen, oder gar die Dampfwalze. In der Familie meines Onkels, die draußen am Dorfrand wohnten, gab es auch so einen Pfiffikus, der wenig davon hielt, immer wieder auf seine kleine Schwester acht zu geben. Seine Freunde rümpften schon die Nase, wenn er wieder mit dem quirligen Anhängsel ankam. Eines Tages steckte Fritz wieder in so einer Zwickmühle zwischen Pflicht und Vergnügen. Denn unten am Bach, neben der alten Landstraße, hatte einer seiner Kumpane ein Elsternnest entdeckt, das musste doch ohne Aufschub untersucht werden. Vielleicht waren da noch Eier drin? Und gerade an dem Nachmittag musste seine Mutter fort, und er hatte das Schwesterchen am Hals. Unten am Bach lockte der hohe Baum mit dem vielversprechenden Elsternnest, aber wohin mit dem Kind? Schon kam ihm eine Idee: Nachmittags war doch der Gendarm in seinem Büro. Dahin trug er die Kleine. „Dieses Mädchen läuft draußen mutterseelenallein herum. Ich schau mal nach, wohin es gehört!" Der Gendarm fragte das Kind nach seinem Namen, aber den konnte es noch nicht sagen. Er war froh, dass Fritz ihm bei der Suche nach seinen Eltern helfen wollte. Der aber rannte so schnell er konnte zum Bach, wo einer seiner Kameraden schon auf halber Höhe des Baumes war. Aber die Vögel waren klug gewesen, als sie ihr Nest anlegten. Die Räuber versuchten vergeblich ans Gelege zu kommen. Nach dem missglückten Nestplündern lief Fritz zum Gendarm, der die ganze Zeit über mit dem kleinen Mädchen spielen musste um es bei Laune zu halten. Fritz, noch ganz außer Atem, erzählte ihm, das Kind gehöre nicht den Webers, wo er hingelaufen wäre. Müllers würden es suchen und er würde es jetzt heimbringen. Das kam dem Gendarm natürlich sehr gelegen, denn er hatte gerade beschlossen, es ausschellen zu lassen und war froh, dass er das kurz vor Feierabend nun nicht mehr brauchte. Und weil Fritz ihm so gut geholfen hatte, griff er in seine Schreibtischschublade und nahm ein Bonbon heraus für Fritz, der sich mit seiner kleinen Schwester schleunigst auf den Heimweg machte. Kaum waren beide daheim, kam die Mutter zurück. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie so lange weggeblieben war, und weil die Kleine sichtlich in bester Laune war, belohnte die dankbare Mutter Fritz für das gute Kinderhüten noch mit braunem Kandiszucker, dem dicksten Stück aus dem ganzen Glas.

Und Fritz zog Bilanz:

Ohne Schwesterchen ein herrliches Abenteuer erlebt, dem Gendarm glaubhaft einen Bären aufgebunden und noch nicht mal dafür den Hintern versohlt, sondern obendrauf noch zweimal was Süßes bekommen. Was für ein Tag!