Flugzeugabsturz bei Rengen

Neunkirchen - Angriff um Mitternacht

Alois Mayer, Daun

Wrack des englischen Bombers nahe der Rengener Domäne, bei der die siebenköpfige Besatzung verbrannte. Foto: Lothar Schiffels, Rengen

Es war in der Nacht vom 30. zum 31. Juli 1943. Freitag, eine klare Sommernacht, die einen kommenden schönen Sommertag versprach. In Neunkirchen lag alles in tiefem Schlaf. Da wurde gegen 0.30 Uhr die Stille durch dumpfen Lärm von Flugzeugmotoren unterbrochen. Immer lauter wurde das Motorengeräusch, in das sich das hellere Heulen eines weiteren Flugzeuges mischte. Ein großes viermotoriges englisches HalifaxFlugzeug näherte sich von Westen, flog dicht über den schwarz bewaldeten Nerother Kopp hinweg und näherte sich in geringer Höhe dem Dorf Neunkirchen. Erschreckt wachten die Einwohner auf, blickten zu Himmel und konnten sehen, dass diese schwere Maschine, eine Rauchfahne hinter sich her ziehend, in weiter Kurve sich den ersten Häusern näherte. Am Steuerknüppel sitzend, versuchte der 22-jährige Pilot Sgt. Derrick Hadwin seine schwere Maschine noch hochzuziehen und hielt Ausschau nach einem geeigneten Notlandeplatz. Denn dass sein Bomber von einem deutschen Nachtjäger getroffen und schwer beschädigt worden war, war ihm und seinen weiteren sechs Kameraden angstvoll klar geworden.

Charles Gibson, 18 Jahre, er war der jüngste gefallene Soldat der gesamten englischen Luftwaffe.
Foto: Peter Gibson

Die Engländer

Der englische Halifax Bomber mit der Seriennummer JD375 war eins von 264 schweren Bombern des 78. Halifax-Geschwaders. Zusammen mit weiteren zusätzlichen 9 Moskitos war es am 30. Juli 1943 um 22.10 Uhr von dem englischen Flugplatz in Brighton gestartet. Sein Einsatzbefehl lautete, in der so genannten „Battle of the Ruhr" (Schlacht ums Ruhrgebiet) die Stadt Remscheid zu bombardieren und deutsche Industrie zu zerstören.1

Ein unheimliches Grollen, Brummen und Dröhnen erfüllte die Luft, als sich dieser riesige Pulk dem Ruhrgebiet näherte. Der englische Militärbericht beschrieb diesen Angriff als „außergewöhnlich genau und mit einer verheerenden Wirkung in einem Bereich, der nie vorher bombardiert worden war." 15 englische Maschinen gingen bei diesem Luftkampf verloren. 7 Flugzeuge aus dem Verband wurden durch Flakfeuer, und die anderen 8 durch deutsche Nachtkämpferverbände abgeschossen. Der Verlust bestand aus acht Stirlings, fünf Halifaxes und zwei Lancasters.

Angriffsziel - Remscheid

In jener Nacht war Remscheid das Ziel jenes groß angelegten und verheerenden Bombenangriffs. Innerhalb einer Stunde versank die Innenstadt in Schutt und Asche. insgesamt 871 Tonnen Bomben wurden abgeworfen. Dabei wurden 107 Industriegebäude, 3.115 Häuser zerstört, 1.120 Leute wurden getötet und weitere 6.700 verletzt. Viele standen danach vor dem Nichts, hatten Hab und Gut verloren und waren obdachlos. Britische Statistiken nach dem Krieg schätzten, dass 83 % der Stadt Remscheid verwüstet waren. Dieser Angriff warf die deutsche Kriegsproduktion um drei Monate zurück, die auch nie mehr den vorhergehenden Leistungsstand erreichte.

Die Deutschen

Fliegeralarm wurde in den überflogenen deutschen Städten ausgelöst. Angstvoll flüchteten die Bewohner in Luftschutzkeller. Flakfeuer setzte ein. Nachtjäger stiegen auf, jagten dem angreifenden Engländer entgegen, stürzten sich auf das Geschwader. Darunter auch das Zweite Nachtjägergeschwader 1 (II./NJG 1), von dem zu jener Zeit ein Teil in Wengerohr stationiert war.2

Jagdflieger Hauptmann Johannes Hager flog das zweimotorige Kampfflugzeug Messerschmitt, das den englischen Bomber abschoss. Foto: Archiv Alois Mayer

Mit dabei der junge Johannes Hager. Bis zu diesem Datum hatte der junge Leutnant bereits sieben gegnerische Flugzeuge abgeschossen, für die ihm Orden und Beförderungen zugewiesen wurden. Er flog das zweimotorige Kampfflugzeug Messerschmitt (Me 110). Mit wilder Entschlossenheit griff er die englische Luftflotte mit ihren 273 Flugzeugen an, konnte eine Halifax-Maschine aus dem Verband herausdrängen und sie flugunfähig schießen. In seinem späteren Abschussprotokoll wird er angeben, dass er diese Halifax um 00.56 Uhr auf einer Höhe von 5.600 Meter östlich von Valkenburg, abgeschossen habe.

Neunkirchen brennt

Verzweifelt versuchte der englische Pilot, Höhe zu gewinnen, um nicht steil in das Dorf Neunkirchen abzustürzen. Um bei einer Bruchlandung keine Munition mehr an Bord zu haben, warf die Besatzung in ihrer Notlage alle ihre Brandbomben ab, die aber auf Neunkirchen und seine Umgebung fielen. Explosion nach Explosion. Dumpfes Knallen, Krachen und Bersten zerrissen die nächtliche Stille des Pützbachtales. Nun waren alle Dorfbewohner Neunkirchens jäh aus ihrem Schlaf gerissen. Das Dorf hell erleuchtet. Flammen überall. Rufen, Schreien, blökendes Vieh. Anfänglich glaubte man, das gesamte Dorf sei ein Flammenmeer. Doch Glück im Unglück.

Der deutsche Jagdpilot Johannes Hager besuchte die Trümmer der Halifax.
Foto: Archiv Johann Meyer, Berndorf

Die meisten Bomben waren außerhalb des Dorfes gefallen, richteten kaum Schaden an. Doch die, die das Dorf trafen, verwüsteten es. Zwei Häuser brannten bis zum Erdboden nieder. Drei Häuser wurden so beschädigt, dass sie unbewohnbar wurden. 16 Scheunen, darunter auch die Pfarrscheune brannten mit Inhalt total aus. Alles Vieh, außer Kleinvieh, wurde gerettet. Von den vier Brandbomben, die die Pfarrkirche trafen, durchschlug eine das Gewölbe, zertrümmerte zwei Bänke und brannte ein Loch in den Fußboden. Der Brand konnte gelöscht werden, so dass die Pfarrkirche vor größerem Schaden bewahrt blieb. In kurzer Zeit waren die Bewohner der Umgebung: Steinborn, Waldkönigen, Pützborn, Daun und Neroth herbeigeeilt und retteten, was zu retten war. Glücklicherweise war die Nacht ganz windstill, sonst wäre das ganze Dorf den Flammen zum Opfer gefallen. Aber Gott sei's gedankt, es war kein Menschenleben zu beklagen. Wohltuend und dankbar empfand das schwer heimgesuchte Neunkirchen die Anteilnahme des Trierer Bischofs Bornewasser. Er schrieb am 27.8.1943:

„Lieber Herr Pastor Schanz, in tiefem Mitleid habe ich Ihren Bericht über die Schreckensnacht in Neunkirchen gelesen. Ich freue mich mit Ihnen, dass kein Menschenleben zu beklagen ist, aber ich bedaure auch mit Ihnen den großen Schaden, den so manche Ihrer Pfarrkinder erlitten haben.

Ich hoffe, dass mein kurzes Hirtenwort an die Fliegergeschädigten, das am letzten Sonntag verlesen wurde, auch Ihren betroffenen Pfarrkindern etwas Trost gebracht hat. Er wird sicher noch vertieft, wenn sie den großen Hirtenbrief der am Grabe des hl. Bonifatius versammelten deutschen Bischöfe hören werden. Sagen Sie Ihren Pfarrkindern, ich bete für sie und spende Ihnen meinen bischöflichen Segen. Mit freundlichem Gruß,

gez. Franz Rudolf, Bischof von Trier

Tod in der Eifel

Der nicht geplante Bombenabwurf auf Neunkirchen half der englischen Halifax nicht mehr. Unrettbar getroffen, verlor der Bomber immer mehr an Höhe. In einer großen Schleife zog er qualmend und Öl verlierend über den Hunertwald bei Daun, an Boverath vorbei, über den Wald bei Rengen. Vermutlich erkannte der Pilot bei Mond- und Sternenlicht eine äußerst große freie Fläche hinter Rengen, die als Notlandeplatz geeignet schien. Im Steilflug näherte sich die Maschine der Domäne Rengen. Vom ohrenbetäubenden Lärm ans Fenster gelockt, erkannte Frau Kneip, die den staatlichen Domänenhof bewohnte, die riesige Gefahr, die sich ihrem Haus näherte. Die Kinder an sich drückend, sandte sie ein Notgebet gen Himmel.

Paul Kneip erinnert sich noch heute: „Deutlich konnte ich das riesige Flugzeug erkennen. Wie ein großer dunkler Schatten kam es unserem Haus immer näher. Ich hatte Angst, denn ich glaubte, jetzt stürzt es in unser Zimmer. Fast streiften die herausgefahrenen Flugzeugräder unser Dach. ihr Wohnhaus. Wenige hundert Meter dahinter schlug dann die Maschine auf der welligen Grasfläche auf. Dabei fing das Flugzeug Feuer, und die siebenköpfige Besatzung kam qualvoll in den Flammen um. Bald waren Polizei, Sicherheitsbeamte, Soldaten und Gestapo an der Unfallstelle. Die Bevölkerung wurde ferngehalten. Erst am nächsten Samstagmorgen war das grausame Geschehen in seiner Tragik zu erkennen. Über hunderte von Metern verstreut lagen Maschinenteile und qualmende Trümmer. Am Spätnachmittag traf der deutsche Jagdpilot Johannes Hager von Wengerohr aus mit einem Jeep ein. Siegesbewusst betrachtete er die Trümmer und ließ sich in stolzer Pose auf dem Wrack fotografieren.

Johannes Hager war am 16.08.1920 in Pretzier, Kreis Salzwedel, geboren. Als junger Bursche und begeisterter Flieger war er in seinen Einsätzen wagemutig und draufgängerisch. Die Britische Luftwaffe bezeichnete ihn „als ein Nachtkämpfer-As". Am Ende des Krieges hatte er bei 46 Nachteinsätzen und 99 „Feindflügen" eine Abschussrate von 48 Flugzeugen. Allein bei dem Nachteinsatz anlässlich der „Reichsverteidigung" am 21./22.02.1945 schoss Hauptmann Hager, der zwischenzeitlich zum Staffelkapitän der II./NJG 1 ernannt worden war, sechs Flugzeuge ab. Dafür wurde ihm am 12.3.1945 das Ritterkreuz verliehen. Er überlebte den Krieg und starb am 02.09.1993 in Düsseldorf.

Zum Gedenken

Die verkohlten Leichen der bei Rengen abgestürzten englischen Piloten wurden geborgen und auf dem Dorffriedhof Rengen im Schatten der Kirche in allen Ehren begraben. Die Ren-gener Bewohner pflegten diese und andere Soldatengräber so, als wären sie ihre eigenen Angehörigen. Im Frühjahr 1947 traf eine englische Gräberkommission ein, die diese gefallenen Piloten exhumieren und auf den Ehrenfriedhof in Rheinberg in einem Kameradengrab Coll. grave 9. J. 15-21) beisetzen ließ.

Es waren dies folgende Soldaten der R.A.F.V.R. (Royal Air Force Volun-tary Reserve = Freiwillige Reserve der Königlichen Luftwaffe), die ungewollt ihr junges Leben in einem sinnlosen Krieg lassen mussten:

(1) Pilot: Sergeant Der-rick Hadwin, PKZ (Personenkennziffer) 1436394, 22 Jahre, aus Ulverston, Lancashire;

(2) Fl/Eng (Bordmechaniker): Sgt. Bernard John Bond, PKZ 1338770; keine weiteren Angaben

(3) Navigator: Sgt. Arthur Bryce Cresswell, PKZ 1575726, 24 Jahre, aus Rushall, Staffordshire;

(4) Air/Bmr (Bombenschütze): Sgt. George Harold Irons, PKZ 1468380; keine weiteren Angaben

(5) W/Op/Air/Gnr (Richtschütze): Sgt. Alfred Bryden Radcliffe, PKZ 1484662; keine weiteren Angaben;

(6) Air/Gnr (Bordschütze): Sgt. John Charles Gibson, PKZ 1397245, 18 Jahre, aus St. John's Wood, London (er war der jüngste gefallene Soldat der gesamten englischen Luftwaffe!)

(7) Air/Gnr (Bordschütze): Sgt. James Arthur Suffield, PKZ 1623604, 19 Jahre, aus Harrogate, Yorkshire.

„Den Toten zur Ehre,
den Lebenden zur Mahnung"

Dank intensiver Forschung konnte Alois Mayer das Schicksal jenes Todesfluges rekonstruieren, Kontakte zu Familien in England herstellen sowie seltene Fotos auffinden. Der Eifelverein Daun fühlt sich verpflichtet, dieser sieben jungen Soldaten zu gedenken. Er hat für sie einen Gedenkstein errichten lassen, damit auch diese Gefallenen nicht der Vergessenheit anheimfallen, und sie - ebenso wie alle Opfer von Kriegen und Gewalt - uns Lebende mahnen.

Stein des Gedenkens an sieben gefallene Soldaten bei Rengen
Foto: Alois Mayer

Dieser Gedenkstein, umrahmt von Ziersträuchern und geschmückt mit Blumen, steht an einem bei Einheimischen und Gästen unserer Region beliebten Wanderweg. Eine Ruhebank lädt ein zum Verweilen und nachdenklicher Besinnung. Auf dem Gedenkstein stehen die Namen der Gefallenen sowie der mahnende und fordernde Leitsatz: „Willst du Frieden, so gib Frieden".

Literatur:
Boiten Theo: German Nightfighter War Diaries Vol 2
Chorley Bill: Bomber Command Losses Vol 3
Middlebrook Martin: Bomber Command War Diaries
In England wird der Absturz und die Errichtung des Gedenksteines unter anderem erwähnt:
http://www.aircrewremembrancesociety.com/raf1943/hadwin. html
http://www.hexhamcourant.co.uk/tribute-to-ulverston-pilot-1.652985?referrerPath=2.5534
Anmerkungen:
1 Die „Battle of the Ruhr" war die erste Luftoffensive gegen eine wichtige Industrieregion im Deutschen Reich mit schwersten und nachhaltigen Wirkungen, von der sich die „Volksgemeinschaft", Wirtschaft, Kommunal- und Staatverwaltung nicht mehr zur Gänze erholten. Die Bevölkerung war den britischen Bomben nahezu schutzlos ausgeliefert. Schutzmaßnahmen des Reiches erwiesen sich als zu gering und zu improvisiert. Verstärkte Nazi-Propaganda, umfangreiche Evakuierungsmaßnahmen, Kinderlandverschickungen waren unter anderem die Folge. Ganze Stadtviertel der Hansestadt Hamburg waren während der Operation „Gomorrha" in einem „Feuersturm" untergegangen. In Westdeutschland lagen fast alle Großstädte im Rheinland und Ruhrgebiet in Schutt und Asche. Etwa 15.000 Menschen wurden durch die Bombardierungen getötet, (darunter Tausende alliierte Kriegsgefangene, ausländische Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge), Zehntausende weitere schwer verletzt. Die Britische Luftwaffe verlor rund 5.000 Besatzungsmitglieder. Mit dem Flächenangriff auf Remscheid am 30./31. Juli 1943 endete die „Battle of the Ruhr".
2 Das Nachtjagdgeschwader 1, aufgestellt im Juni 1940, war von 1940 bis 1945 zur Luftabwehr in den Niederlanden und am Niederrhein bei der Nachtjagddivision der Luftflotte 2 eingesetzt und ab 1945 zur Reichsverteidigung bei der 3. Jagd-Division des IX. Fliegerkorps.)