Braucht Mürlenbach eine Wasserleitung?

Ernst Becker, Mürlenbach

Diese Frage bewegte vor 100 Jahren die Einwohner des Kyllortes. Lange, viel zu lange, stand man dem Projekt einer zentralen Wasserversorgung ablehnend gegenüber. Von den ersten Überlegungen zur Versorgung der Gemeinde mit Trinkwasser bis zur Realisierung der Wasserleitung im Jahre 1928 vergingen ganze 27 Jahre!

Als der Gemeinderat am 1. Juni 1901 be-schloss „wegen Herstellung einer Wasserleitung bzw. wegen Ausarbeitung eines Projektes sich mit einem tüchtigen Techniker in Verbindung zu setzen", lag wohl noch eine zustimmende Einstellung vor. Dennoch dauerte es fast drei Jahre, bevor der Auftrag zur Aufstellung eines Projektes für die Wasserleitung - an die Firma Jooss Söhne in München - vergeben wurde.

Im Juli 1904 legte die Versuchsstation des landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen in Bonn ihren Bericht über die Untersuchung von Wasser in Mürlenbach vor. Demnach war das Wasser der für die Wasserversorgung vorgesehenen Quelle vollkommen rein und daher zur Speisung der Wasserleitung brauchbar. Fazit: „Das Quellwasser ist völlig einwandfrei, vorausgesetzt, dass Bleirohre nicht zum Einsatz kommen."

Jedoch beschloss der Gemeinderat im Jahre 1906 „die Herstellung einer Ortswasserleitung abzulehnen, da ein Bedürfnis für eine solche nicht vorliegt." Amtsbürgermeister und Landrat wollten einen zustimmenden Beschluss herbeiführen, doch der Gemeinderat stimmte im Juli 1907 erneut gegen die Wasserleitung, mangels eines Bedürfnisses, und beschloss im November 1908, das Projekt endgültig abzulehnen.

Dabei wurde der Bericht der technischen Untersuchungs-Anstalt zu Trier vom 31. März 1907 ignoriert, der lautete: „Eine äußerst unvollkommene und fehlerhafte Wasserversorgung hat der Ort Mürlenbach, der in zwei Ortsteile zu beiden Seiten der Kyll zerfällt. Jeder Ortsteil hat einen Gemeindebrunnen, die beide durch Steine abgedeckt sind, bei längerem Regen aber trübes Wasser liefern. In dem links von der Kyll gelegenen Teile des Ortes sind verschwindend wenig Privatbrunnen vorhanden, so dass die meisten Bewohner auf das Wasser des Braunenbaches, der in die Kyll mündet, angewiesen sind. Im Ortsteil rechts der Kyll sind Privatbrunnen nur in den Häusern vorhanden, die von der Kyll mehr oder weniger weit entfernt gelegen sind. Die Bewohner in der Nähe entnehmen ihr Wasser direkt aus der Kyll. Das Wasser der Kyll und des Braunenbachs wird auch dadurch verunreinigt, dass die beiden Wasserläufe als Viehtränke und zum Waschen der Wäsche benutzt werden. Ein ausgearbeitetes Projekt zum Bau einer zentralen Wasserleitung liegt bereits vor, doch hat sich bisher der Gemeinderat ablehnend verhalten. Da die Errichtung von Privatbrunnen des Untergrundes wegen meist nicht angängig ist, und die völlig unzureichenden beiden öffentlichen Brunnen kein einwandfreies Wasser liefern, so scheint hier eine Abhilfe dringend geboten." In dem Bericht ist die hervorragende Quelle Ir-belsborn in der Nähe des heutigen Don-Bosco-Hauses nicht erwähnt. Hier holten sich die nahe gelegenen Bewohner aus der Birresborner Straße ihr Trinkwasser. Ebenfalls unerwähnt ist in dem Bericht eine alte Wasserleitung aus ausgehöhlten Eichenstämmen, die 1970 bei Arbeiten im Hofbereich der Familie Mergen im Mühlenpesch wieder entdeckt wurde. Hier befand sich nach alten Unterlagen eine Gerberei. Eine dendrochro-nologische Untersuchung ergab das Endjahr 1854 (Jahr der Baumfällung der verwendeten Eichenstämme).

Im September 1907 berichtete Amtsbürgermeister Bauer an den Landrat, dass ohne Zwang die Herstellung einer Wasserleitung nicht zu erreichen sei. Man hatte es dennoch nicht sehr eilig, denn erst im Februar 1911 ersuchte der Landrat den Bürgermeister, einen zustimmenden Beschluss des Gemeinderates herbeizuführen - und anderenfalls die zwangsweise Ausführung beim Regierungspräsidenten zu erbitten.

Wegen der schlechten finanziellen Lage der Gemeinde sollten Mittel aus dem Westfonds beantragt werden. Dieser Fond diente der Förderung von Projekten zur Notstandsbekämpfung in den in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung zurückgebliebenen Gegenden der Rheinprovinz. Die aus diesem Fonds fließenden Gelder für Verbesserungen der Infrastruktur bedeuteten außerdem eine Fürsorge für die Erwerbslosen, die Arbeit und Verdienstmöglichkeiten erhielten.

Obwohl nach und nach bereits viele Ortschaften ringsum eine Wasserleitung hatten, tat sich in Mürlenbach noch nichts. Daher wurde der Kreisarzt des Kreises Prüm zwecks Prüfung der Situation eingeschaltet. Dessen Prüfungsbericht vom November 1911 ist eindeutig: „Öffentliche Brunnen sind zwei im Ort, der auf der rechten Kyllseite gelegene ist wegen Gesundheitsgefährlichkeit geschlossen, der auf der linken Seite verdient das selbe Schicksal. Die Untersuchung hat 7500 Keime/cbm ergeben. Er liegt dicht an der Straßenrinne in der Nähe einer Düngerstätte und sein Wasser ist nach jedem Niederschlag gelb gefärbt. Am Tage der Besichtigung hatte das Wasser eine braune Farbe. Von den Privatbrunnen sind nur zwei oder drei an der rechten Kyllseite in der Birresborner Straße gelegene nicht zu beanstanden, außerdem zwei in der Nähe der Kirche gelegene. Die Schulen sind ohne Wasser. Der weitaus größte Teil des Dorfes ist zwecks Bestreitung seines Wasserbedürfnisses auf die Kyll und den auf der linken Seite in diese mündenden Braunenbach angewiesen. Verunreinigungen der Kyll und des Braunenbaches sind mit bloßem Auge zu erkennen. Trotzdem wird das Wasser auch als Trinkwasser benutzt.

Diese Verhältnisse bilden eine dauernde Gefahr für die Gesundheit und bedürfen deshalb dringend schleuniger Abhilfe. Durch Anlage von Brunnen ist dies nicht zu erreichen. Zentrale Wasserleitung wird empfohlen, zumal eine in jeder Beziehung einwandfreie Quelle gefunden ist."

Doch wiederum kam keine Bewegung in das Projekt. Und drei Jahre später befand sich Deutschland im Ersten Weltkrieg, wodurch wohl das Thema Wasserleitung verdrängt wurde.

Billionen Mark für eine Wasserleitung!?

Erst 1919 wandten sich Landrat und Kreisarzt erneut an den Bürgermeister von Mürlenbach, mit der Bitte, „den Gemeinderat zum Beschluss zu veranlassen. Der Bau kann nicht mehr allzu lange hinausgezögert werden. Die meisten Bewohner der Gemeinde Mürlenbach sind ohne jede Wasserversorgung und genötigt, ihren Wasserbedarf aus der Kyll zu decken, die mit Jauche und sonstigen Abgängen stark verunreinigt ist. Dabei liegt auf dem Banne der Gemeinde eine der besten und stärksten Quellen des Kreises, die Grindelbornquelle, die sich ganz hervorragend zur Speisung einer Wasserleitung eignet."

Die Königliche Landesanstalt für Wasserhygiene in Berlin-Dahlem berichtet im August 1920, dass im Jahre 1918/1919 Erkrankungen an Typhus vorgekommen sind; 29 Personen waren erkrankt, davon drei mit Todesausgang. Sieben Jahre waren seit den Erkrankungen und Todesfällen verstrichen, ohne dass sich in der Angelegenheit Wasserversorgung etwas bewegte!

Zwischenzeitlich, im Februar 1920, beklagten sich Bürger: „In der Neustadtstraße ist eine dem öffentlichen Gebrauch dienende Wasserpumpe, jedoch seit einigen Jahren gebrauchsunfähig. Außer der Kyll hat diese Straße keine Wasserquelle. Bitten, die Pumpe wiederherzustellen und bis dahin den freien Durchgang durch den Gemeindegarten an der Schule vorbei zur Kyll zu billigen." Trotz der desolaten Wasserversorgung tat sich auch in den nächsten Jahren nichts - wahrscheinlich wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage nach dem verlorenen Krieg und der folgenden Hyperinflation. Bereits in den Kriegsjahren 1914 bis 1918 hatte die Mark die Hälfte ihres Wertes verloren. 1921 war die Mark auf ein Hundertstel ihres Wertes und 1922 bereits auf ein Tausendstel entwertet. Im November 1923 war der Wert der Mark auf dem Tiefpunkt angelangt: Für einen US-Dollar mussten 4,2 Billionen Mark gezahlt werden. -Wer sollte da an den Bau einer Wasserleitung denken!?

Erst im Januar 1926 kam endlich Bewegung in die Sache. Es wurden Angebote zur Lieferung von Rohren eingeholt und Verhandlungen bezüglich der Wasserrechte geführt. Das Bürgermeisteramt Büdesheim-Mürlenbach verhandelte mit Heinrich Steinmeyer, der Rechte an der Grindelbornquelle hatte, und mit dem Müller Heinrich Irsfeld, dessen Mühle von der Wasserentnahme betroffen war. Im August 1926 hatte Mürlenbach 861 Einwohner. Zudem waren 486 Stück Großvieh (Pferde, Rinder, Schweine) und 157 Stück Kleinvieh (Schafe und Ziegen) mit Wasser zu versorgen. Die weitaus meisten Familien hatten seinerzeit Vieh. Eine spätere Auflistung zeigt, dass zwölf Familien je sechs oder mehr Stück Großvieh hatten, wobei der reichste Bauer zehn Stück Großvieh besaß. Den Rest hatten viele Kleinbauern, Handwerker sowie Arbeiter, welche die Landwirtschaft als Nebenerwerb betrieben und je ein bis fünf Stück Großvieh besaßen.

Die Gesamtkosten wurden mit 84.000 Mark veranschlagt, davon 8.000 für die Hausanschlüsse. Zudem erhielt die Firma Kaurisch, Trier, 2.000 Mark Honorar für die Entwurfsbearbeitung. Die Kosten der Hausanschlüsse bis in den Keller wollte die Gemeinde übernehmen.

Ein Teil der Einwohner stand der Wasserleitung immer noch ablehnend gegenüber. Wohl wegen der Wassergebühren haben mehrere Bewohner Antrag auf Befreiung vom Wasser-leitungsanschluss gestellt. In der Folgezeit gab es mehrere Einsprüche gegen die Erhebung der Anschlussgebühr bis hin zu rechtlichen Auseinandersetzungen.

Die Bewohner der hochgelegenen Ortsteile Hanert und Altenacker schrieben an die Gemeinde: „Von elektrischem Licht, Wasserleitung und anderen Vorteilen und Begünstigungen, wie die Dorfeingesessenen es genießen, sind wir alle gänzlich ausgeschlossen." Sie bitten, nicht die gleich hohen Umlagen zahlen zu müssen.

Heute sehen wir die Verfügbarkeit von einwandfreiem Trinkwasser in jedem Haus als Selbstverständlichkeit an. Wenn wir den Wasserhahn aufdrehen, sollten wir manchmal dankbar an die Vorfahren denken, die in schweren Zeiten unter großen Opfern die Grundlagen hierfür geschaffen haben.