Besuch im Nostalgikum in Uersfeld

Eine Begegnung mit den 1940-er, 50-er und 60-er Jahren

Gabriele Bußmann, Laubach

An unserer Pinnwand erinnerte uns eine ausgeschnittene Anzeige: „Nostalgikum - Erlebe die ,Gute alte Zeit' der 40er, 50er und 60er Jahre." Das ist die Zeit, in der mein Mann und ich aufgewachsen sind. Interessiert uns beide. Also: Auf nach Uersfeld. Schon im Eingangsbereich des zum Museum umfunktionierten Wohnhauses entlockten uns die Ausstellungsstücke Töne der Begeisterung. „Schau mal, diesen Rühr-Fix hatten wir zu Hause auch. Damit durfte ich immer die Sahne schlagen." - „Da steht ja mein Puppenwagen." - „Meine Rollschuhe!". Und so zogen sich unsere Lautäußerungen von Raum zu Raum. In der Gaststätte von damals sehen wir einen alten Fernseher mit Münzeinwurf. Wenn man einen „Straßenfeger" sehen wollte, musste man schon den einen oder anderen Groschen berappen. Heute nennt sich das Pay-TV. Gleich gegenüber steht eine alte Musikbox. Schmunzelnd nehmen wir uns in den Arm, als

Gerhard Wendland mit seinem Lied „Tanze mit mir in den Morgen" zu hören ist. Auf zwei Etagen und insgesamt ca. 300 m2 nimmt der Besucher teil an dem Alltag der Leute der 40er, 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. Er betritt das Badezimmer mit all den damals gängigen, „modernen" Utensilien. Er besucht wieder die Schule. Allein schon die Erinnerung an die über Schiefertafeln quietschenden Griffel lässt einen schaudern. Auch war der Rohrstock damals selten fern. Weiter geht es zum Friseur. Und da es damals keine höhenverstellbaren Stühle gab, mussten sich die Kinder auf ein Brett setzen, das über die Armlehnen gelegt wurde. Überhaupt fragt man sich - bei all den Brennscheren, Heißlufthauben, Wasserstoffperoxiden -, was man früher für die Schönheit alles erduldet hat. Anschließend geht es zum Einkaufen in den Kolonialwarenladen mit den unvergesslichen Himbeerbonbons. Das versöhnt. Vielleicht ist auch noch etwas auf der Poststelle oder der Gendarmerie zu erledigen. Der Zeitreisende taucht ein in die Zeit alten Handwerks, die es so heute gar nicht mehr gibt: Schuhmacher, Schneider, Sattler und Polsterer, Stellmacher. Und dann ist da noch die Kohlenhandlung mit der Schütte, um die Schwarzkohle zentnerweise in Säcke zu füllen.

Und welcher Zeitgenosse von damals erinnert sich nicht an die eingeklemmten Daumen, bei dem Versuch, die gerade in Mode gekommenen klappbaren Liegestühle aufzustellen? Die Zeit verging kurzweilig. Nach etwa zwei Stunden der „Aahs" und „Oohs" saßen wir gemütlich in der Gaststube bei einer wohltuenden Tasse Kaffee - umgeben vom Ambiente der damaligen Zeit. So lernten wir auch die beiden engagierten Initiatoren des Nostalgi-kums persönlich kennen. Den Geschäftsführer der Touristik GmbH Oberes Elztal, Werner Ritter, und den Ortsbürgermeister von Uersfeld, Andreas Daniels. Die beiden schoben an diesem Nachmittag ehrenamtlichen Dienst und gesellten sich zu uns. Und so erhielten wir noch weitere interessante Hintergrundinformationen zum Nostalgikum. Das Museum, so erfuhren wir, befindet sich in der ehemaligen Jungenschule des Ortes mit gleichzeitiger Lehrerwohnung. 1956 erfolgte dann der Umbau zum Kühlhaus. Danach praktizierte in diesem Haus über viele Jahre ein Arzt. Nach dessen Ruhestand beschloss die Gemeinde, das noch weitgehend im ursprünglichen Zustand erhaltene Haus der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wilhelm Kirchesch aus Münstermaifeld, ein begeisterter Sammler von Gegenständen des Alltags aus jener Zeit, ermöglichte durch die Dauerleihgabe seiner Schätze die Errichtung des Nostalgikums. Als ehemaliger Postmitarbeiter kam er viel in der Gegend herum. Gefunden hat er die kostbaren Exponate im Sperrmüll, auf Flohmärkten, bei Haushaltsauflösungen - über dreißig Jahre liebevoll zusammengetragen. Das besondere am Nostalgikum ist, dass der Besucher selbst zum Teil des Museums wird. Hier wird nicht einfach Wissen von den durch die Ausstellung führenden Personen an die Besucher weitergegeben, sondern der Besucher selbst erzählt möglicherweise zu dem ein- oder anderen Gegenstand eine Anekdote aus seinem Erfahrungsschatz. Diese wiederum fließt ein in die Erzählungen der Museumsführer bei der nächsten Führung. Und so wird es immer neue Geschichten rund um diese Zeit geben, so dass es lohnt, wiederholt vorbeizuschauen. Besonders für Familien ist dieser Besuch eine Bereicherung: wenn die Großeltern ihren Enkeln

Dinge zeigen können, wie zum Beispiel eine mechanische Schreibmaschine oder Telefone mit Wählscheibe. Auch mit einem einfachen Abakus statt mit Taschenrechner oder Computer ließ sich damals vorzüglich rechnen. Ich habe mir sagen lassen, dass ganze Sippen bei ihren Familientreffen einen Besuch im Nostal-gikum einbauen.

Mein Mann ist Software-Architekt und sieht die Dinge vermutlich aus einem anderen Winkel. Er erklärte mir überzeugend, dass es sich bei dem Nostalgikum um ein soziales Netzwerk handelt. Was heute auf Facebook, Twitter und Wikipedia an Vernetzung von Informationen stattfindet, spielt sich auch im Nostalgikum ab. Nur eben ohne den Einsatz von Internet. Menschen verschiedenster Hintergründe und unterschiedlichsten Alters vernetzen sich, indem sie Wissen erinnern, darüber sprechen und somit anderen zugänglich machen. Die Jungen hören und staunen: „Wie ihr damals gelebt habt!". Die Familie hat sich viel zu erzählen.

Eins steht fest: Wir besuchen das Nostalgikum auf jeden Fall noch öfter.