Neue Konzepte sind gefragt Wallenborn wandelt sich

Matthias Thömmes, Philippsheim

An meinen Heimatort Wallenborn habe ich sehr frühe Erinnerungen und beobachte bis heute dessen stetigen Wandel aufmerksam und mit Interesse. Da mein Vater bei Köln Arbeit in der Industrie gefunden hatte, zogen meine Eltern schon 1931 in das nahe gelegene Kendenich, wo ich 1932 zur Welt kam. Zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen gehören heute noch die Fahrten nach Wallenborn zu meinen Großeltern, wenn Vater Urlaub hatte. Die Wochen in diesem Dorf waren immer ein besonderes Erlebnis. Schon allein die Fahrt dorthin war spannend. Wir fuhren mit dem Zug die Eifelstrecke Köln -Jünkerath bis Gerolstein und wurden hier von „Kaprols-Ihm" mit dem Auto am Bahnhof abgeholt. Dieses Auto war damals das erste und für Jahre das einzige, das es in Wallenborn gab. Die Großeltern lebten überwiegend von der Landwirtschaft und besaßen daher ein großes Bauernhaus mit Scheune, Stall und den darin untergebrachten Kühen, Schweinen und Hühnern. Das Wohnhaus war einfach und der Zeit entsprechend eingerichtet mit Küche, Schlafzimmern und guter Stube, in der ein gusseiserner Ofen Wärme spendete. Die Kissen der Betten, in denen wir schliefen, waren mit Dreschabfällen (Koof) gefüllt und man lag auf Strohsäcken. In einer besonderen Kammer stand ein Webstuhl, ein Riesengestell, auf dem Großmutter die Fäden aus dem selbst angebauten und gesponnenen Flachs zu Leinentuch webte. Die fertigen Tücher wurden dann auf der nahe gelegenen Tuchwiese gebleicht, die heute noch davon ihren Namen hat.

Eine besondere Attraktion waren für mich die Arbeiten in der Landwirtschaft, vor allem die Heu- und Getreideernte. Wenn Opa schon früh am Sommermorgen mit der Sense zur Wiese ging, brachten wir ihm gegen 8.00 Uhr das Frühstück und einen Krug Drees. Dieses kohlensäurehaltige Wasser, das aus zahlreichen Quellen rund um Wallenborn sprudelte, war sozusagen das Nationalgetränk der Wallenborner. Anschließend beobachtete ich fasziniert, wie er mit der Sense das noch taufeuchte Gras mähte. Großen Spaß hatten wir Kinder dann, wenn das Heu mit dem Leiterwagen eingefahren wurde. War der Wagen vollgeladen und das Heu mit dem Wiesbaum festgebunden, durften wir hinaufklettern und bis in die Scheune mitfahren. In der Scheune wurde das Heu abgeladen und von uns Kindern auf dem Heuboden eingetreten, was wiederum mit viel Jux verbunden war.

Ähnlich schön war die Getreideernte. Das mit dem Haferkorb gemähte Getreide wurde mit selbst gemachten Seilen zu Garben gebunden und auf „Kasten" gestellt. Etwa sieben Garben wurden zusammengestellt, eine achte als Hut als Regenschutz darübergestülpt. Die Kasten bildeten wiederum einen Grund zum Spielen, denn man konnte sich wunderbar darin verstecken. Es war in jenen Jahren ein imposantes Bild, wenn diese Kasten in Reih' und Glied rund um Wallenborn auf den Feldern standen. Das ganze Jahr über herrschte reges Leben im Dorf. Im Frühjahr ratterten die eisenbereiften Ackerwagen und Pflüge über die holprigen Straßen, um die Frühjahrsarbeiten auf den Feldern zu verrichten. Im Sommer fuhren die vollgeladenen Heuwagen durch das Dorf in die Scheunen. Das gleiche geschah bei der Getreideernte. Im Herbst hatten die Ackerwagen Kartoffeln und Rüben geladen. Im Winter fuhr die Dreschmaschine von Haus zu Haus und es wurde gedroschen und geschlachtet. Bei allen Arbeiten aber war das Schönste: Obwohl man noch keine Erntegeräte hatte, fand man abends immer noch Zeit, sich auf die Bank vor das Haus zu setzen und ein Schwätzchen zu halten. Im Laufe der 1950-er Jahre änderte sich allmählich das Dorfbild. Im Zuge der Auf-räumungs- und Wiederaufbauarbeiten, die der verhängnisvolle II. Weltkrieg auch in Wallenborn notwendig gemacht hatte, wandelte sich auch das Ortsbild. Zunächst wurde eine große Straßenbaufirma beauftragt, eine Kanalisation anzulegen und die Ortsstraßen zu teeren. Die Misthaufen verschwanden, und Ställe und Scheunen wurden zu Garagen umgebaut, da sich nun fast jede Familie ein Auto anschaffen konnte. Im Zuge einer umfassenden Dorfsanierung wurde der Ortskern verschönert und die Kirche erweitert. Dazu kamen ein neues Gasthaus und ein zweites Geschäft. Ein enormer Bauboom setzte ein und erweiterte das Dorf in beachtlicher Weise. Vor allem im Westen Wallenborns, auf der Tuchwiese und am Osthang des Ortes entstanden ausgedehnte Neubaugebiete.

Zahlreiche Männer verdienten in jenen Jahren ihren Lebensunterhalt für die Familie bei auswärtigen Firmen. In der Regel fuhren sie montags morgens zur Arbeit in den Kölner oder norddeutschen Raum und blieben die Woche über bis freitags. Schon nach wenigen Jahren war aus dem ehemaligen, von zahlreichen kleinbäuerlichen Betrieben geprägten Wallenborn ein wohlhabender Arbeiterort geworden. Das Vereinsleben blühte auf; der bereits 1910 gegründete Musikverein erwachte zu neuem Leben, ein Schützenverein wurde gegründet und der Sportverein Wallenborn erlangte vor allem mit seiner Fußballmannschaft enorme Erfolge.

Kommunalpolitisch kam Wallenborn 1950 zum Amt Niederstadtfeld und 1970 im Zuge der Gebietsreform zur Verbandsgemeinde Daun.

1985 wurde unter Bürgermeister Mehler ein Dorferneuerungsprogramm aufgestellt, das unter anderem die Dorfplatzgestaltung sowie den Bau einer Kläranlage und der Kanalisation umfasste. Die Neugestaltung des Brubbels, neue Gasthäuser und Pensionen machten Wallenborn in den letzten Jahrzehnten auch für Touristen attraktiv. Man schätzt heute die Zahl der jährlichen Brubbelbesucher auf über 60000.

Dieser enorme Aufschwung aber zeigte allmählich auch negative Seiten. Der Ortskern starb nach und nach aus, und immer mehr Häuser stehen heute leer. Auch die beiden Gaststätten und Geschäfte mussten schließen. Damit verbunden war ein immer stärker werdender Leerstand der Ortsmitte, dem unbedingt entgegengesteuert werden muss. Wo früher lebendiges Leben pulsierte, Kinder spielten und Leute sich unterhielten, zeigt sich heute gähnende Leere. Tagsüber ist das Dorf wie ausgestorben. Man sieht kaum mehr einen Menschen, und ein Gespräch auf der Straße - wie das früher üblich war - ist kaum noch möglich. Nun sind neue Konzepte gefragt, um dieser negativen Entwicklung Einhalt zu gebieten und den Dorfkern - nicht nur in Wallenborn - wieder neu zu beleben.