Mürlenbach - früher ein Marktort

Ernst Becker, Mürlenbach

Wann Mürlenbach das Marktrecht bekam, liegt im Dunkel der Geschichte. Die erste Nennung eines Mürlenbacher Marktes fand ich aus dem Jahre 1804, in welchem auf St. Bartholomäus-Tag, 24. August, ein Viehmarkt festgesetzt war. Eine weitaus länger zurückreichende Tradition als Marktort ist anzunehmen, in Anbetracht der herrschaftlichen Burg als Mittelpunkt des Besitzes der Abtei Prüm im Kylltal sowie als Pfarrort einer ausgedehnten Pfarrei.

Vor der Zeit der modernen Transportmittel, wie Eisenbahn und Kraftwagen, musste das Vieh zum Markt getrieben werden. Wegen der Wegstrecken lagen die Marktorte recht dicht beieinander, so dass nur wenige zu überregionaler Bedeutung aufblühen konnten. Alle Marktorte im Kreis Prüm, in denen seinerzeit Jahrmarkt abgehalten wurde, sind im Amtsblatt der Regierung zu Trier vom 14. Februar 1826 aufgeführt. Für Mürlenbach war als Markttag der Erste Mittwoch nach Mariä-Himmelfahrt, 15. August, als Kram-und Viehmarkt genannt. Schafe durften nicht aufgetrieben werden. Ob der vorgesehene und

bereits veröffentlichte Markttag des Jahres 1826 aber noch in Mürlenbach stattfand, ist fraglich, denn folgende Verfügung des „Königlichen Staatsministers und Oberpräsidenten Hrn. Freiherrn von Ingersleben Exzellenz", entzog Mürlenbach die Marktrechte zugunsten von Schönecken: Auf Antrag des Königl. Landrats zu Prüm wurde „genehmigt, dass der am 1. Mittwoch nach Mariä Himmelfahrt bisher in der Gemeinde Mürlenbach abgehaltende Jahrmarkt künftighin an demselben Tage in dem Städtchen Schönecken abgehalten werde". Ein kleines Trostpflaster erhielten die Mürlenbacher, indem sie „als Verkäufer von dem üblichen Standgelde befreit sein sollten, so wie solches durch ein Übereinkommen beider Gemeinden bestimmt worden ist". Die Eisenbahnstrecke Köln - Trier, die am 1. Juli 1871 für den öffentlichen Verkehr freigegeben wurde, brachte bedeutende Vorteile für die an der Bahn gelegenen Orte. Auch die Viehmärkte belebten sich, da nun Viehtransporte in entferntere große Städte möglich waren. Mürlenbach, das einen Bahnhof mit Personen- und Güterverkehr hatte, bemühte

sich, wiederum Märkte abhalten zu dürfen. Am 3. Dezember 1873 stellte die Gemeinde die Vorteile vor, die sich durch den Bahnanschluss ergeben hatten. Einige Geduld war erforderlich, bis durch Erlass des Ober-Präsidenten der Rheinprovinz vom 24. Mai 1879 die Abhaltung von zwei Kram- und Viehmärkten am 12. März und am 12. Oktober bewilligt wurde. Wenn einer dieser Tage auf einen Sonntag fallen sollte, war der Markt am darauffolgenden Tage abzuhalten.

Zudem wollten die Mürlenbacher ihren alten, nach Schönecken verlegten Markttag wiederhaben. Der Gemeinderat beschloss am 12. Mai 1881 „ehrerbietigst zu bitten, dass der durch Erlass des Ober-Präsidiums vom 5. Juni 1826 nach Schönecken verlegte Jahrmarkt -abzuhalten am 1. Mittwoch nach Mariä Himmelfahrt - wieder nach Mürlenbach zurückverlegt werde, da die Verhältnisse, die damals die Verlegung des Jahrmarktes rechtfertigten, sich jetzt gänzlich geändert haben und es ferner allgemeiner Wunsch ist, die Märkte am hiesigen Orte vermehrt zu haben." Dieser Bitte wurde jedoch nicht entsprochen. Am 2. November 1889 bittet der Gemeinderat um die Genehmigung des Bezirksausschusses zur Erhebung von Standgeld auf den zwei Kram- und Viehmärkten im Ort, stattfindend am 12. März und 12. Oktober jeden Jahres. Die von der Gemeinde dabei vorgeschlagene Standgeldregelung ist dem Zeitgeist entsprechend weitschweifig und so detailliert, dass sie erstens einen interessanten Blick auf das damalige Angebot der Märkte gestattet und zweitens zum Schmunzeln anregt. Dem Leser dieses Beitrages soll sie nicht vorenthalten werden. Auf der Grundlage, für den Quadratmeter Fläche 0,20 Mark an Standgeld zu erheben, sah das so aus:

a ein Wagen oder zweirädriger Karren zahlt 0,24 M. (gilt als 1,2 (Quadrat)Meter)

b ein Schiebkarren oder Handwagen 8 Pfg (gilt als 0,4 (Quadrat)Meter)

c ein Tragekorb 4 Pfg (gilt als 0,2 (Quadrat) Meter)

d eine Hürde (Kraft eines Mannes) 6 Pfg (gilt

als 0,3 (Quadrat)Meter) e ein Kübel (für lebende Fische etc) 8 Pfg (gilt

als 0,4 (Quadrat)Meter)

f ein Pferd, Ochs, Kuh, Esel 10 Pfg (gilt als 0,5 (Quadrat)Meter)

g ein Koppel Ochsen 20 Pfg (gilt als 1,0 (Qua-drat)Meter)

h ein Kalb 6 Pfg (gilt als 0,3 (Quadrat)Meter)

i ein fettes oder überjähriges sowie Zuchtschwein 6 Pfg (gilt als 0,3 (Quadrat)Meter)

k ein Schaf, Hammel, Ziege etc 4 Pfg (gilt als 0,2 (Quadrat)Meter)

l ein Spanferkel, Hannen, Truthahn, Gans etc. 4 Pfg (gilt als 0,2 (Quadrat)Meter)

m ein paar Tauben, Huhn, Ente etc. 2 Pfg (gilt als 0,1 (Quadrat)Meter)

befinden sich die unter i, k, l, m aufgeführten Tiere auf Wagen, Karren, Pferchen, so wird die Gebühr nicht von der Anzahl der Tiere, sondern von den Behältnissen, ohne Rücksicht auf die Zahl der Tiere entrichtet. Für Buden, Tische, Haufen wird nach Maßgabe des Flächenraumes, welchen sie einnehmen, nach Quadrat-Meter entrichtet. Überragt der Umfang der Karren die Unterlage auf welcher sie sich befinden, so wird nach dem Umfange der ersteren (der Karren) die Gebühr bemessen, bei Waren, welche auf Stangen feilgeboten werden, wird der laufende Meter für 0,3 Quadrat-Meter zu 6 Pfg berechnet. Ist das Vieh, welches die Waaren herangeführt, kein Verkaufsgegenstand, so kann eine Gebühr dafür nicht verlangt werden.

Die vorgeschlagene Regelung kam nicht zustande, denn mit Verfügung des Bezirksausschusses vom 28. Januar 1890 wurde der Antrag auf Genehmigung zur Erhebung von Standgeld abgelehnt. Im Mai 1890 hat die Gemeinde „Land getauscht zur Gewinnung eines Marktplatzes". Wo dieser Platz eingerichtet werden sollte, ist nicht angegeben. Die 92-jährige Frau Susanne Schneider erinnert sich, dass zu ihrer Kinderzeit der Markt in der Dorfmitte, auf dem Platz an der Kirche, abgehalten wurde. Vom Fenster ihres nahegelegenen Elternhauses aus sah sie dem bunten Treiben zu, das sich bis in die einmündende Schönecker Straße und bis über die Kyllbrücke erstreckte. Am Markttag seien auch die Zuchtbullen (Stiere) zur Körung vorgestellt worden.

Die frühere Bedeutung der Märkte als Handelsplattform und Absatzmöglichkeit für die Viehhalter können wir uns kaum noch vorstellen. Folgende Ergebnisse der Viehzählung vom 1. Dezember 1913 sprechen für sich: In Mürlenbach wurden 21 Pferde, 522 Stück Rindvieh, 4 Schafe, 173 Schweine und 89 Ziegen gezählt! Am 23. Dezember 1913 stimmte der Gemeinderat der Festsetzung der beiden Märkte auf den 3. Dienstag im März und Oktober vom Jahre 1915 ab für die Zukunft zu. Im Jahre 1921 war Kram- und Rindviehmarkt am 28. Oktober, und am 19. Oktober 1926 war Kram-, Rindvieh- und Schweinemarkt. Mehrmals haben Viehseuchen den Markt verhindert. 1897 herrschte die Maul- und Klauenseuche. Der Gemeinderat beschloss, die Verlegung des auf den 13. März festgesetzten Kram- und Viehmarktes auf den 12. oder 13. Mai „in Antrag zu bringen". Wegen der Maul-und Klauenseuche im Jahre 1920 erließ der Regierungspräsident eine Anordnung mit dem Verbot aller Klauenviehmärkte. Ebenso wurden der Handel mit Klauenvieh und der Auftrieb auf Jahr- und Wochenmärkte untersagt. Die Markttage hatten eine besondere Anziehungskraft und dienten nicht nur dem Kauf, Verkauf oder Tausch von Waren und Vieh. Es war eine der eher seltenen Gelegenheiten, Bekannte und Verwandte zu treffen und Neuigkeiten auszutauschen. Bauern kamen in weiten Wegen zu Fuß mit ihrem zum Verkauf stehenden Vieh oder um andere Waren anzubieten oder zu kaufen. Andere wollten sich nach einem neuen Koppel Ochsen umsehen. Die Viehhändler hatten ihre eigene Händlersprache, eine Form des Jiddischen, die nur die Eingeweihten verstanden. Im Handeln waren die Bauern den ausgefuchsten Händlern weit unterlegen. Ihre zum Verkauf angebotene Kuh war zu mager und hatte sonst noch allerlei Fehler, wie ein Blick ins Maul des Tieres angeblich bestätigte. Der Bauer wehrte sich zäh, und oft wurde lange gefeilscht, bevor der Handel per Handschlag besiegelt wurde. Die Gasthäuser machten an diesen Tagen Kasse, da das Geschäft begossen werden musste. Tiere, die vor Hunger brüllten, bis endlich der angetrunkene Besitzer mit ihnen den Heimweg antrat, waren keine Seltenheit.

Den Krammarkt belebten Buden mit allerlei ländlichen Geräten und Geschirr für Küche und Haushalt, Strickwaren, Sämereien, Zu-ckerflöckchen, ferner Tuche, Gewürze, Pfeifen, Honig, einen Gummiball für die Kinder und vielerlei schöne Dinge als Mitbringsel für die Daheimgebliebenen.

Am Bahnhof herrschte an Markttagen Hochbetrieb, die Reisezüge waren überfüllt. Bei der Güterabfertigung war „tierisch viel los". Hier konnten für den Transport von einzelnem Kleinvieh eigens dafür vorgehaltene Tierkäfige (die es in zwei Größen gab) gemietet werden. Großvieh wurde über „Verladebrücken" in gedeckte Waggons verladen und zu den Schlachthöfen der größeren Städte transportiert. Hatte ein Händler nicht genügend Vieh, um einen Waggon wirtschaftlich auszulasten, tat er sich mit anderen zusammen. Die zu zahlende Fracht richtete sich nach Art und Zahl der verladenen Tiere - den sogenannten Stückklassen.

Zu der Frage, wann die lange Tradition der Märkte in Mürlenbach endete, habe ich keine schriftlichen Hinweise gefunden. Nach der Erinnerung von Susanne Schneider war der letzte Markttag Anfang der 1930-er Jahre.