Mürlenbach wartet mit Hochspannung auf Strom

Das erste elektrische Licht kam von der Bertradaburg

Ernst Becker, Mürlenbach

Um 1900 kam das elektrische Licht in die ersten Orte unseres Gebietes. Die Gemeinde Mürlenbach beschloss im Jahre 1921, diese Errungenschaft für die Straßenbeleuchtung zu nutzen sowie ihren Einwohnern „ein Licht aufgehen zu lassen". Eine überregionale Stromversorgung durch große Kraftwerke lag damals noch in weiter Ferne. Der Strom wurde vielfach in kleinen örtlichen „Elektrowerken", lediglich für den Bedarf des eigenen Ortes oder für ein kleinräumiges Gebiet, erzeugt.

Erste Schritte zur Stromversorgung von Mürlenbach

Der Unternehmer Mathias Knötgen aus Rodenkirchen bei Köln war einer der Pioniere der Stromversorgung. Bei Densborn - rechts an der Kyll, an der Bitburger Straße - erbaute er eine Wasserkraftanlage. Am 21. Mai 1921 legte Knötgen der Gemeinde Mürlenbach einen Vertragsentwurf zur Strombelieferung von seinem im Bau begriffenen Kraftwerk vor. Vertragspartner sollte die Gemeinde sein, die den Strom einkaufen und an die Abnehmer weiterverkaufen würde. Der Bezugspreis für die Gemeinde war 1,50 Mark (M) je Kilowattstunde. Der Vertragsentwurf versprach der Gemeinde ein gutes Geschäft: „Im Orte Mürlenbach werden jährlich ca. 12.000 Kilowattstunden (kWh) verkauft werden. Wenn die Gemeinde den Verkaufspreis auf 2,90 M setzte, wäre mit einer Einnahme für die Gemeinde von 16.800 M zu rechnen." Ein Strompreis von 2,90 M bedeutete etwa einen halben Stundenlohn eines Arbeiters - für eine Kilowattstunde Strom! Da konnten die Leute das elektrische Licht nur sparsam einschalten. Die Glühlampen hatten meist 25 Watt, aber auch noch schwächere wurden eingesetzt. Ein Vergleich des Stromverbrauchs macht die

enorme Entwicklung in den (nur) rund 90 Jahren bis heute deutlich: Der im Jahre 1921 auf 12.000 Kilowattstunden geschätzte Jahresverbrauch an Strom für die gesamte Gemeinde, einschließlich des Bedarfs für die Straßenbeleuchtung entsprach rund 20 kWh pro Kopf der Bevölkerung. Denn im Kernort - ohne die zu Mürlenbach gehörenden Gehöftegruppen, die nicht für die Versorgung mit Strom eingeplant waren - lebten rund 600 Menschen. Im Jahre 1960 betrug der Stromverbrauch in Deutschland pro Kopf etwa 1.700 kWh. Heute beträgt er das Vierfache dessen, nämlich rund 7.000 kWh pro Kopf.

Die Gemeinde als „Stromunternehmer" hatte das Leitungsnetz und die Trafostation zu errichten und zu unterhalten. Das war finanziell ein dicker Brocken. Es wurden zwei Kostenvoranschläge eingeholt: bei dem Installationsgeschäft Jakob Weiler in Trier und bei der Firma Rheinisches Elektro Werk (R.E.W.) in Aachen. Das R.E.W. war in allen Angebotsblöcken der günstigste Anbieter und erhielt den Auftrag.

Das Elektrowerk Mürlenbach liefert den Strom

Aber noch floss kein Strom von Densborn, denn das Kraftwerk war noch im Bau! Die Mürlenbacher wollten aber nicht bis zu dessen Inbetriebnahme auf Strom warten. Sie wussten sich zu helfen und gründeten ihr eigenes „Elektrowerk". Die auf der Bertradaburg angesiedelte Bierbrauerei und Schnapsbrennerei Kersten hatte einen großen kohlebefeuerten Dampfkessel. An diesen wurde ein Generator angeschlossen, der den Strom erzeugte. Über das Ortsleitungsnetz wurde der Strom zu den Hausanschlüssen geführt. Der Gemeindevorsteher Michels schloss am 11.11.1921 einen entsprechenden Vertrag für die Zeit bis zur Strombelieferung durch das schon genannte Kraftwerk bei Densborn. Die Gemeinde verpflichtete sich, den Strombedarf von dem Vertragspartner Firma Theile zu beziehen. Der an Theile zu zahlende Abnahmepreis der Gemeinde war 5,50 M die Kilowattstunde für Lichtstrom und 3 M für Kraftstrom - ein teures Vergnügen! Den Generator mietete Theile von dem Rheinischen Elektro-Werk in Aachen für 500 M monatlich. Den Dampfkessel mit Zubehör stellte die Bierbrauerei Kersten gegen eine tägliche Gebühr von 23 M zur Verfügung. Seinen Dampfkessel bediente Kersten selbst - als Angestellter von Theile - zum Stundenlohn von 7 M. Als Heizmaterial dienten Kohlen, die per Waggon am Bahnhof Mürlenbach ankamen. Kersten hatte die Kohlen unentgeltlich zum Elektrowerk auf der Burg zu fahren.

Welch ein Aufwand für die aus heutiger Sicht geringe Strommenge! Die Kohlen kamen in offenen Güterwagen der Deutschen Reichseisenbahnen am Güterbahnhof Mürlenbach an. Hier war Muskelkraft zur Entladung der Wagen gefragt, denn es waren noch keine Selbstentladewagen im Einsatz, die durch Schwerkraft auf Förderbänder entladen werden können. Ein Eisenbahnwagen brachte 15 Tonnen Kohlen - da wussten die Arbeiter abends, was sie geschafft hatten! Insgesamt dreimal waren die Kohlen zu schaufeln: entladen aus dem Waggon auf das Fuhrwerk, vom Fuhrwerk abladen ins Elektrowerk und endlich in die Feuerung des Dampfkessels.

Wahrscheinlich bereits im Dezember 1921, einen Monat nach Vertragsabschluss, wurde in Mürlenbach Strom erzeugt - die Lichter gingen an! Das neue elektrische Licht war komfortabel gegenüber den bisher benutzten Petroleumlampen und Kerzen; zudem war die Brandgefahr deutlich geringer! Es war eine wirtschaftlich sehr schwierige Zeit, drei Jahre nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg. Deutschland hatte immense Reparationsverpflichtungen an die alliierten Siegermächte zu erfüllen. Neben Geldzahlungen wurden Güter wie Holz und Kohle verlangt. Die Kohlen wurden bewirtschaftet. Hiervon war auch das kohlebefeuerte Elektrowerk Mürlenbach betroffen. Die französische Besat-

zungsbehörde verlangte einen recht bürokratischen Nachweis über den Verbrauch an Kohlen. Auf fünf verschiedenen zweisprachigen Formularen wurden detaillierte Angaben über den Verbrauch, getrennt nach Fettkohlen, Schmiedekohlen, Magerkohlen, Koks und Braunkohlenbrikett, verlangt.

Strom vom Wasserkraftwerk bei Densborn

In der Zwischenzeit arbeitete der Unternehmer Knötgen mit Hochdruck an der Fertigstellung seiner Kraftwerkszentrale Densborn. Am 27. Februar 1922 genehmigte der Kreisausschuss Prüm unter Vorsitz des Landrates den Vertrag zwischen Knötgen und der Gemeinde Mürlenbach für die Belieferung mit Drehstrom mit 12.500 Volt Spannung. In der Trafostation bei der Bertradaburg erfolgte die Umformung in 380 Volt bzw. 220 Volt. Die Ortsnetzleitung und die Hausanschlüsse waren bereits aufgrund der Stromversorgung durch das Mürlenbacher Elektrowerk in Betrieb. Das R.E.W. hatte auch die HochspannungsFernleitung von Densborn nach Mürlenbach fertiggestellt und die Trafostation stand. Aber es gab noch Probleme - eine Belieferung von Densborn wurde untersagt, da die Ausführung des Ortsnetzes nicht den Post- und Bahnvorschriften entspreche. Der DampfkesselÜberwachungsverein Aachen - der Vorläufer des TÜV - hatte bei seiner Besichtigung im Dezember 1922 gravierende Mängel der Hochspannungsleitung festgestellt: „Das Gestänge ist teilweise recht primitiv. Die Masten an Eckpunkten haben bereits nachgegeben und stehen recht schief. Vor Mürlenbach kommt an einer Stelle der Draht zu nahe an die Erde." Zusammenfassend wird gesagt, dass die 16 qmm Kupfer-Hochspannungsleitung, die nun mit 6.000 Volt betrieben werden soll, sehr viel zu wünschen übrig lässt. Als die beanstandeten Mängel nachgebessert waren, konnte endlich der aus Wasserkraft gewonnene wesentlich billigere Strom fließen - und das Elektrowerk Mürlenbach war Geschichte. Zitat aus der Jubiläumsbroschüre 1100 Jahre Densborn 893 - 1993: „1923. Fastnachtmontag wurde der elektrische Strom eingeschaltet. ...Vorläufig brennt das Licht nur von Einbruch der Dunkelheit bis 24.00 Uhr und von morgens 5.00 Uhr bis es hell wird. ... Strompreis ab 1. Dezember 0,50 Mark/kW." Ob ab Fastnachtmontag 1923 auch die Gemeinde Mürlenbach erstmalig mit Strom beliefert wurde, ist wahrscheinlich, aber nicht belegt. Die Mürlenbacher hatten (am 27.2.1922) mit der Firma Knötgen einen Strompreis von 1,50 Mark/kW vertraglich vereinbart - das Dreifache dessen, das die Gemeinde Densborn zahlte!

Alle beschriebenen Aktivitäten, Verträge und Investitionen für die Elektroversorgung fallen in eine wirtschaftlich sehr angespannte Zeit. Mit Kriegsbeginn 1914 begann eine der schlimmsten Inflationen, die nach dem verlorenen Krieg immer massiver wurde und immer rascher fortschritt. Es ist fast unbegreiflich, wie unsere Vorfahren in der schweren Nachkriegs- und Inflationszeit der 1920-er Jahre die hohen Investitionen in die Infrastruktur meisterten. Denn kaum war die Stromversorgung mit hohen Kosten errichtet, stand eine weitere große Aufgabe an: der Bau der zentralen Wasserversorgung! In einem Schreiben vom 25.2.1927 firmiert das Densborner Kraftwerk als „Eifeler Kraftwerk Densborn GmbH". Aber die Zeiten seiner Selbstständigkeit waren gezählt.

Der Kreis Prüm übernimmt die Stromversorgung

Im Jahre 1927 verhandelte das Kreiselektrizitätswerk Prüm mit dem Bürgermeisteramt Mürlenbach betreffend Stromlieferung und Übernahme der gemeindeeigenen Hochspannungsleitung durch den Kreis Prüm. Der Tarif des Kreises für die Stromabnahme war nach der Abnahmemenge gestaffelt (von 30 Pfennig je Kilowattstunde für Kleinkunden bis 13,5 Pfennig bei größerer Abnahme). Es gab unterschiedliche Meinungen über den Wert der gemeindeeigenen Leitungen. Am 3.11.1933 wehrte sich die Gemeinde und bemerkte, dass „... der Zustand der Ortsleitungen nicht so schlecht sein kann, wie es von Seiten der Vertretung des Kreiselektrizitätsamtes (Prüm) geschildert wird." Die Gemeinde erhielt schließlich am 30.November 1933 eine Abfindungssumme von 3.000 Reichsmark (RM) für ihre Ortsleitungen.

Das Rheinisch Westfälische Elektrizitätswerk (RWE) übernimmt

Keine zehn Jahre später stand der Übergang der Versorgung mit elektrischer Arbeit vom Kreis Prüm an das RWE an. Zu der Sitzung des Gemeinderates am 26. Juni 1936 war der Landrat erschienen und gab bekannt, dass die Kreisüberlandzentrale, die seit 1924 in der Stromversorgung tätig war, nun in das Eigentum des RWE übergegangen sei und empfahl den Anschluss an das RWE. Die Gemeindevertretung Mürlenbach hieß den vom Kreis abgeschlossenen Mantelvertrag gut und übertrug ihre Stromversorgung an den neuen Lieferanten.

Strom für die Gehöfte um Mürlenbach

Die Bewohner des Ortsteiles Hanert beantragten im Januar 1927 den Stromanschluss für ihre acht Häuser. Sie legten einen Kostevoranschlag der Firma Leufer aus Gerolstein über 1.923,66 M vor. Die Kassenlage der Gemeinde ließ die Erfüllung des verständlichen Wunsches jedoch nicht zu.

Ein erneuter Antrag auf Stromanschluss zum Hanert wurde im Februar 1939 vom RWE „wegen der schwierigen Materialbeschaffung" zurückgestellt. Der Zweite Weltkrieg und die folgenden Notjahre gingen dahin. Dann endlich - am 21. August 1955 - fasste der Gemeinderat den Beschluss zum Ausbau der Stromversorgung der Gehöftegruppen Hanert und Altenacker und ließ die Arbeiten noch im gleichen Jahr ausführen. Hierfür wurde bei der Kreissparkasse Prüm ein Darlehen von 3.420 DM aufgenommen.

Im gleichen Jahr - am 9.September 1955 - be-schloss der Gemeinderat, die Gehöfte Steinich und Etzenberg ebenfalls mit Strom zu versorgen. Hierzu war ein weiteres Darlehen von 2.069,88 DM notwendig.

Die Stromversorgung bleibt ein hochspannendes Thema

Die Stromversorgung, die in Mürlenbach vor rund 90 Jahren begann, hat eine bewegte Geschichte. Zunächst wurde der Strom über oberirdische Leitungen geführt. Auf jedem Haus war ein Stromständer mit Isolatoren, über welche die Leitungsdrähte verliefen. Der Hausanschluss erfolgte von diesem Stromständer aus. Diese Leitungen sind inzwischen durch weniger störungsanfällige unterirdische Kabelleitungen ersetzt worden. Neben die jahrzehntelang aus Kohle und Wasserkraft gewonnene elektrische Energie trat 1974 die Atomkraft - mit dem ersten Atomkraftwerk Deutschlands: Biblis A, das im August 2011 endgültig abgeschaltet wurde. Nach der Fukushima-Katastrophe im März 2011 hat Deutschland den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Bis zum Jahr 2022 sollen alle Meiler abgeschaltet sein. Das Thema wird dennoch auf der Tagesordnung bleiben, da die Endlagerung des Atommülls noch ungeklärt ist. Auch wenn eine „Lösung" für die Endlagerung gefunden ist, werden nicht alle damit zusammenhängenden Probleme und Risiken aus der Welt sein. Innovationen brachten vielerlei neue Arten der Stromgewinnung und führten zu dem heutigen Mix aus Kohle, Wasserkraft, Photovolta-ik, Windkraft, Biogas, Erdgas und mehr. Der anfangs sehr teure und für die Verbraucher kaum bezahlbare Strom wurde als Folge des technischen Fortschritts und der immensen Entwicklung der Absatzmengen immer günstiger. Ohne viel Rücksicht auf Ressourcen werden ungeheure Mengen Energie verschwendet. Eine intelligentere und zukunftsfähige Gestaltung der Energiegewinnung kostet sehr viel Geld. Hinsichtlich der Aufgabenstellung zur künftigen Stromversorgung, namentlich Gesundheit, Wirtschaftlichkeit, Landschaftsschutz, ökologische Ressourcen, Nachhaltigkeit, wird noch um den besten Weg gerungen.

Wie gesagt: Die Stromversorgung bleibt ein hochspannendes Thema!