Die Entwicklung schreitet weiter

Die Eifel kein „preußisches Sibirien" mehr

Tamara Retterath, Lirstal

Erzählt mir mein Vater aus seiner Kindheit, dann ist das für mich wie ein Bericht aus einer vollkommen anderen Welt. Es ist kaum zu glauben, wie viel sich seither verändert hat, obwohl nur wenige Jahrzehnte zwischen uns liegen. Der technische Fortschritt hat auch Einzug in die Dörfer gehalten und unser aller Leben verändert.

Die Bevölkerung auf dem Land ernährte sich früher hauptsächlich vom Ackerbau und von der Viehzucht. Selbst die Handwerker, Lehrer und Pastöre unterhielten noch eine Nebenerwerbslandwirtschaft, weil sie von ihrem Hauptberuf alleine nicht leben konnten. Heute sind Landwirte im Vollerwerb seltener geworden, und nur wenige führen den Ackerbau noch in ihrer Freizeit. Zum Nebenerwerb trägt in den heutigen Dörfern die Vermietung einer Ferienwohnung bei, da die Eifel sich immer mehr zu einer für Touristen beliebten Region entwickelt.

Das Pferdefuhrwerk mit Holzräderwagen ist dem Auto gewichen und Traktoren ersetzten Ochsen als Zugtiere. Wurde früher Getreide schweißtreibend von Hand gemäht, sitzt heute der Landwirt im klimatisierten Mähdrescher. Vorbei die Zeit, in der viele Menschen sehr schwer körperlich arbeiten mussten. Dafür sind heute viele im Dienstleistungssektor sowie im Handel tätig und bekommen durch ihre Arbeit nicht ausreichend Bewegung. Deshalb powern sie sich zugunsten ihrer Gesundheit in Fitness-Studios oder bei anderen Trendsportarten aus, bei denen unsere Vorfahren nur die Köpfe geschüttelt hätten.

Jahrhunderte lang erledigten die Menschen an den dunklen Winterabenden in der Küche am Feuer Spinn-, Handarbeits-, Bastel- und Reparaturarbeiten, während sie sich dabei Geschichten und Märchen oder das „Neueste aus dem Dorf" erzählten. Heute hocken abends fast alle im Wohnzimmer vor dem Fernseher, ja, es nehmen sogar Haushalte zu, wo in allen Kinderzimmern Fernseher stehen. Gemeinsame Gespräche nehmen ab, Isolierungstendenzen zu.

Vor langer Zeit bestand die einzige Möglichkeit, weit entfernt lebenden Personen etwas mitzuteilen lediglich darin, einen Brief zu versenden. Später konnte man bei eiligen Meldungen auch ein Telegramm schicken. Heute wird dies zunehmend ersetzt durch eine Reihe technischer Errungenschaften wie Telefon, elektronische Mails, Twittern oder Chatten im Internet. Die Folge: Dies und die Handys, die heute ein jeder besitzt, vertrieben nahezu alle Telefonhäuschen in den Gemeinden und haben mir meinem Hobby, das Sammeln von Telefonkarten, ein Ende bereitet.

Wäsche mussten die Frauen früher im Bach waschen, was im Winter oft kalte, raue und wundgescheuerte Hände verursachte. Die Hausfrau von heute hat es da erheblich leichter, wenn sie die Waschmaschine in Betrieb setzen kann. Kennen junge Familien noch Babywindeln aus Baumwolle, die mit der Hand zu waschen waren? Alle ersetzt durch die für Eltern praktischen, aber auch teueren Einwegwindeln.

Schulkinder mussten bei Wind und Wetter zu Fuß zur Schule gehen. Schirme hatte die Landbevölkerung noch nicht. Heute werden die Schüler mit dem Schulbus chauffiert. Trinkwasser für Mensch und Tier musste mühsam aus dem Brunnen geholt und in Eimern nach Hause transportiert werden. Dank der Wasserleitungen dreht man nun nur noch den Wasserhahn auf und das Wasser fließt bequem ins Haus. Das Abwasser, der so genannte „Puddel", floss einst den Straßengraben entlang in den nächsten Bach hinein. Das stank besonders im Sommer bestialisch. Zum Glück sind heute alle Orte über Rohre mit einer Kläranlage verbunden, die Abwässer reinigt.

Die Seiten- oder Nebenstraßen innerhalb eines Ortes waren noch vor etlichen Jahrzehnten unbefestigt. Bei oder nach einem Regen stapften die Dorfbewohner durch den aufgeweichten matschigen Boden. Die Herstellung von festem Straßenbelag ist heute eine Selbstverständlichkeit geworden. Die Zufahrtswege zu den einzelnen Gehöften wurden im Frondienst mit Steinbruchresten aufgefüllt. Frondienst bedeutete, dass aus jedem Haushalt ein arbeitsfähiger Mann für die Tätigkeit zur Verfügung stehen musste. Im Gegensatz dazu werden heutzutage die Aufträge an Straßenbaufirmen erteilt und dann über Steuern und Beiträge refinanziert.

Einen „Tante-Emma-Laden" oder eine Gastwirtschaft gab es früher in fast jedem Ort. Beide Institutionen waren Treffpunkt für die Dorfbevölkerung, um neueste Nachrichten auszutauschen. Supermärkte in der Stadt haben die Kolonialwarenläden in den Dörfern verdrängt, weil das Angebot dort vielfältiger und günstiger ist. Viele Gaststuben im Ort schlossen mangels Kundschaft, da sich das Freizeitangebot gewandelt hat und zu Hause preiswerter getrunken werden kann. In den 1960ern entstanden die gemeindeeigenen Kühlhäuser in den Dörfern. Hier konnte sich jede Familie ein Kühlfach für ein geringes Entgelt mieten. Beim Aufsuchen traf man auch oft jemanden an, mit dem man ein Schwätzchen halten konnte. Da jeder Haushalt heute über genügend Gefriertruhen oder -schränke im eigenen Haus oder in der Wohnung verfügt, wurden die Kühlhäuser später überflüssig. So hat sich eine ganze Menge verändert. Wir sind uns bewusst, dass durch den Fortschritt sehr vieles besser geworden ist, Erleichterungen, Bequemlichkeiten und Sauberkeit brachte, erkennen aber auch, dass nicht alles gut ist und in vielem Entwicklungen sind, die mit Sorgfalt und Sorge beobachtet werden sollten.