Im Zwiespalt. Leben auf dem Land - früher und heute

Brigitta Westhäusler, Hillesheim

Macht man zum Beispiel einen Ausflug in das Freilichtmuseum Kommern, so ist man entzückt über den Wiederaufbau der alten Gebäude und gibt sich der Illusion hin, ein intaktes Dorf aus der Vergangenheit vor sich zu haben. Man bewundert die Kunst des Fachwerks und ist verwundert über die Innenausmaße eines Wohnbereichs. Die Möbel und Gegenstände des täglichen Bedarfs erscheinen einem zuweilen aus einer Miniaturwelt zu stammen, und gelegentlich ist man über Muster und Schnitzarbeit voller Staunen. Das selbst gesponnene und gewebte Leinen, die handgenähten Hauben, die gestrickten Jacken oder Umschlagtücher betrachtet man ehrfürchtig und bekommt eine ungefähre Ahnung über den tatsächlichen Wert der Handarbeit. Aber kann man sich das Leben der Menschen vor etwa hundert Jahren wirklich vorstellen? Wie war das, mit so vielen Familienangehörigen und Gesinde unter einem Dach zu wohnen? Wie war das mit dem Heizen und der Nahrungszubereitung? Wie schwer war die Arbeit wirklich und die Abhängigkeit vom Wetter? Viele Filme erzählen vom Leben anno dazumal, und wir hören die Berichte der Alten. Aber sich das wirklich vorzustellen, ist dennoch schwer.

Fährt man heute durch unsere Dörfer, ist man meist aufs angenehmste überrascht. Zum größten Teil sieht man einen alten Dorfkern, meist noch mit einer schönen Kirche, und vielen Neubauten von Einfamilienhäusern mit schmuckem Äußeren. Alte Häuser sind liebevoll restauriert; man erkennt noch ihre Architektur und ahnt ihre Geschichte. Aber es sind keine echten Bauernhäuser mehr. Aus Ställen und Scheunen wurden beispielsweise Garagen oder zusätzlicher Wohnraum. Die Fenster und Haustüren wurden modernisiert, manchmal nicht zum Besten des Äußeren. Wege und Straßen wurden dem modernen Verkehr angepasst, Höfe gepflastert oder geteert und zu Sitzplätzen gestaltet. Gab es früher einen Dorfladen oder auch einen Bäcker oder Metzger, so fährt man heute in die Supermärkte der nahe gelegenen Kleinstädte, wo man auch andere Fachgeschäfte findet. Auch die alte Dorfschule ist Vergangenheit, und der Nachwuchs wird heute adäquat in weiterführenden Schulen zu einem Abschluss gebracht, der befähigt, in der Arbeitswelt zu bestehen. Die Liste, die die Veränderungen anzeigt, ließe sich noch verlängern.

Die alte bäuerliche Welt existiert nicht mehr. Die Dorfbewohner haben sich gewandelt. Viele Fremde sind im Laufe der letzten Jahre zugezogen, nicht nur aus anderen Dörfern und Städten, nein sogar aus anderen Ländern. Der Lebensstandard ist gestiegen, und die modernen Medien bringen alle nötigen und aktuellen Informationen. Die Mobilität und Reisefreudigkeit erweitert den Gesichtskreis. Wie wirkt sich eine solche Veränderung aus? Soll man bedauern, dass es die alten Strukturen nicht mehr gibt? Haben die Dorfgemeinschaften ihr Gesicht verloren? Gehen die alten Traditionen verloren?

Ich denke, man kann diese Fragen nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten. Solange eine starke Gemeinschaft da ist, deren Mitglieder bereit sind sich zu engagieren, wird es eine Fortsetzung der alten Traditionen geben. Und wenn Zugezogene gerne aufgenommen werden, so kann dies nur zum Vorteil aller gereichen. Je mehr Gruppen oder Vereine da sind, die ein breitgefächertes Angebot von kulturellen bis sportlichen Aktivitäten bereithalten, bietet das Leben auf dem Land -meiner Meinung nach - große Attraktivität. Abgesehen von einer intakten Natur, ist das soziale Umfeld von entscheidender Bedeutung. Nachbarschaftshilfe ist großgeschrieben, gerade wenn es gilt, Kinder oder ältere Familienmitglieder zu betreuen. Und was gibt es Besseres, um Kontakte zu pflegen, als zum Beispiel Koch- oder Grillfeste, Walking- oder Gymnastikgruppen?

Natürlich gibt es auch Personen, die eine weitere Anfahrtsstrecke zu ihrer Arbeitsstelle haben. Das hebt zum Teil das kostengünstigere Wohnen wieder auf. Und wenn Eltern ständig unterwegs sind, weil ihre Söhne oder Töchter keine oder nur schlechte Busverbindungen zu schulischen oder zu Sportveranstaltungen haben, oder ihre Musikausbildung nur weiter entfernt stattfinden kann, so ist das durchaus als nachteilig zu sehen. Gerade junge Leute klagen oft über mangelnde Angebote im Unterhaltungssektor. Viele ziehen tatsächlich weg, wenn sich die Gelegenheit ergibt, aber man wundert sich dennoch, wie viele im „gestandenen Mannesalter" auch wieder zurückkommen. Auch für ältere Personen, die alleine sind, kann die nachlassende Mobilität das Leben im Dorf erschweren. Manche möchten auch nicht immer die Hilfsbereitschaft der anderen in Anspruch nehmen und pochen auf eine gewisse Selbstständigkeit. Schwierig wird es in ernsten Krankheitsfällen, wenn Arzt oder Krankenhaus weiter entfernt sind. Aber das gilt im Grunde für alle Bewohner. Nicht in jedem Dorf können alle Fachärzte sein. Aber letztlich bleibt es einem jeden selbst überlassen, sich für das zu entscheiden, was er für das Richtige und Angemessene hält.

Ich denke, dass das Leben auf dem Land, im Dorf, heute attraktiver ist denn je. Die Errungenschaften der Technik und der Elektronik haben unseren Alltag vereinfacht, so dass man sich nicht mehr als „Hinterwäldler" fühlen muss. Die Wohnqualität ist erheblich; man genießt die Natur, und wenn man will, ist man schnell in einer Stadt. In einer kleineren Gemeinde fühlt man sich eher geborgen und aufgehoben, und das gesellige Miteinander erhöht die Lebensqualität. Möge es so bleiben!