Wie ist das mit der Demografie?

Alois Krämer, Bodenbach

Im meinem Eifeldorf bin ich groß geworden und lebe heute noch mit meiner Familie dort. Denke ich an meine Kindheit zurück, sehe ich mich in dem kleinen Hof stehen, vor unserem Pferdestall, und halte unseren „Max" am Halfter, denn es soll eingespannt werden. Es ist ein heißer Sommertag, brütende Hitze liegt über dem ganzen Ort, und ich atme den Geruch der Tiere, des Misthaufens. Es wird Zeit, das Heu einzuholen, denn es könnte vielleicht ein Gewitter geben.

Mein Dorf war arm und die Menschen auch, doch das empfand ich damals kaum, denn den meisten ging es so. Anfangs gab es noch keine asphaltierten Straßen, keine Wasserleitung, und alle lebten von der Landwirtschaft, außer Pfarrer und Lehrer, die ein oder zwei Handwerker, Gastwirte und der Laden. Nur ganz wenige Bauern hatten größere oder sogar große Höfe. Das Leben verlief in ruhigen Bahnen, die Arbeit war hart, auch wir Kinder mussten ran. Alle waren froh, dass der Krieg vorbei war, und die Männer wieder zu Hause. Zu der Zeit wurden viele Kinder geboren, das ist nach einem Krieg wohl immer so. Niemand schloss die Haustüren ab. In den Folgejahren wurden Kanalisation und Wasserleitungen gelegt und die Straßen ausgebaut. Das war schon ein Riesenfortschritt, man brauchte die Tiere nicht mehr zur Tränke zu bringen, die konnten jetzt im Stall saufen. Als fließendes Wasser im Haus lag, nahmen wir auch Feriengäste auf, dadurch kam mehr Bargeld ins Haus. Man konnte damit etwas anschaffen, zum Beispiel die Melkmaschine, oder den Elektroherd für die Küche. Das war so in den Fünfzigerjahren, bis in die Sechzigerjahre hinein. Da wurde das Pferd abgeschafft und ein Traktor und auch noch andere Maschinen gekauft, und ich war sehr stolz, dass ich mit dem Traktor fahren und arbeiten durfte. Später noch wurde ein Badezimmer eingebaut, und das Haus instand gesetzt. Nur wenige Söhne arbeiteten noch als Landwirte auf dem elterlichen Hof, die meisten gingen schon einer Arbeit nach, auch ich arbeitete nach Beendigung der Schule nicht mehr ausschließlich auf dem Hof, sondern nahm eine Stellung an. Schon damals zeichnete sich schon eine grundlegende Wende ab. In den Siebzigerjahren gründete ich eine eigene Familie, neben meiner Berufstätigkeit führte ich mit meiner Frau aber immer noch die Landwirtschaft als Nebenerwerb weiter. Aber schon war zu erkennen, dass der Ertrag nicht mehr mit dem Aufwand Schritt halten konnte. Wir versuchten, von der Milchwirtschaft weg und zur Bullenmast hin rentabler zu werden. Das ging auch noch eine Zeitlang ganz gut. Schließlich gaben wir Mitte der 1980er Jahre die Landwirtschaft völlig auf. Andere hatten dies schon früher getan, so dass zu diesem Zeitpunkt fast alle Höfe im Dorf, die auch nur noch als Nebenerwerb geführt worden waren, aufgegeben waren. Der Ort hatte sich verwandelt. Es war still geworden im Dorf, nur selten hörte man Treckergeräusche, man trieb keine Tiere mehr durch die Straßen, das klagende Gebrüll der Kühe war verstummt, die Misthaufen waren fort, und manche Häuser gleich mit ihnen. Einige der alten Gehöfte waren restauriert oder renoviert, ganz neue Straßenzüge waren entstanden, die Häuser modern mit großen Vorgärten und Rasenflächen statt Gemüsegärten hinterm Haus.

So gingen die Jahre dahin. Die vertrauten alten Gesichter von Verwandten, Freunden und Bekannten aus dem Dorf verschwanden. Viele starben, andere gingen in Altenheime außerhalb des Ortes, manche zogen mit ihren Kindern in andere Dörfer oder in die Stadt. Und heute? Die Schule ist schon lange geschlossen, die Kinder fahren mit dem Bus morgens und nachmittags teilweise zwanzig Kilometer weit. Irgendwann hatte das eine, dann das andere Lebensmittelgeschäft aufgegeben, konnten mit den Preisen der Supermärkte nicht mehr mithalten, die auf der „grünen Wiese" entstanden. Einen Arzt oder Apotheker hat es bei uns nie gegeben, und nun haben wir schon lange keinen eigenen Pfarrer mehr. Dieser sitzt zeitweise mehr im Auto als in seinen Kirchen. Man bezeichnet diese Veränderungen als demografischen Wandel. Es gibt fast mehr Alte als Junge, die Kinder und Enkel wollen nicht mehr im Dorf wohnen; es gibt Orte, da werden kaum noch Kinder geboren und viele Häuser stehen leer. Heute schließt jeder seine Haustür abends fest zu. Wir wissen nicht, was einmal daraus wird, aber man muss dem Trend irgendwie gegenhalten, Lösungen finden. Ein Ausweg könnte die Gewinnung neuer Bürger sein. Und tatsächlich: Manche der leer stehenden Häuser sind inzwischen verkauft worden; sie werden teilweise als Wochenenddomizil genutzt, manche Menschen im Pensionsalter ziehen das Landleben inzwischen dem Stadtleben vor. Diese Menschen müssen sich ins Dorfleben integrieren, dürfen keine Außenseiter bleiben, das ist sehr wichtig, um einen gemeinsamen Dialog führen zu können. Dann ist die Welt in Ordnung, und dann kann man die Dorfflucht für einige Zeit mit Erfolg stoppen. Aber es müsste doch auch noch andere Wege geben. Man müsste junge Leute dafür gewinnen, aufs Land zu ziehen. Dazu gehört auch die Schaffung der Voraussetzungen dafür, wie Arbeitsplatzbeschaffung in der Nähe des Wohnortes, Kindergärten in den Dörfern, Läden, Bank, Post usw. Anderenorts werden erfolgreich „Tante-Emma-Läden" neu eröffnet, das wäre eine von vielen Möglichkeiten. Das Dorfleben kann eine Aktivierung erfahren, dazu gehört Ideenfindung und der gemeinsame Austausch. Und gerade das ist so wichtig, deshalb hier noch einmal: Zusammenhalten und miteinander im Gespräch bleiben, sensibel und offen sein für Veränderung und Verbesserung der Infrastruktur wie Autobahnbau, Errichtung von Windrädern usw.! Vorrangig darf es dabei aber nicht darum gehen, Einzelinteressen durchzusetzen, sondern Lösungen zu finden, die dem Dorf und der Region nutzen, eben nicht nur dem einzelnen Bürger. Das Gesicht der Eifel wird sich in der Zukunft ändern, das ist sicher und unabänderlich, aber alles im Leben ist ständig einem Wandel unterworfen, und man kann die Zeit nicht anhalten. Mein dringendster Wunsch ist es aber, dass unser kulturelles Erbe gewahrt bleiben möge. Also: Reden wir miteinander!