Duppach im Wandel

Maria Surges, Duppach

Die heile Welt meiner Kindheit, die mit erwachsenen Augen von damals betrachtet, sicherlich nicht ganz so heile war, hat sich stark verändert. Fünf Jahre war der Krieg gerade mal vorbei, als ich das Licht der Welt erblickte. Selbstverständlich eine Hausgeburt. Geboren werden und Sterben innerhalb einer Familie, eines Hauses, gehörte genauso zum Jahres- und Lebenskreislauf wie Ostern und Weihnachten und die vier Jahreszeiten. Die Frauen und Mädchen, die es im Krieg irgendwie geschafft hatten, ihre Familie zu ernähren und die kleine Landwirtschaft fortzuführen, hatten zwischenzeitlich wieder Unterstützung durch die Männer erhalten, die aus dem Krieg und der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt waren. Jeder versuchte im Rahmen seiner Möglichkeiten, wieder ein „normales" Leben zu führen, um die Schreckensjahre zu vergessen oder gedanklich in den Hintergrund zu verbannen.

Gemeinsinn wurde groß geschrieben. Gemeinsam wurden im Frühjahr die Kartoffeln gelegt und die Rübenpflanzen gesetzt. Auch bei der Heuernte war Verlass auf die Nachbarn, wenn das Heu trocken war und sich plötzlich der Himmel verdunkelte. Im Herbst waren dann wieder alle zur Stelle, um zusammen die Kartoffelernte einzubringen. Wenn dann das trockene Laub der Kartoffelpflanzen angehäuft, angezündet und darin Kartoffeln gebraten wurden, waren alle Rückenschmerzen vergessen und die Welt war in Ordnung. Im Dorf hatte fast jedes Haus eine kleine Landwirtschaft. Die Infrastruktur war vielfältig: Pastor und Kirche, Lehrer und Volksschule, drei Lebensmittelgeschäfte, Post, Gastwirtschaft, Raiffeisenlager mit öffentlichem Gefrierhaus, Mühle, Sägewerk, Schreiner, Schmied, Stellmacher, Schuster, Schneiderin und Schneider. Es war ein beschauliches Leben. Nur wenige Männer waren tagsüber außerhalb des Dorfes berufstätig. Die kleinen und größeren landwirtschaftlichen Betriebe, die Handwerksbetriebe, die Dorfläden, sie sorgten für den Lebensunterhalt. Lebensmittelpunkt war das Dorf und die Familie.

Der Pastor war noch „de Heer", der Dorfschullehrer kniete während des Gottesdienstes auf der Männerseite hinter den Jungen und beaufsichtigte die ganze Kinderschar. Beide waren wichtige Respektpersonen im Dorf. Wenn Friedrich Gehendges als blutjunger Lehrer ganz souverän acht Altersstufen in einem Klassenraum beaufsichtigte und unterrichtete, so war das für ihn sicherlich eine große Herausforderung. Der Pastor war für den Religionsunterricht einmal wöchentlich zuständig und eine pensionierte Lehrerin brachte den Mädels Handarbeiten bei. Bereits 1955 ist in der Schulchronik zu lesen, dass das Problem eines Schulneubaus allmählich akut wird. Dort heißt es „...sie ist eine der schlechtesten im Kreis Prüm". In der Fernsehreihe „Zeichen der Zeit" wurde unsere Schule 1960 als Negativ-Beispiel vorgestellt. Vielleicht war diese Sendung der Anstoß dazu, dass sich 1965 dieser Zustand änderte: Wir bekamen eine neue Schule mit großen, hellen Klassenräumen. Ob zu diesem Zeitpunkt bereits Reformpläne in den behördlichen Schubladen lagen, kann ich nicht sagen. Fakt ist allerdings, dass 1979 die zu diesem Zeitpunkt nur noch als Grundschule bestehende Schule geschlossen wurde, und die Duppacher Kinder in Gerolstein zur Schule gehen mussten. Die Nutzung des Gebäudes lag nun bei den verschiedenen Vereinen. Dann gab es 1991 endlich Umbaupläne und im Dezember 1992 konnte ein neues Dorfgemeinschaftshaus eingeweiht werden. Ein wichtiger Mittelpunkt im Dorf wurde so geschaffen, der für das öffentliche Leben unverzichtbar ist. Ebenfalls wichtige Mittelpunkte waren in der Zwischenzeit verschwunden: Unsere Lebensmittelgeschäfte oder besser gesagt „Gemischtwarenhandlungen" wurden nach und nach geschlossen. Drei Tante-Emma-Läden in einem Dorf, das war schon beachtlich. Ladenöffnungszeiten - ein Fremdwort. Abends oder nach dem Sonntags-Gottesdienst noch schnell eine Flasche Maggi, Nudeln oder was sonst fehlte einkaufen, war kein Problem. Mit einem kleinen Milcheis, das ganz vorsichtig geschleckt wurde - es sollte doch möglichst lange halten -, oder mit den großen, dicken Himbeerbonbons - Genuss pur -, war der Weg bis zur Weiermühle nicht mehr so weit. Ja, das sind Erinnerungen an diese für uns unbeschwerte Zeit.

Den wohl ältesten Duppacher Gemischtwarenladen - „Merte" im Volksmund - hatte Margarete Lützen 1956 von ihrer Mutter übernommen. Mit ihrer Lehrzeit bei Hutter in Hillesheim schaffte sie die erforderlichen Voraussetzungen hierfür. 1963 eröffnete sie direkt an der Straße den ersten Selbstbedienungsladen in Duppach. Der Fortschritt hielt Einzug: Mit Einkaufskörben konnten die Kunden an den Regalen vorbei sich selbst bedienen, an der Kasse dann noch bezahlen, das obligatorische Schwätzchen halten und die paar Meter zu Fuß nach Hause gehen. Krankheitsbedingt musste sie sich 1975 schweren Herzens von ihrem SB-Laden trennen. Zu diesem Anwesen gehörten außerdem noch bis 1956 eine Mühle, bis ca. 1960 ein Sägewerk und selbstverständlich auch eine Landwirtschaft.

Der Selbstbedienungsladen Lützen

Familie Litzen, „Owen Henkes" genannt, führte ein Geschäft in der Prümer Straße. Barbara Litzen, geb. Lamberty, stammte aus einer Familie, der diese Art des Broterwerbs wohl im Blut lag. Geschwister von ihr hatten ihre Geschäfte in Auel, Kalenborn, Hohenfels und Olzheim. 1933 war sie mit ihrer Familie aus Duisburg an ihren Geburtsort Duppach zurückgekommen und übernahm den Laden, da ihre Mutter gesundheitliche Probleme hatte. Nach Barbara Litzen folgten später Sohn Mätti und Schwiegertochter Hedwig. Als Matthias Litzen 1966 starb, lag die Führung des Lebensmittelgeschäftes in den Händen von Hedwig Litzen. Um 1972 folgte dann die Schließung dieses Geschäftes.

Das dritte Geschäft war direkt neben der Kirche zu finden: „Thommes". Um 1930 von Anna Lamberty eröffnet, dann von Katharina Hansen und später von Maria Schmitz geleitet, wurde der ursprüngliche Tante-Emma-Laden Mitte 1960 ebenfalls zum Selbstbedienungsladen umgebaut. Nach gut 50 Jahren schlossen sich 1984/85 die Türen. Im gleichen Haus befand sich noch die Poststelle und die „Wirtschaft" - Gaststätte mit Saal und Kegelbahn. All das ist Vergangenheit. Das große Gebäude ist zwischenzeitlich von einer Niederländerin gekauft worden und Duppach hat wieder eine Gaststätte „Gästehaus Cafe Dirks".

Vielfältig waren die Gründe für die Schließungen, wobei der Hauptgrund wohl die großen SB-Läden in Gerolstein, Hillesheim und Prüm war. Der Wohlstand brachte mehr Mobilität mit sich. Der wöchentliche Großeinkauf wurde nun außerhalb des Dorfes erledigt. Das Ende der Tante-Emma-Läden war damit eingeläutet. Auf den Dörfern ist diese Marktlücke von den rollenden Märkten geschlossen worden. Die Versorgung mit allen Grundnahrungsmitteln ist somit gewährleistet. Was jedoch oft auf der Strecke bleibt, ist die Begegnung, das kurze Gespräch und die Anteilnahme am Leben der Nachbarn und der Dorfbewohner. Nachbarschaft und Nachbarschaftshilfe sind weiterhin wichtige Bestandteile des dörflichen Lebens. Veränderungen, auch wenn sie zunächst negativ erscheinen, sind unverzichtbar. Sie eröffnen sehr oft neue Möglichkeiten. Man stelle sich einfach mal den Unterricht in der alten Volksschule vor -acht Jahrgänge in einem Klassenraum, von einem Lehrer unterrichtet! Ob damit heute noch unsere Kinder und Enkelkinder angemessen auf die vielfältigen Anforderungen einer modernen Welt vorbereitet werden könnten? Unsere Gesellschaft und damit unsere Dörfer stehen vor weiteren Herausforderungen. Der demographische Wandel, die sinkende Kinderzahl und gleichzeitig der höhere Anteil an älteren Menschen wird auch das Dorf weiter verändern. Wie schaffen wir es, Familien mit Kindern im Dorf zu halten oder neue Familie anzusiedeln? Wie schaffen wir es, den älteren Mitbürgern einen Aufenthalt im Altersheim zu ersparen, nachdem sie ihr ganzes Leben im Dorf verbracht haben? Das Modell der Großfamilie, wo ganz selbstverständlich die Kinder und auch die älteren Menschen aufgefangen wurden, existiert nicht mehr. Der Wandel in den Dörfern hat nicht nur in den vergangenen 60 Jahren stattgefunden, es wird ein stetiger Wandel sein. Daraus das Beste zu machen, bleibt eine Herausforderung für uns alle.