Kindheit auf dem Bauernhof

Wir schätzten die kleinen Freuden sehr

Werner Schönhofen, Leutesdorf

Mein Heimatdorf hat in den letzten Jahrzehnten einen besonders starken Wandel durchgemacht. Aus dem Bauerndorf ist ein Wohnort für Soldaten, Handwerker, Arbeiter und andere geworden. In einem Dorf, das man sich ohne Landwirtschaft kaum vorstellen konnte, gibt es kaum noch Bauern. Entsprechend schwer wird wohl auch dem einen oder anderen der Abschied von der Landwirtschaft gefallen sein.

Das Leben aller Leute im Dorf war früher wesentlich von ihr mitgeprägt. Wer keine eigenen Felder bestellte, half doch dem Nachbarn gerne aus, wofür es dann meist eine Entlohnung in Naturalien gab. Auch Handwerker hatten Felder, die sie mit Kartoffeln oder Getreide bepflanzen ließen. Wer nicht das eigene Vieh hüten musste, tat es bei Leuten, die keine Kinder (mehr) hatten; das war Aufgabe für uns Kinder. Meistens wurden zwei oder drei Kühe in den angepachteten Wiesenwegen oder aber auf den frisch ausgetriebenen Wiesen nach der Heuernte gehütet, ein zweiter Schnitt, der Grummet, lohnte sich selten. Wir Kinder konnten uns die Zeit durch allerlei Spielchen oder durch Lesen und durch Beobachten der freien Natur vertreiben.

Wenn Michelstag (29. Sept.) war, dann begann die große Zeit der Hütekinder. Die Wiesen waren „offen", man brauchte auf keine Besitzverhältnisse Rücksicht zu nehmen. Das Vieh konnte frei laufen, sehr zum Nachteil der Rüben- und Kartoffelfelder, denn wir Kinder vertrieben uns die Zeit mit Fangen und Verstecken im Wald. Es wurden auch Feuerchen gemacht und Kartoffeln gebraten, wobei manche Schanze (Reisigbündel) daran glauben musste, die eigentlich für das Brotbacken gedacht war. War das Viehhüten die eigentliche Aufgabe der Kinder, so mussten sie doch auch bei der Heu- und Getreideernte helfen - mindestens mit dem Rechen die Wiese bzw. Felder sauberkehren. Unangenehmer war das Auf- und Abladen des Heus, das auf den Verschwitzten und Ladenden herabrieselte. Wir Kinder mussten es auf dem Heustall festtreten. Weniger prickelnd ging es bei der Getreideernte zu. Beim Kartoffelausmachen mussten wir Kinder die Kartoffeln auflesen und sortieren helfen; die dicken zum Essen, die mittleren zum Setzen im nächsten Jahr und die kleinen und zerhauenen für die Schweine. Schön war es dann, wenn das Kartoffelstroh verbrannt wurde und neue Kartoffeln in der Asche brieten. Abends schaukelte der mit Säcken hochbeladene Wagen im gemächlichen Trott der Kühe nach Hause, wo der Erntesegen eines arbeitsreichen Tages abgeladen wurde. Vorherrschend über lange Zeit wurde die Sorte „Ackersegen" angebaut. Sorge bereitete oft der Befall durch den Colorado- oder Kartoffelkäfer. Einmal mussten wir als Schulkinder die Käfer und die roten dickfleischigen Raupen von den Pflanzen absammeln.

Von den heranwachsenden Jungen wurden auch schwerere Arbeiten verlangt, wenn der Vater noch einem anderen Erwerb nachging; so habe ich als Junge manches Feld mit dem Kuhgespann gepflügt und geeggt oder im Herbst gemäht; auch die Frauen arbeiteten entsprechend hart. Wer nun meint, die Kindheit zwischen Schule und Viehhüten oder anderen landwirtschaftlichen Pflichtaufgaben am Nachmittag sei armselig oder was sonst gewesen, der irrt sich wohl. Wir wussten die kleinen Freuden unseres Kinderdaseins sehr zu schätzen.

Was gehörte dazu? Vielleicht der Zirkus, der einmal jährlich auf dem Marktplatz gastierte, eine Tüte Bonbons oder Gebäck, was die Eltern von einem Besuch aus der Stadt mitbrachten, selten eine Flasche Limonade, eine Apfelsine oder Banane als exotische Frucht, Sammelbilder zum Tauschen.

Zeichnung: Kerstin Weinacht, Kerpen

Bleiben wir noch etwas bei diesen Dingen! Den Zirkus hatte ich meistens in nächster Nähe auf dem Marktplatz - wie auch die Kirmes. Jedem neu ankommenden Wagen wurde ein Stück weit entgegengelaufen und der Aufbau mit Interesse begutachtet. Limonade der verschiedensten Farb- und Geschmacksrichtungen kaufte ich zeitweise in der Gaststätte auf der nächsten Straßenecke. Das war ein sehr interessantes Lokal, das voller Andenken aus Afrika steckte; der Wirt war bis 1918 als Telegrafenleitungsaufseher in Deutsch-Ostafrika und Kamerun gewesen.
An die erste Apfelsine kann ich mich noch schwach erinnern. Sie brachte eine Tante aus Köln mit; in der Kriegszeit eine Kostbarkeit! Als es Apfelsinen und Bananen später zu kaufen gab, habe ich oft mein Geld in diese nahrhafte Währung umgewechselt. - Sammelbilder gab es zur Margarine; die Butter wurde verkauft, es war sonst kaum Geld da. Für einen entsprechenden Bestand von Sammelbildern sorgte ich auch durch den Verzehr von Köllnflocken. Diese Haferflocken mischte ich mit Zucker, Kakao und Milch; der Genuss dieser nahrhaften Mischung nahm zeitweise überhand. Auch die Feste gehörten zu den Freuden von uns Kindern. Weihnachten mit dem Teller und was zum Anziehen und kaum Spielzeug war wohl das Höchste, das sich mit dem Nikolausteller (Plätzchen, Äpfel, Süßigkeiten) und ab und zu von einem vom Christkind über Nacht gelegten Plätzchen ankündigte. - Aber auch für den Osterhasen wurde ein Nest aus Moos gepolstert oder Wochen vorher in einen Teller Hafer ausgesät. Wie groß war dann die Freude, wenn am frühen Ostermorgen buntgefärbte Eier darin lagen! Das dritte große Fest war wohl die Kirmes, zu der die Verwandtschaft zu Besuch kam und bei der es dann ein paar Groschen Kirmesgeld gab. Auf dem Marktplatz liefen die Pferdchen in der „Reitschule" in einem eingezäunten Kreis. Das sah ich 1946 zum ersten Mal. Ich sah auch, dass die Kinder Geld bezahlten - fürs Zuschauen meinte ich. Ich quengelte zu Hause so lange, bis Mutter mir zwei Papiermark gab. Flugs hatte ich ein Metallplättchen als vermeintlichen Berechtigungsausweis. Ein älterer Vetter hob mich auf ein Pferd und los ging's, ich konnte mich nur noch an der Mähne festhalten. Das war dann das erste und letzte Mal, das ich auf einem Pferd saß. Eine Losbude und eine Schießbude vervollständigten das Kirmesgeschehen. Hefekuchen mit Grießmehl und Rosinen oder mit Birnenmus aus getrockneten Birnen, sog. Bunnes, waren typischer Kirmeskuchen.