Gemeinderatswahl in Deudesfeld

Alter Gemeinderat in Not

Gisela Bender, Deudesfeld

Schon im frühen Kindesalter waren mein Bruder und ich mit den örtlichen Praktiken der Gemeindepolitik vertraut. Prickelnd und lebendig wurde es in unserem Dorf immer dann, wenn die Neuwahl des Gemeinderates anstand. Im Dorf entstand Bewegung und, entsprechend der Mentalität, bildeten sich verschiedene Lager. Auf der einen Seite die, die bereits im Gemeinderat waren und nicht raus wollten, und auf der anderen Seite die, die in den Gemeinderat gewählt werden wollten.

Die Wahl, von der hier die Rede ist, brachte Anfang der 1950-er Jahre unser Dorf in Wallung. Schon monatelang vorher brodelte die Gerüchteküche. Pläne wurden geschmiedet, Verwandte, Freunde und Bekannte galt es, von der dringenden Notwendigkeit eines Wechsels in der örtlichen Führung zu überzeugen. Nicht selten gerieten sich die Kontrahenten in die Haare, und je näher der Wahltag heranrückte, umso verbissener ging man an die Sache heran. Es kam vor, dass jahrelange Feindschaften das Ergebnis einer einzigen Gemeinderatswahl waren. Am Ende einer Wahlkampagne waren selbst die Desinteressierten froh, wenn der Wahlsonntag endlich da war; es würde Klarheit geschaffen und wieder Ruhe ins dörfliche Miteinander zurückkehren. An diesem Wahltag entstand jedoch schon früh am Morgen eine ungewöhnliche Unruhe. Irgendetwas Unvorhersehbares musste passiert sein. Schnell bekamen wir mit, dass auf der „Kreuzstraße" am „Schwarzen Brett" etwas Seltsames angeschlagen sein sollte. Neugierig wie Kinder nun mal sind, waren wir schnell am Ort des Geschehens. Von weitem sahen wir eine große Menschentraube vor dem „Schwarzen Brett" stehen. Ihre Reaktionen waren unterschiedlich, die einen lachten, die anderen schimpften lauthals, andere wiederum grinsten und gingen wortlos von dannen. Es war nicht einfach, zwischen den Beinen der Erwachsenen hindurch einen Blick auf das Anschlagbrett werfen zu können. Was ich dann aber sah, werde ich nie vergessen. Ein wahres Kunstwerk in herrlich bunten Farben, daneben in wunderschönen verschnörkelten Buchstaben ein langer Reim. Ein winziges Boot schaukelte in riesigen Wellen auf einem unendlich scheinenden Meer. In diesem Boot, das dem Betrachter den Eindruck vermittelte, jeden Moment unterzugehen, standen sieben Männer mit angstverzerrten Gesichtern und mit Händen und Füßen gestikulierend.

Von dem Reim ist mir leider nur noch der Anfang im Gedächtnis haften geblieben, und der lautete:

Es schaukelt der Kahn im Abendrot, der alte Gemeinderat ist in Not!

Gewählt wurde an diesem Tag tatsächlich ein neuer Gemeinderat, ein Generationswechsel hatte stattgefunden.

Die Sache ist bis heute fast die gleiche geblieben, nur die Akteure wechseln.