Harren auf das Weihnachtswunder

Mathilde Gros, Eltville

Das Schönste an Weihnachten ist, wenn die Familie zusammen sein darf.

Es ist aber Krieg. Meine Brüder Leo und Peter sind mit siebzehn und achtzehn Jahren zum Kriegsdienst einberufen.

Heiligabend 1943. Unser Leo fehlt. Er fiel im November in Frankreich. Bei Dijon fuhr sein Zug auf eine Mine. Er war erst neunzehn.

Advent 1944. Seit April sind wir ohne Lebenszeichen von Peter. Er war bei einem Minensuchkommando am Mittelmeer.

Heiligabend 1944. Unser Gerolstein wird seit Herbst bombardiert. Begleitet von Jagdflugzeugen dröhnen 59 amerikanische Bomber vom Typ Liberator B 24D über uns. Zwischen 14 Uhr 40 und 14 Uhr 46 verwandeln sie mit 175 Tonnen Bomben unseren Ort in ein Inferno.

Advent 1945. Der unselige Krieg ist seit dem Frühjahr zu Ende. Meine Eltern und ich fragen einander bang: Wo ist unser Peter? Lebt er, ist er verwundet? Weiter zu denken wagt keiner!

Zeichnung: Kerstin Weinacht, Kerpen

Da kommt eine merkwürdige Postkarte an. Nur eine Zeile, fertig vorgedruckt:

„Ein Mitglied der geschlagenen Wehrmacht sucht seinen nächsten Angehörigen."

Mutter zeigt auf die Adresse: „Hier, das ist Peters Handschrift!" Wir sehen es auch. Adresse und Absender hat mein Bruder geschrieben.

Peter lebt! Gott sei Dank! In englischer Kriegsgefangenschaft, aber er lebt! Wann kommt er heim? Weihnachten?

Heiligabend 1945. Vater besorgt diesen kleinen Tannenbaum. Unser Weihnachtsgeschenk ist die Karte mit Peters Handschrift. Sie steht im Christbaum zwischen den Zweigen. Aus dem wenigen, was wir zum Fest haben, rechnet Mutter unseren Peter mit ein. Sparsam gehen wir mit dem kleinen Bratenstück um. Der größere Teil ist für meinen Bruder ... wenn er kommt ...sein erstes Essen daheim! Die Mahlzeiten ziehen wir in die Länge. Er könnte ja gerade jetzt...Wir sprechen dabei von gemeinsamen Weihnachtsfesten mit Peter und - Leo. Ach, Leo! Wie diese Wunde schmerzt!

Heiligabend bleiben wir lange auf. War es nicht schon zwei, als wir schlafen gingen? Am ersten Feiertag besuchen wir Messen zu verschiedenen Zeiten. Einer soll ja daheim sein, wenn Peter ... Erst weit nach Mitternacht gehen wir zu Bett.

Am zweiten Weihnachtstag fällt Schnee. Vater steht jetzt merkwürdig oft am Fenster, sieht hinaus, oder sieht er etwa zur Straße hinauf bis zur Biegung? Die Dämmerung kommt. Es wird schließlich dunkel. Wohl ein Abend, wie die anderen. Wir werden vergeblich warten. Vater liest, Mutter und ich handarbeiten. Es ist schon spät, als es klopft. Mutter springt auf, eilt zur Tür. Wir hören ihren Schrei: „Peter, unser Peter!" Er steht tatsächlich vor uns! Wir fallen uns in die Arme und weinen vor Dankbarkeit und Glück. Vater sagt bewegt: „Nun hat das Christkind uns Peter wieder heimgebracht!"