Der unheimliche Schmied

Helmut Müller, Mannebach

Als Kind lauschte ich mit Begeisterung dieser Geschichte, die meine Großmutter mir immer wieder erzählen musste:

Es war in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als ein Handwerksgeselle auf Wanderschaft in die Eifel kam, um seine Kenntnisse zu erweitern. Der Weg führte ihn durch Wiesen und Wälder, und der Tag neigte sich bereits dem Ende zu, als er endlich in ein Dörfchen kam, wo er eine Herberge für die Nacht zu finden hoffte. Er fragte einen Jungen, der in einem Hof Holz hackte, wo er im Dorf ein Bett für die Nacht finden könnte. Der sah ihn nur erschreckt an und lief rasch ins Haus. Komisch, dachte der Geselle, womit habe ich ihn so erschreckt? und ging weiter. Er hörte Dengeln und traf einen Bauern, der eine Sense bearbeitete. Auf seine Frage gab der nur die unwirsche Antwort:

„An deiner Stelle würde ich lieber im nächsten Dorf fragen, zwei Stunden von hier." Dabei zeigte er in die Richtung hinter dem Wald. Doch der Geselle war müde vom Wandern, und so schnell gab er nicht auf.

Er ging weiter und fragte eine alte Frau, die gebeugt unter der Last einer Hotte voll frischem Gras in den Stall ging, wo er für die Nacht unterkommen könnte. Sie zeigte mit ihrer Sichel auf ein Fachwerkhaus, dessen Dach sich höher als die anderen Dächer reckte: „Da drüben beim Schmied frag, manchmal hat der eine Kammer für einen von euch frei. Brauchst ihm nichts zu geben, kannst dafür schaffen!" Das gefiel dem Gesellen, denn ihm waren nur noch ein paar kleine Münzen im Beutel geblieben. Doch ehe er sich in Richtung Schmiede wandte, hörte er die Bäuerin warnen: „Pass aber gut auf, man sagt, der Schmied kann mehr als nur Brot essen!" Dem Gesellen aber waren schon die kuriosesten Menschen auf seiner Wanderschaft begegnet und er fühlte sich allem gewappnet. Entschlossen kehrte er beim Schmied ein, der gab ihm Obdach und Arbeit, genau wie die alte Frau es ihm gesagt hatte.

Zeichnung: Kerstin Weinacht, Kerpen

Der junge Mann aß sich satt und begab sich in die ihm zugewiesene Kammer, um sich endlich nach langem wieder einmal auf einem richtigen Bettauszustrecken. Doch ehe er die Kerze ausblies, bemerkte er auf der Kommode ein Büchlein, das da aufgeschlagen lag. Er las und die letzte Seite deutete geheimnisvoll an: „Wenn du diese Seite umdrehst, wirst du lesen, was Dir diese Nacht widerfährt!"

Der Geselle war nicht der Bängste, entschlossen nagelte er das Buch, so wie es lag, mit zwei guten Nägeln auf der Kommode fest. Obwohl er den Riegel der Kammertür von innen gewissenhaft vorgeschoben hatte, war das Buch am Morgen verschwunden. Der Schmied fragte beim Frühstücken wie lauernd den Gesellen, warum er ihn in der Nacht habe nageln hören, aber dieser ging nicht auf die Frage ein. Er tat seine Arbeit gewissenhaft den Tag über. Als er sich schlafen legen wollte, sah er an der gleichen Stelle, wo abends vorher das Buch gelegen hatte, einen 20-Mark-Schein liegen, was damals sehr viel Geld bedeutete. Auch den Schein nagelte der Geselle auf der Kommode fest. Wie erwartet, war auch dieser am nächsten Morgen verschwunden, obwohl die Kammertür verriegelt war.

Als er in die Stube kam, stellte der Schmied keine Fragen. Während sie aßen, begann es zu regnen. Es schüttete wie aus Kübeln und steigerte sich zu einem regelrechten Wolkenbruch. Der Schmied und sein neuer Gehilfe sahen durchs Stubenfenster eine Frau durch das Unwetter herbeieilen. Da sagte der Schmied zu ihm: „Willst du sehen, was ich kann? Die lassen wir jetzt stehen."

Und die Frau stand mitten auf der Straße in dem schrecklichen Unwetter und rührte sich nicht mehr von der Stelle. Dabei beobachtete der Schmied seinen Gehilfen genau. Endlich sagte der Schmied: „So, jetzt ist sie nass genug! Lass sie wieder gehen!" Da setzte die Frau ihren Weg fort.

Weil der Geselle weder mit Verwunderung noch Furcht darauf reagierte, sah der Schmied sich gezwungen, ihm einen weiteren Beweis seiner Macht zu zeigen, um ihn endlich zu beeindrucken. Er ließ unter Gemurmel seine Hand über den schweren Eichentisch kreisen, an dem sie saßen, der noch gedeckt war mit Brot und allem Frühstücksgeschirr. Der Tisch hob sich von den Dielen und schwebte etliche Handbreit darüber, dann ließ der Schmied ihn sogar tanzen, bis der Kaffee aus den Tassen schwappte. Das war dem Gesellen dann doch zu viel des Guten. Anstelle in die Schmiede nebenan zu gehen, wo ein Pferd wartete, beschlagen zu werden, ging er in seine Kammer, schnürte sein Bündel und machte sich wieder auf die Wanderschaft.