■51 Tote und ein Überlebender■

Zur Erinnerung an das Stollenunglück in Gerolstein vor 70 Jahren

Karl-Heinz Böffgen, Gerolstein

Am Dienstag, den 2. Januar 1945, kurz vor 11 Uhr, heulten zum zweiten Mal an diesem denkwürdigen Vormittag die Luftschutzsirenen durch das Gerolsteiner Tal. Hubert Meyer, Oberzugführer der Deutschen Reichsbahn, eilte mit seiner Ehefrau Anna Maria und weiteren 50 Menschen zurück in den Luftschutzstollen am Kasselburger Weg. Eine halbe Stunde zuvor hatten sie ihn nach dem Entwarnungssignal erst verlassen.

Vor allem vom September 1944 bis Ende Januar 1945 war Gerolstein Ziel zahlreicher, zum Teil schwerster Bombenangriffe. In diesen Monaten verbrachten die Einwohner tagsüber viele Stunden in den unterschiedlichsten Unterständen: Sie suchten z. B. Schutz in den Stollen am Kasselburger Weg, beim Bahnbetriebswerk und bei der St. Anna-Schule, in Unterständen bei der Büschkapelle, in massiven Kellerräumen und in einer der zahlreichen natürlichen Höhlen im Munterleymassiv und im Burgfelsen.

Gerolstein etwa 1939, Foto: Hans-Peter („Bubi") Thesen

Viele der gut 3.000 Einwohner waren evakuiert worden, Kinder in ruhigere Gebiete Deutschlands „verschickt" worden; Hunderte standen an der Front, einige, wie Mitbürger jüdischen Glaubens, waren vertrieben worden. Gerolstein befand sind 1939/40 auf einem Höhepunkt seiner Stadtentwicklung. Die schweren Zerstörungen 1944/45 führten dazu, dass das städtisch sehr ansprechende historische Ortsbild für immer verschwand. Nach dem Krieg hatte man andere Sorgen als die Wiederherstellung des früheren Erscheinungsbilds der Stadt.

Es waren insbesondere amerikanische Flugzeuge, die gewaltige Mengen von Bomben auf Gerolstein abwarfen: Am 24. Dezember 1944 luden 59 Bomber eine Gesamtlast von 174,4 Tonnen, am 27. Dezember 58 Bomber eine von 121,7 Tonnen ab. Am 29. Dezember flogen 26 Bomber über die Stadt, um 67,5 Tonnen und am besagten 2. Januar 1945 74 Flugzeuge, um insgesamt 168,4 Tonnen abzuwerfen. Und dies waren nur die schwersten Großangriffe auf die Stadt.

Den 52 Menschen, die das Schicksal im Stollen am Kasselburger Weg zusammengeführt hatte, darunter waren auch 6 aus Russland stammende Zwangsarbeiter („Ostarbeiter"), war bewusst, dass ihr Unterstand noch nicht fertig gestellt worden war. Die etwa 50 Meter voneinander entfernt liegenden Ein- bzw. Ausgänge waren im Inneren noch nicht miteinander verbunden.

Durch den Einschlag der Fliegerbombe auf den westlichen Eingang wurden die Menschen eingeschlossen, da ein Fluchtweg nicht vorhanden war.

Vom einzig Überlebenden dieser Katastrophe, Josef Weber aus Lissingen, geboren 1920, stammt ein kurzer Bericht. Nachfolgend einige Sätze daraus: „ ... Die Bombe verschüttete nicht nur den Eingang, der Luftdruck richtete auch auf den ersten 8 Metern des Stollens Schäden an, (... ) die Stollenbretter stürzten zusammen. Herr H. wurde durch herabfallende Erdmassen tödlich verletzt. (... ) Es dauerte nicht lange, bis uns klar wurde: Wir waren völlig abgeschnitten von der Außenwelt - wir waren verschüttet! Wir waren uns bewusst, dass die entscheidende Frage die der Sauerstoffversorgung war (...)

Herr Meyer sank bewusstlos zusammen." In seiner Sterbeurkunde vom 5. Juni 1945 (!) ist u. a. vermerkt: „ ... Hubert Meyer, wohnhaft in Gerolstein, Kasselburger Weg, durch feindlichen Luftangriff gefallen."

Reste des östlichen Eingangs, Foto: Erik Böffgen 2003

Gedenkstein am Kasselburger Weg, Foto: K.-H. Böffgen 2012

Herr Weber berichtete weiter: "Jegliches Maß für Zeit entschwand. (...) Ereignisse meines Lebens kamen mir zu Bewusstsein. Ohne besonderen Schmerz empfunden zu haben, wenn ich von der Verzweiflung über die aussichtslose Lage absehe, muss ich das Bewusstsein verloren haben. (... ) Als ich erwachte, befand ich mich in der Baracke des Krankenhauses Gerolstein und erfuhr, dass es Donnerstag war." (Berichtende)

Von den 52 Personen wurden sieben - unter schwierigen Bedingungen wie nachrutschenden Erdmassen und Fliegeralarm - durch einen senkrecht gegrabenen Schacht noch lebend geborgen. Sie starben nacheinander -nur Josef Weber überlebte.

Vom schwersten Unglück in der Geschichte Gerolsteins sind nur unzugängliche Stollenreste im Inneren der Böschung und die Reste des östlichen Eingangs geblieben (s. Foto). Seit 2003 steht oberhalb des ehemaligen Stollens am Kasselburger Weg ein Gedenkstein mit einer Tafel, die an die Toten des Stollenunglücks vom 2. Januar 1945 und die zahlreichen Opfer, die der 2. Weltkrieg insgesamt in Gerolstein gefordert hat, erinnert.