Eine tolle Idee - mit Spätfolgen

Annemarie Folgnandt t

Eingereicht von ihrer Tochter Gaby Bongards, Hillesheim

Meine Eis-Großeltern hatten in der Gerolsteiner Bergstraße, auf Platt genannt „De Kier", ihren Bauernhof. Zu Beginn der 50er Jahre wurden die Kühe im Sommer noch jeden Tag auf die Weide „gefahren", so nannte man den Austrieb, und dort gehütet. Das war meist die Arbeit von Kusine Irene oder Vetter Erich. Weil diese anderes zu tun hatten, fiel das Los auf mich, für den kommenden Samstag. Ich war elf Jahre alt und sah missmutig einem furchtbar langweiligen Nachmittag entgegen. Denn ganz allein, irgendwo oben in der Moss, macht Kühe hüten überhaupt keinen Spaß. Auf dem Rückweg von den Großeltern stand ich noch grübelnd vor den Schaufenstern der Schneiderei Heinrich Schildgen an der Hauptstraße. Das ist das schöne Haus mit dem Turm an der Seite, wo früher das Osttor unserer Stadtmauer gestanden hatte. Mir ging durch den Kopf, wen ich fragen könnte, beim Viehhüten mitzumachen. Da sah ich, reflektiert im Fensterglas, gegenüber aus der Bäckerei ihrer Eltern die Geschwister Rosi und Klaus kommen. Rosi war ein Jahr jünger als ich. Ihnen müsste ich das Hüten doch schmackhaft machen können - und mir gleichzeitig auch! Meine Idee war einfach super! Also hörten die zwei von mir die Abenteuer, die es beim Viehhüten gab: Auf Bäume klettern, Wasser in unserem Wald aus der geheimen Quelle trinken, den ganzen Nachmittag am Bach mit Schiffchen spielen, ein Wehr oder Steinbrücken bauen. Sie strahlten. Sie hätten am liebsten gleich mit dem Hütedienst angefangen.

Wir vereinbarten alles für den Samstag. Sie hörten auch meine Bedingung, denn ich könnte ja ganz leicht meine Schulfreundin Albertine Hoffmann mitnehmen, der ich das schon länger versprochen hatte. Die Bedingung hieß: eine Tüte voll mit leckeren Teilchen aus ihrer Bäckerei mitzubringen, aber möglichst viele Puddingteilchen, denn die schmeckten mir am besten. In der Bäckerei half deren Tante Martha aus. Und die war sicher froh, zwei der sechs Kinder, die in dem Geschäftshaushalt sinnvoll zu beschäftigen waren, einen Samstagnachmittag gut versorgt zu wissen.

Als ich samstags mit den Kühen die Bergstraße herunterkam, standen Rosi und Klaus bereits erwartungsvoll vor der Bäckerei: - mit einer großen Tüte. Die übernahm ich sofort selbst. In der anderen Hand hielt ich die kleine „Schmeck", die Onkel Willi extra für uns Hütekinder gemacht hatte. In meiner Schürzentasche tickte Onkel Peters teure silberne Taschenuhr, die Oma mir - selbstverständlich ohne sein Wissen - lieh, damit ich auch pünktlich um 18 Uhr abends die Kühe heimtreiben konnte. Denn wenn der Wind gerade mal nicht gut stand, konnte man bis in die Moss das Pfeifen des Kölner Zuges um diese Zeit nicht hören, als Signal mit den Tieren den Heimweg anzutreten. War das ein kurzweiliger Nachmittag! Wir tollten herum! Den beiden gefiel es sehr in der freien Natur zu spielen. Die Kühe fanden saftiges Gras und machten uns wenig Mühe. Ob am Bach oder bei den Kletterbäumen, ging mein Blick immer mal zur Teilchentüte, die am Wiesenhang wartete. Dabei zog ich die Taschenuhr aus meiner Schürzentasche, denn genau um vier Uhr wollten wir Teilchenpause machen.

Endlich! Unter einem Schatten spendenden Baum saßen wir und nahmen uns die frischen Köstlichkeiten vor, zu denen allerdings Ameisen schon den Weg gefunden hatten. Ausgerechnet an den Puddingteilchen waren die am meisten interessiert! Doch die Krabbler waren schnell verscheucht, und es dauerte nicht lange, da war die Tüte leer. Letzte Krümelchen flogen in alle Winde, nachdem ich die Tüte kräftig aufgeblasen und sie mit festem Schlag darauf zum Knallen gebracht hatte. Es kam sogar noch ein zweifaches Echo vom Heiligenstein. Nachdem die Papierreste tief in einem Mauseloch unserer Wiese steckte, war das leckere Geschenk aus der Bäckerei bis zur absoluten Neige bestens verwertet worden. Die folgenden Stunden gingen mit allerhand neuerfundenen Spielen im Nu vorbei. Die Hütelehrlinge hatten sich bereits die Namen der Kühe gemerkt und Haselstöckchen parat, damit trieben sie die Kühe auf dem Heimweg vor sich her. Mir blieb nur, neben ihnen zu gehen und alle gut im Auge zu behalten. Problemlos ging es die Gerolstraße hinunter. Dina, mitsamt ihrem weltbekannten Herrenhut, war nirgends zu sehen. Was würde die eine Schimpfkanonade loslassen, würde eine Kuh das Geringste fallen lassen. Kein einziges Auto behinderte uns, nicht mal ein Fuhrwerk, als wir auf die Hauptstraße einbogen. Aber dann! Genau drei Schritte vor Heinen's Lebensmittel-, Farben- und Tapetengeschäft: hob „Bless" ihren Schwanz! Ich sah, was kommen musste! Vergeblich schrie und schlug ich mit der Schmeck auf Bless ein, um sie wenigstens bis vor die Bäckerei nebenan zu treiben, denn da hätte es nicht dieses Theater gegeben. Ausgerechnet vor Heinen's Geschäftstür ließ Bless ihre saftigen Fladen fallen. Das konnte sie aus dem ff, im schlendernden Gehen, dabei sah sie ganz unschuldig aus! Kaum lag ihre grünbraune Ladung auf dem Asphalt, ging unter energischem Bimmeln die Ladentür auf. Herr Heinen sprang vor sein Geschäft, bewaffnet mit einem riesigen Birkenbesen, den er gegen mich schwang, er brüllte, Gesicht und Hals rot vor Wut. Die Hütehelfer flüchteten heim in die Bäckerei, dabei hatten sie mir doch auch noch das Anbinden der Kühe in den Ställen abnehmen sollen!

Das war jetzt egal! Nur weg von hier! Ich jagte die Tiere Galopp die Bergstraße hoch, dass die prallvollen Euter nur so schwankten. Aus sicherer Entfernung sah ich Herrn Heinen unter lautem Schimpfen die Fladen mit weit ausholenden Bewegungen in den Gully entsorgen.