"Fliegerangriff!" - oder "Das andere Leben"

Augenzeugenbericht von einem Angriff auf einen Personenzug

Anna Molitor, aufgeschrieben von Franz-Rudolf Molitor, Mürlenbach

Meine damals 17-jährige Mutter erzählt: „Der 21. Juli war ein heißer Sommertag. Wir sollten zur Musterung des RAD (Reichsarbeitsdienst) nach Prüm. Ich war noch nie in Prüm gewesen und war sehr gespannt, wie unsere Kreisstadt aussehen sollte.

Alle Mädchen waren gutgelaunt, viele lachten und waren neugierig darauf, was wir erleben würden.

Es hing allerdings eine gelbe Fahne am Bahnhofsgebäude und ich wusste somit, dass Feindflieger gemeldet waren. Mein damaliger Arbeitskollege und späterer Ehemann, der auch auf dem Bahnhof war, wollte mich deshalb nicht mit dem Zug fahren lassen. Als ich noch schnell zur Toilette ging, hat er mich deshalb dort eingeschlossen, aber aus Angst vor den möglichen Konsequenzen meines Fehlens bei der Musterung dann doch wieder freigelassen. Als der Zug dann einfuhr, stiegen wir Mädchen alle in bester Laune ein. Der Zug war vollbesetzt mit Leuten, vor allem mit Soldaten, die von der Front in Frankreich auf Urlaub kamen.

Anna Molitor, Erste von links

In Birresborn hatte, wie ich erst später erfuhr, der Bürgermeister die dortigen Mädchen wegen der gemeldeten Feindflieger an der Mitfahrt gehindert.

Kaum war der Zug aus dem Birresborner Bahnhof abgefahren, donnerte ein Jagdflugzeug über unseren Zug hinweg. Da sprang ein Soldat auf - ich weiß es noch gut - und rief: „Donnerwetter, was kommen die deutschen Jäger heute so tief; da kann uns ja nichts passieren!" Er setzte sich in aller Gemütlichkeit zurück. Er saß kaum, als der Zug plötzlich stoppte und gleich darauf ein Bahnbediensteter von draußen schrie: „Feindliche Jäger, alles in Deckung!"

Da entstand ein furchtbares Gedränge im Zug, denn er war ja voll mit Menschen. Rechts der Gleise floss die Kyll, links lag eine Wiese. Eine Frau neben mir rief: „Kind, helfen Sie mir, ich habe etwas am Bein!" Ich wollte ihr helfen auf der Kyllseite auszusteigen. Im selben Augenblick schossen die feindlichen Flieger in die Kyll, so dass hohe Wasserfontänen in die Luft spritzten. „Da nicht", schrie die Frau und wollte auf der anderen Seite aussteigen. Das dauerte jedoch sehr lange, da sie eine Behinderung hatte.

Als die Frau auf dem Trittbrett stand, griffen die Jagdflugzeuge wieder an. Durch das Fenster sah ich sie kommen. Sie schienen mir so tief wie das Dach des Zuges und aus ihren Flügeln spritzte Feuer. Da fiel die Frau plötzlich vom Trittbrett des Waggons.„Da wird der Vater aber staunen, wenn ich ihm das erzähle", dachte ich. Dann fiel mir mein Vetter Servas (Servatius) ein, der im Alter von sieben Jahren beim Spielen mit Munition sein Augenlicht verloren hatte. Dieser Gedanke ließ mich unwillkürlich meine Hände schützend vor die Augen halten.

Im selben Moment traf mich ein fürchterlicher Schlag. Ich sah, dass mein linkes Bein unter meinem rechten lag. Ich begriff nicht, dass mir etwas Schreckliches passiert war. Die Haut hinter dem Knie war so langgezogen, dass das Bein noch an mir hing, obwohl es auf dem Boden lag. Das Knie fehlte völlig. Das Blut schoss nur so aus der Wunde heraus. Ich dachte: „Jetzt musst du sterben, und du bist doch noch so jung"; und versuchte, die Wunde mit der Hand zuzuhalten.

Ich fing heftig an zu schwitzen. Der Schweiß lief mir über das Gesicht und ich wischte ihn mit meinen blutverschmierten Händen ab. Ich muss fürchterlich ausgesehen haben! Da schaute ein Mann von der Bahn ins Abteil, ein Mann aus Kyllburg, den ich kannte. Mit einem Seil hat er mein Bein abgebunden. Er sagte noch zu mir: „Halt' einen Finger drauf, dann kann ich besser knoten." Aber dazu war ich nicht mehr imstande. Ich bin wohl ohnmächtig geworden, denn als ich wieder kurz zu mir kam, war ein weiterer Zug da, der die Verletzten abholte.

Als ich im Krankenhaus in Gerolstein wach wurde, stand Zendscheider Leni an meinem Bett. Ich kannte sie von der Berufsschule. Sie war am Blinddarm operiert worden und weinte sehr, als sie mich so sah. Mit ihr verbindet mich seither eine lebenslange Freundschaft. Dann besuchten mich meine Eltern. Mein ältester Bruder war im Kaukasus und der zweite war in Russland vermisst. Somit war ich ihr drittes Kind, das ihnen Kummer machte. Und so saßen sie betrübt an meinem Bett. Meine Mutter hat nicht geweint und auch mein Vater nicht. Meine Schwester hat mir später erzählt, sie hätten auch zu Hause nicht geweint und tagelang nicht gesprochen. Es sei furchtbar bedrückend im Hause gewesen. Dr. Luy war sehr um mich besorgt. Ich hatte eine furchtbare Angst vor Flugzeugen und immer, wenn welche zu hören waren, kam er gelaufen und hat mich in den Keller getragen. Und nachts haben die Schwestern mit mir gebetet.

Als ich nach Hause kam, haben die Leute im Dorf geglaubt, ich sei so schnell entlassen worden, weil ich sowieso nur wenige Überlebenschancen hätte. Aber da täuschten sie sich! Ich habe meinen Mut nie verloren; im Gegenteil, ich wollte so sein wie die Anderen. Ja, genau so war es!

Zuhause habe ich in der Zeit danach oft im Schatten der Bäume gesessen und mich erholt. Aber immer, wenn ein Flugzeug kam, hatte ich eine unvorstellbare Angst. Dann kam mein Vater jedesmal gelaufen und hat mich schnell in den Schuppen getragen. Meine Holzkrücken aus dem Krankenhaus musste ich bald wieder zurückgeben. Da ist der Vater nach St. Thomas gegangen. Dort war ein Flugzeug abgestürzt und aus dem Metall, dass er dort gefunden hat, hat er mir passende Krücken gemacht. Mit ihnen konnte ich wunderbar laufen.

Nach dem Krieg gingen die Mädchen alle nach Jakobsknopp (heute Ortsteil von Hersdorf] zum Frühlingstanz. Da habe ich dann zum ersten Mal geweint.

Alle gingen sie hin, nur meine etwas jüngere Schwester Luzia nicht. Meine Mutter hatte es ihr verboten: „Wenn unsere Anni nicht gehen kann, brauch' unsere Luzia auch nicht zu gehen". Und meine liebe Schwester blieb bei mir zuhause ohne zu murren. Das ist mir damals ein großer Trost gewesen." Der Angriff am 21. Juli 1944 auf den Personenzug zwischen Birresborn und Gerolstein forderte 9 Tote, darunter auch ein junges Mädchen aus Mürlenbach. Es gab eine unbekannte Anzahl an Verletzten.

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Meine Mutter hat ihr späteres Leben mit Bravour gemeistert!

Sie heiratete und bekam 2 Kinder. In den 60er-Jahren machte sie den Führerschein und fuhr Auto. Sie leitete viele Jahre die Poststelle in Mürlenbach und führte ihren Haushalt. Nun ist sie 87 Jahre alt und hat trotz vieler Gesundheitsprobleme nichts von ihrem Optimismus, ihrer Lebensfreude und -bejahung verloren.

Dabei hat sie ihr Leben lang Kraft in ihrem Glauben gefunden.