Erna Neis hätte noch gerne gelebt

Die V-1 - teuflische „Wunderwaffe" und „Eifelschreck"

Alois Mayer, Daun

Bis zuletzt schürte Adolf Hitler die Hoffnung, - so noch in seiner letzten Rundfunkansprache am 30. Januar 1945 -, dass er durch den Einsatz sogenannter Wunderwaffen die klar erkennbare Niederlage noch zu einem „Endsieg" wenden könne.

Diese „Wunderwaffe, der Flugkörper V-1 („Vergeltungswaffe" Nr. 1, Fieseler Fi 103), war eine ferngesteuerte Bombe, die durch ein Verpuffungsstrahltriebwerk angetrieben wurde, und als Vorläufer heutiger Marschflugkörper gilt. Über 14 Meter lang war diese automatisch gesteuerte Flügelbombe, die in ein vorprogrammiertes Ziel gelenkt wurde. Als tödliche Fracht schleppte sie eine bis zu einer Tonne schwere Sprengladung und drei Zünder mit sich - Aufschlagzünder. Nach der Landung der Allierten in der Normandie am 6. Juni 1944 geriet die Westfront immer stärker in Bedrängnis. So befahl das Oberkommando der Wehrmacht, die V-1 verstärkt gegen Städte in Belgien und Holland (Antwerpen, Brüssel, Mons und Lüttich) einzusetzen. Ab September 1944 wurde dieser Befehl durch den Bau von über 20 Feuerstellungen in der Eifel umgesetzt, unter anderem bei Büchel und Laufeld und eine Batterie mit drei Geschützen nahe bei Kelberg (zwischen Senscheid und Dankerath). In den knapp fünf Monaten des Einsatzes wurden mehr als 5.600 V-1 aus der Eifel abgeschossen. Aber die unausgereifte Technik ließ nahezu jede vierte frühzeitig abstürzen. Viele Menschen kamen dabei um, und die Schäden waren gewaltig. Selbst noch lange nach dem Kriege mussten viele Personen ihr Leben lassen, wenn sie mit den empfindlichen und gefährlichen Zündern in Kontakt kamen. Bereits nach kurzer Zeit erhielt diese „Wunderwaffe" bei der Bevölkerung den zutreffenden Namen „Eifelschreck".

„Ich glaube, die V-1 Rakete wurde bei Eckfeld abgeschossen. Viele flogen über die Eifel, hinter sich eine große Stichflamme. Die Leute, die dieses Geschoss nicht kannten, sagten: „Schau mal, jetzt werden die Bomben sogar schon mit Holzgas angetrieben!" (Frau Steil, Schutz) „Wenn wir Dinger brummen hörten, gingen wir schon in Deckung. Ganz schlimm wurde es, wenn der Motor anfing zu stottern. Dann wussten wir, die stürzt gleich ab!" (Matthias Thull, Oberstadtfeld)

Opfer im Kreis Daun

Im damaligen Kreis Daun schlugen mehr als 300 V-1-Geschosse ein und rissen zahlreiche Bürger in den Tod. Stellvertretend für die vielen Opfer sollen hier nur die Namen jener genannt werden, die zwischen November 1944 und März 1945 um Daun durch die „Wunderwaffe" V-1 getötet wurden:

Erna Neis

Erna Neis, Tochter von Johann Neis und Maria, geborene Schmitz, wurde am 16. März 1927 in Üdersdorf geboren. Am Dienstag, dem 7. November 1944 wollte Erna nach Daun gehen. Ihre Mutter bat sie noch: „Erna, bleib zu Hause! Es ist viel zu gefährlich!" Doch die siebzehnjährige Tochter meinte: „Hab keine Angst, Mama, ich passe auf mich auf und bete unterwegs einen Rosenkranz." Dann machte sie sich auf den Weg. Ausgangs des Dorfes Üdersdorf begegnete ihr ihr Nachbar mit seinem Ochsengespann, der ihr zurief: „Erna, du kannst mit mir fahren, ich muss zur Mühle nach Gemünden." Doch Erna meinte nur: „Nein, du fährst mir zu langsam. Ich gehe zu Fuß, da bin ich schneller!"

Kurze Zeit später, sie befand sich bereits bei Weiersbach, näherte sich von Üdersdorf kommend ein Sanitätswagen (Sanka), der von zwei Pferden gezogen wurde. Die Kutsche hielt still, und der Fahrer sagte zu Erna: „Wenn du möchtest, kannst du mit mir nach Daun fahren."

Erna stieg ein und setzte sich auf den Bock neben den Kutscher, und im Galopp ging es Richtung Daun. Sie hatten Weiersbach bereits hinter sich gelassen, befanden sich in der starken Linkskurve, als sich aus der Richtung Trittscheid, Tettscheid im Tiefflug eine V-1 Rakete näherte, deren Motor stark stotterte, dann aussetzte und vor ihnen auf den Boden krachte und dort explodierte. Die Pferde, der Fahrer und Erna waren sofort tot. Die Unglückstelle wurde durch die Militärpolizei abgesperrt. Keiner bekam Erna mehr zu sehen. Aber die Reste von ihr wurden im Familiengrab in Üdersdorf beerdigt.

Hubert Dax, Sohn von Eva Dax, wurde am 31. Januar 1885 in Schutz geboren. Sein Beruf war Landwirt. 1914 heiratete er Magdalena Göden aus Bleckhausen und blieb in seinem Elternhaus wohnen. Seine Ehefrau gebar zehn Kinder, von denen acht überlebten. Seine Tochter, Frau Steil, erinnert sich: „Gegen Ende 1944 flogen fast täglich V-1 Raketen über Schutz. Sie waren entweder bei Eckfeld oder nahe bei Laufeld abgeschossen worden.

Hubert Dax mit Ehefrau Magdalena

Wir hatten jedes Mal Angst, wenn wir sie brummen hörten oder mit feurigem Schweif über unser Tal sausen sahen. Dann suchten wir Schutz in unseren Häusern. Mehr als einmal ist eine V-1 in der näheren Umgebung abgestürzt. So auch eine in Schutz. Sofort kam die Militärpolizei und sperrte die Absturzstelle ab. Weil diese V-1 nicht explodiert war, suchte man lange nach den Überresten und dem Zünder. Aber man fand ihn nicht. Am Donnerstag, 16. November 1944, verließ mein Vater Hubert das Haus, um Weiden zu schneiden, da er auch noch nebenbei Weidenkörbe flocht. Er war noch gar nicht weit aus dem Dorf heraus, befand sich gerade in der scharfen Linkskurve, die nach Deudesfeld führt. Dort standen etliche Weidenbäume, und Vater machte sich an die Arbeit. Er hatte schon etliche Bündel Weidenzweige geschnitten, die er an den Rand des Weges legte, um sie später mit einem Karren heimzufahren. Dabei muss er wohl auf den Zünder der V-1 getreten sein, der unentdeckt und versteckt in dem Gestrüpp und im hohen Gras der Wiese lag, viele Meter von der Absturzstelle der V-1 entfernt.

V-1 im Angriff, Foto: Hilary St. George Saunders, The Royal Air Force 1939-1945, Bd. III

Es gab eine mächtige Explosion, die die Scheiben im Dorfe erzittern ließen. Sofort rannten einige Einwohner hin zur Explosionsstelle, wo ein sehr großer Trichter zu sehen war. Meiner Mutter und uns Kindern wurde verboten, ihren Ehemann und meinen Vater noch einmal zu sehen, denn er muss schrecklich verstümmelt gewesen sein. Beerdigt wurde er auf dem Friedhof in Schutz."

Matthias Josef Klein, Sohn von Nikolaus Klein und Susanne, geborene Zirfas, wurde am 8. März 1877 in Bleckhausen geboren. Er war Anstreicher, unverheiratet, und wohnte zusammen mit seinem Bruder im Elternhaus. Es geschah am 29. November 1944 in Bleckhausen, morgens um 6.30 Uhr. Da kam eine V-1 angeflogen, die, wie man sagte, bei Grünewald bei Wittlich abgeschossen worden war. Über Bleckhausen setzte plötzlich das Triebwerk aus, und die Rakete begann zu schwanken und stürzte genau ins Dorf. Zwischen Pfarrhaus und dem Wohnhaus von Matthias Klein riss sie ein riesiges Loch. Ringsum waren nahezu alle Häuser stark beschädigt, Fenster in Scherben, Dächer abgedeckt und weggeschleudert. So auch das Dach des Wohnhauses von Matthias Klein. Es stürzte ein, und ein Dachbalken zerquetschte den im Bett liegenden Matthias. Seine Angehörigen im unteren Teil des Hauses, sein Bruder und dessen Ehefrau sowie ein angenommenes Mädchen blieben unverletzt. Beerdigt wurde er auf dem alten Friedhof, der um die Kirche angelegt war.

Marcel Sanous, französischer Kriegsgefangener, beschäftigt bei Landwirt Josef Gerhards in Oberstadtfeld, fuhr am 12. Februar 1945 mit einem Ochsenfuhrwerk im Gemeindewald auf die Reste einer abgestürzten V-1 und berührte dabei den Zünder. Es kam zu einer mächtigen Detonation. Rasch liefen Oberstadtfelder hin in den Gemeindewald und fanden dort den schwer verletzten Franzosen und brachten ihn in das Wehrmachtslazarett (Saalbau Schramm). Dort erlag er aber abends seinen schweren Verletzungen. Beerdigt wurde er am 15. Februar 1945 auf dem Gemeindefriedhof in Oberstadtfeld, von wo aus er später exhumiert und in seine Heimat überführt wurde.

Der Schüler Winfried Droste und der Jugendliche Gerhard Faber, beide aus Schalkenmehren, kamen ebenfalls am 12. Februar 1945 gegen 14.50 Uhr bei Eckfeld Distrikt „Schnellenfeld" beim Hantieren an einem V-1 Zünder ums Leben.

Der 32-jährige Affenasy Tschorny war als ukrainischer Kriegsfreiwilliger mit seiner Einheit in Demerath stationiert. Am 20. Februar 1945 fuhr er mit einem Militärfahrzeug im Wald zwischen Demerath und Steineberg auf den Zünder einer V-1, der ihn und das Fahrzeug in Fetzen riss.

Schüler Günther Albert Kühnborn war am 24. Mai 1934 in Essen geboren und als Waisenkind nach Wallenborn gekommen. Am 22. März 1945 spielte der Elfjährige - die Gefahr missachtend - mit dem Zünder einer V-1. Dieser explodierte und tötete das Kind.

Absturz einer V-1 bei Mehren Foto: Archiv Alois Mayer