Die Wirren des 2. Weltkriegs -ein Kind wird vermisst

Das Schicksal der Katharina (Ina) Schmitz, Birresborn

Winfried von Landenberg, Mürlenbach/ Katharina Hermanns, Birresborn

Es war an einem dieser leidvollen Tage des Zweiten Weltkriegs, als ein furchtbares Grauen die Eifelgemeinde Birresborn in Form eines Bombenangriffs heimsuchte. Die fast gesamte Familie Schmitz saß, wie viele andere auch, am ersten Weihnachtstag des Jahres 1944 gegen11.00 Uhr vor dem Mittagessen in der guten Stube, als der Vater voller Panik ins Zimmer stürzte und lauthals schrie:" Schnell, packt eure Sachen, die Bomber kommen!" Während Ina mit ihren Geschwistern noch am Tisch saß, rannte die Mutter ins Schlafzimmer um das Nötigste zu holen. Nur Sekunden später wurde das Haus von einer Bombe getroffen, die ein höllisches Inferno anrichtete. Unter ohrenbetäubendem Krachen wurde die Wohnung regelrecht auseinandergerissen und in undurchdringlichen Rauch und Qualm gehüllt. Die Mutter und Inas Geschwister waren auf der Stelle tot. Die Bombensplitter hatten sie regelrecht zerfetzt. Die enorme Druckwelle schleuderte die damals fast viereinhalb jährige Kathrina - „Ina" - auf den heißen Küchenherd, wo sie sich starke Verbrennungen zuzog. Es muss kurz nach dem Inferno gewesen sein, als das kleine Mädchen vom Gemeindediener „Dorrese" (Theodor) Brück in eine Decke gewickelt und in einen nahe gelegenen Keller In der Noll zu den anderen Schutz suchenden Bewohnern und Verwundeten gebracht wurde. Durch die starken Verbrennungen und die Einatmen des Trümmerstaubs hatte das Kind starken Durst. Aber wo sollte in diesem heillosen Durcheinander Wasser aufzutreiben sein?

Glücklicherweise gesellte sich der Pfarrer Kraus zu den Unglücklichen im Keller und handelte unkonventionell, indem er aus der Sakristei eine Flasche Weihwasser holen ließ, damit zumindest die Kinder den schlimmsten Durst stillen konnten. So entfaltete das geweihte Wasser in diesen schweren Stunden seinen Segen.

Später wurde die kleine Ina zur Erstversorgung nach Hillesheim gebracht, wo man sich ihrer Verletzungen und Verbrennungen erstmals annahm. Von Hillesheim ging es dann nach Bernkastel ins Krankenhaus, wo Ina erst mal für einige Wochen eine Bleibe fand und die Verletzungen ausheilen konnten. Hiervon erfuhr ihr Vater nichts. Man kann sich unschwer seine Sorgen und seinen Kummer vorstellen, musste er jedoch davon ausgehen, bei diesem Bombenangriff zu Weihnachten seine gesamte Familie verloren zu haben. So kam es denn auch, dass die kleine Ina von Amts wegen für tot erklärt wurde, da sie ja für den Vater in diesen wirren Kriegstagen nach dem Bombeninferno unauffindbar war (siehe Dokument). Das Kind konnte dies ja unmöglich überlebt haben.

Derweil ging es dem kleinen Mädchen im Krankenhaus recht gut. Wenn Leute ins Krankenhaus kamen und die kleine Ina sahen, fragten sie die Krankenschwestern, zu wem denn das kleine Kind gehöre. Diese wussten es auch nicht, denn sie kannten ja nur ihren Vornamen. Sie gaben zur Antwort: " Niemandem! Wenn Sie möchten, können Sie es mitnehmen."

Und so kam es denn, dass tatsächlich eine Frau (Martha Wirtz aus Kues) das Mädchen bei sich aufnahm. Ein Glücksfall für Ina, die fortan bei ihr Unterschlupf fand. Während dieser Zeit gab der Vater die Hoffnung nicht auf und suchte weiter verzweifelt nach seiner kleinen Tochter. Obwohl sie bereits für tot erklärt war, keimte in ihm doch noch etwas wie Hoffnung.

Sterbeurkunde, Foto: Fotostudio Nieder, Gerolstein

Dann endlich hatte der Vater ihre Spur gefunden - wie ist nicht mehr bekannt - und es stellte sich heraus, dass seine Tochter wohlbehalten den Bombenangriff überlebt hatte. Da gab es für ihn kein Halten mehr. Er besorgte sich ein Pferd mit Kutsche, um seine Tochter nach Hause zu bringen. Die lange, holprige Fahrt nach Bernkastel und zurück nach Birresborn in der alten Kutsche war nicht gerade angenehm. Auf dem Rückweg döste der Vater müde auf dem Kutschbock so vor sich hin und schaute erst auf, als das Gefährt über einen großen Stein holperte. Doch was sah er? Der Kutschbock neben ihm war leer! Ein gewaltiger Schock durchfuhr seine Glieder - hatte er das Kind durch eigene Schuld nun erneut verloren? Erleichterung machte sich bei ihm breit, als er das Mädchen wenig später unverletzt mit erschrockenen Augen im Straßengraben liegen sah. Ina war einfach vom Kutschbock gefallen. Damit das nicht mehr passieren konnte, wurde Ina auf dem weiteren Weg mit einem Seil am Kutschbock festgebunden. Die Weiterfahrt zu weitläufigen Verwandten nach Minderlittgen verlief nun fast reibungslos. Aber nur fast! Sie näherten sich einem Panzergraben, wo die Amerikaner eine Kontrollstelle hatten. Nach dem Visum gefragt, zeigte der Vater einen Zettel, auf den er zuvor das Passbild seines ältesten Sohnes Johann, der bereits aus dem Krieg zurückgekehrt war, aufgeklebt hatte. Der Kontrollposten durchschaute jedoch den Schwindel und schüttelte den Kopf. Jetzt konnte es brenzlig werden! Aber wie bereits vorher in der Bombennacht das Weihwasser, so rettete diesmal der Messwein von der Mosel, den der Vater für den Birresborner Pastor auf seinem Karren hatte, die Situation. Durstig machten sich die amerikanischen Soldaten über den guten Messwein her, gaben Ina Kaugummi und die Fahrt wurde fortgesetzt. Als der Vater mit der Kutsche durch das zer-bomte Birresborn fuhr, standen viele Leute am Straßenrand und riefen freudig:"Ina aus der Au ist wieder da!" Anschließend wurde die kleine Ina von ihrer Patentante Katharina Burggraf geb. Hotz aufgenommen. Am 27. Januar 1945 wurde amtlicherseits bestätigt (siehe Dokument), dass Ina lebend wiedergefunden wurde. In späteren Jahren führte Ina mit ihrem Mann Theo das „Hotel zur Krone" in Birresborn. So nahm die Odyssee eines kleinen Birresborner Mädchens in den Kriegswirren doch noch ein glückliches Ende.