Wir wollen Franzosen sein!

1923 - Separatistenputsch in Daun

Alois Mayer, Daun

Ein im Landkreis Vulkaneifel noch wenig aufgearbeitetes Zeitgeschehen sind einige revolutionäre Jahre, in denen Gruppierungen versuchten, den linksrheinischen Raum - und damit auch die Eifel und Daun - unter die Herrschaft Frankreichs zu stellen. Nach dem Ersten Weltkrieg bildete sich im Rheinland eine Separatistenbewegung, die auch in unserer engeren Heimat ihre Anhänger hatte. Damit bezeichnet man die Bestrebung, einen Landesteil aus seinem bisherigen Staats-gefüge herauszulösen, zu verselbständigen oder einem anderen Staat anzuschließen. Diese Intention löste in der ansonsten politisch friedlichen Eifel große Unruhen, Diffamierungen, Streitereien und Gewalttätigkeiten aus - so auch im Kreise Daun. Französische und belgische Truppen besetzten das Ruhrgebiet am 9. Januar 1923. Ihr Vorwand: Deutschland sei bei einigen seiner Reparationslieferungen im Rückstand. Deshalb sollten das Ruhrgebiet und das Rheinland als „produktive Pfänder" dienen. Innenpolitische Krisen entstanden.

Dieser Zeitpunkt schien nun den Verfechtern, die den linksrheinischen Teil von Preußen, vom Deutschen Reich, abtrennen wollten, günstig zu sein. Erheblich unterstützt von Frankreich, planten die sogenannten Separatisten, Sonder- oder Freibündler, eine „Rheinische Republik", entweder als eigenständiges Land oder als besonderen Staat, unter der Oberhoheit Frankreichs, errichten zu können. Am 21.10.1923 besetzten Separatisten das Aachener Rathaus und riefen die rheinische Republik aus. Der französische Oberkommissar begrüßte diese Bewegung sehr und ließ die Herren Joseph Friedrich Matthes1 sowie Dr. Hans Adam Dorten2 zu „Chefs" der rheinischen Republik ernennen, deren Regierungssitz Koblenz war.

Diese Anhänger der Rheinischen Republik waren überzeugte Pazifisten, von den Preußen enttäuschte konservative Rheinländer, unter den wirtschaftlichen Auswirkungen des „Ruhrkampfes" Leidende, Frankophile, Abenteurer oder Unzufriedene. Sie wurden bewaffnet, zu Divisionen aufgestellt. Sie sollten zwischen dem 22. und 25. Oktober 1923 in den Kreisstädten die „Rheinische Republik" ausrufen, notfalls mit Waffengewalt, und unter den Schutz der französischen Besatzungsmacht stellen.

Über 500 aus dem Land verbannt

Dies veranlasste viele lokale Separatistenführer. Auf den öffentlichen Gebäuden hissten die sogenannten Separatisten grün-weiß-rote Fahnen, die die Landesflagge der „rheinischen Republik" sein sollte. Landräte, Bürgermeister und andere einflussreiche Persönlichkeiten wurden verhaftet und ausgewiesen und durch separatistische Landräte und Kommissare ersetzt.

Josef Friedrich Matthes, „Ministerpräsident" der Rheinischen Republik, Foto: Bundesarchiv

Der Landrat des Kreises Daun, Weismüller, war schon im Januar 1922 durch die Interalliierte Rheinlandkommission seines Amtes enthoben worden. Seinen Nachfolger, Dr. Varain, verhafteten die Franzosen ebenfalls am 24. Januar 1923 gegen 22 Uhr, während einer Dienstfahrt am Bahnhof Dockweiler. Seine Familie musste ihm drei Tage später ebenfalls zwangsweise folgen. Varain wurde in Mainz wegen feindlicher Haltung gegenüber der Besatzungsmacht zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.

Ausgewiesen wurde u.a. der Redakteur der damaligen Dauner „Eifelzeitung" Peter Schneider am 21. März 1923 und im August 1923 ebenfalls alle in seinem Zeitungsbetrieb tätigen Angestellten. Die „Eifelzeitung" musste ihr Erscheinen einstellen.

Allein aus dem Kreis wurden 533 Personen mit ihren Familien vertrieben und auf die rechte Rheinseite abgeschoben. Die Separatisten besetzten einflussreiche Stellen mit ihren Leuten. So wurde der Bürgermeister von Daun, Rudolf Kirch3, nun „neuer" Landrat; der Obersekretär Adolf Jakobs aus Daun jetzt Bürgermeister; Sekretär a.D. Hoppmann Bürgermeister von Gerolstein nahm die Stelle des vertriebenen Jakob Sollhe4 ein, und der frühere Lehrer Bernhard Bange wurde zum Bürgermeister von Gillenfeld bestimmt. Von den übrigen Gemeinden des Kreises wurden ebenfalls Hillesheim und Birgel besetzt, dort jedoch keine separatistische Verwaltung eingesetzt.

„Lumpenhunde und Gesindel"

Die Stimmung war aufgeheizt. Ängste machten sich breit. Am 18. Oktober hieß es dann: „Die Separatisten kommen auch nach Daun!" In damaligen Zeitungsberichten wurden diese als „fremdes Gesindel, Arbeitslose und -scheue, als Lumpen und vorbestrafte Personen" bezeichnet.

Der Führer der Separatisten im Kreis Daun war Peter Schons, gebürtig aus Weidenbach, ein mehrmals vorbestrafter Mann, der erst vor kurzem aus dem Wittlicher Gefängnis entlassen worden war. Er nannte sich „Bezirkskommissar der Rheinischen Republik" und war eng befreundet mit dem französischen Kreisdelegierten Jean Deruy von Daun. In Gerolstein beschlagnahmte er das „Hotel zur Post" und bezog in ihm Hauptquartier. Ungefähr 25 Separatisten von überall her, mehrere aus Üders-dorf, Stroheich und Gerolstein, ernannte er zu einer „Selbstschutztruppe".

Josef Friedrich Matthes mit Separatisten vor dem Koblenzer Schloss, Foto: Bundesarchiv

Sie trugen geladene Schusswaffen, die ihnen die Franzosen geliefert hatten. Damit zogen sie am nächsten Morgen durch die Straßen von Daun. Hinter ihnen, ebenfalls mit der Waffe in der Hand, der Kommandant Jean Deruy und seine rechte Hand, der als „Vaterlandsverräter und Überläufer im Weltkrieg" bezeichnete Gendarm Jean Wals. Posten an den Stadteingängen und auf dem Eisenbahnviadukt patrouillierten und kontrollierten die Einwohner der Stadt. Alle Ansammlungen, die sich in den Straßen bildeten, wurden mit Gewalt unterdrückt und auseinandergetrieben. In der Nacht vom 19. zum 20. Oktober wurden gegen drei Uhr das Landratsamt in Daun, die Bürgermeisterei sowie andere öffentliche Gebäude und Verwaltungsstellen von Separatisten besetzt.

Kreisinspektor Josef Breyer, der von den Beamten und Angestellten des Landratsamtes allein im Gebäude anwesend war, wurde von dem Anführer Schons und einem gewissen Koch-Pfeiffer5 aufgefordert, sich der Bewegung anzuschließen. Breyer lehnte dies ab und erklärte, er halte sich an seinen Diensteid gebunden. Eine ähnliche Erklärung gaben die am Vormittag im Kreissaal versammelten Beamten und Angestellten ab. Mittlerweile hatten die Separatisten in einem Raum sich ihr „Hauptquartier" eingerichtet und die grün-weiß-rote Fahne auf dem Dach des Landratsamtes gehisst. Der Separatist Schons erließ am Nachmittag des 20.10. eine längere „Proklamation" an die Bevölkerung „zur Rettung des Rheinlandes in letzter Stunde." Aus deren Schreibstil und Formulierungen kann geschlossen werden, dass diese Bekanntmachung nicht von Schons persönlich verfasst sein konnte.

Proklamation
„Zur Rettung des Rheinlandes in letzter Stunde vor völliger Verelendung durch Preußens Schuld und vor linksradikaler Revolution, haben die unabhängigen Rheinländer die Zivilgewalt übernommen. Die Autorität der Besatzungsmächte ist selbstverständlich auch fernerhin strengstens zu wahren. Alle Staatsund Gemeindebehörden haben ihren Dienst in unveränderlicher Weise fortzusetzen, sofern nicht andererseits andere Anweisungen ergehen.

Paul Tirard, Präsident der Interalliierten Rheinlandkommission (Foto: Bundesarchiv)

Gegen Zuwiderhandlungen wird mit unnachsichtiger Strenge eingeschritten. Die gesamte Einwohnerschaft hat ruhig ihrer Beschäftigung nachzugehen. Die Lebensmittelversorgung ist sichergestellt. Requisitionen werden nur in allerdringendstem Umfange vorgenommen. Sie müssen die Unterschrift des Ortskommissars oder seines Stellvertreters tragen. Auf Plünderer und Unruhestifter wird ohne Warnung geschossen. Zeitungen und Druckschriften dürfen nur mit unserer Genehmigung erscheinen. Versammlungen sind verboten. Die Unabhängige Rheinische Republik ist erklärt, die provisorische Regierung gebildet. Die Vollzugsgewalt liegt für das ganze Gebiet in den Händen der Exekutive, die Bezirks- und Ortskommissare als ihre Stellvertreter ernannt hat."

Am Sonntag, 21.10., fand im Hotel Schramm eine Versammlung statt, zu der Schons eingeladen hatte. Es nahmen etwa 150 Personen daran teil, dabei viele Vertreter der separatistischen Gruppen in Hillesheim und Gerolstein. In dieser Versammlung wurde eine Resolution gefasst mit dem Inhalt, der Kreis Daun bitte die Interalliierte Rheinlandkommission, sich für eine Abtrennung des Rheinlandes einzusetzen. „Die Unterzeichneten, als Vertreter aus allen Schichten der Bevölkerung des Kreises Daun, gestatten sich ergebenst, durch Überreichung dieses Schriftstückes den überwiegenden Wunsch der Einwohnerschaft dieses Kreises zum Ausdruck zu bringen, einen Rheinischen Freistaat zu gründen. Der Wille des Volkes geht dahin, frei zu sein, seine eigene Verfassung und Verwaltung zu haben. Wir bitten den Herrn Kreis-Delegierten höflichst, diesen Volkswillen dem Vorsitzenden der Hohen Interalliierten Rheinlandkommission, Herrn Tirard6, zu übermitteln." Daraufhin ließ der französische Kreisdelegierte Deruy den Kreisinspektor Breyer zu sich rufen, teilte ihm diese Resolution mit und betonte, dass die einflussreichsten Männer des Kreises sie unterschrieben hätten. Breyer täte gut daran, sich ebenfalls der Bewegung anzuschließen, wolle er seiner Karriere nicht schaden, Breyer nahm alles zur Kenntnis, änderte seine politische Einstellung jedoch nicht. Am 26. Oktober nahmen alle Beamten und Angestellten des Landratsamtes wieder ihren Dienst auf. Allerdings hatten sie folgende Bedingungen gestellt, dass 1. sie ihren Dienst vollständig unabhängig und ohne irgendwelche Belästigungen oder Behinderungen durch Angehörige der Rheinischen Republik ausüben und 2. alle bewaffneten Personen, die nicht der Besatzungsmacht angehörten, sich nicht im Gebäude des Landratsamtes aufhalten dürften; 3. die Dienstgeschäfte in kommunalen Angelegenheiten von Pfarrer Blum (Udersdorf) und die in staatlichen Belangen durch Kreisinspektor Breyer geleitet würden; 4. das beschlagnahmte Kreisauto und die Dienstsiegel sofort zurückgegeben werden müssten. Um den Separatismus im Kreis zu fördern, ließ Deruy dem Landratsamt eine Reihe von Werbeplakaten zukommen, mit der Aufforderung, diese den einzelnen Gemeinden zum Aushang zuzuschicken. Breyer lehnte das Ansinnen ab und schrieb auf die Verfügung einfach: „Plakate sind wegzulegen." Die Bürgerinnen und Bürger des Kreises und der Kreisstadt Daun waren nicht nur besorgt, sondern sehr erregt. Aber sie sahen keine Möglichkeit, aktiv oder gewaltsam gegen die Putschisten vorzugehen. Was blieb, war passiver Widerstand. Kirch, der ehemalige Dauner Bürgermeister, der im „Auftrage" der Separatisten und Franzosen den Posten des Landrates übernommen hatte, hatte kaum was zu tun oder zu entscheiden. Die ihm unterstellte Besatzung des Landratsamtes wurde von fünfzehn auf sieben Personen reduziert. Kreisinspektor Breyer und seine Beamten wussten es so einzurichten, dass keinerlei amtliehe Schriftstücke der Deutschen Regierung in Kirchs Hände gelangten.

„Straße frei, sonst wird geschossen!"

Aber im Landratsamt selbst befand sich das „Hauptquartier" der Separatisten. Der französische Kommandant ordnete den Belagerungszustand in Daun an. Alle über 21 Jahre alten Männer mussten sich zu Wach- und Patrouillendiensten melden, die von der Polizeibehörde angewiesen und eingeteilt und von den Franzosen kontrolliert wurden. Kein Einwohner durfte nach neun Uhr abends die Wohnung verlassen. Ansammlungen am Tage von mehr als fünf Personen waren verboten und wurden von den Separatisten mit dem Ruf „Straße frei, sonst wird geschossen!" auseinandergetrieben. Die gesamte Einwohnerschaft - mit Ausnahme eines verschwindend kleinen Teils - nahm gegen die Bewegung geschlossen Stellung, auch wenn sie sich aktiv nicht gegen die bewaffnete Macht oder deren Repressalien wehren konnte. Eine erheiternde Episode passiven Widerstandes findet sich in der Schulchronik Steiningen-Steineberg: „Als man unseren Ortsvorsteher Johann Josef Demerath während der Nacht aufforderte, die Proklamation des Rheinstaates den Ortsbewohnern bekannt zu geben, hat er das Papier an einem Brett angeheftet und auf den Misthaufen gestellt. Das war der rechte Platz dafür."

Die groß aufgemachten Presseberichte der Franzosen sahen den Verlauf des Putsches anders. Sie meldeten nur Fortschritte und begeisternde Zustimmung unter der Bevölkerung für die „Rheinische Republik".

Landratsamt Daun mit Kreissparkasse 1910

Villa, in der der Separatist Bourscheid wohnte

Lobend erwähnten sie auch die kleinen Eifelstädte wie Bitburg, Prüm, Daun, Mayen und andere. Die Franzosen waren davon überzeugt, dass die Bewohner des linksrheinischen Rheinlandes sich eher Frankreich zugehörig fühlten als Preußen. So verkündete der französische Abgeordnete Maurice Barres7 noch am 30.11.1923 in der Abgeordnetenkammer: „Die Bauern in der Eifel scheinen unbestreitbar in einer sozusagen einstimmigen Bewegung sich für die Loslösung erklärt zu haben." Er sagte dies zu dem Zeitpunkt, als die Eifeler sich einstimmig und eindeutig gegen den Separatismus gewandt hatten, der sich bereits in seinem Endstadium befand. Im November 1923 bildeten sich in der gesamten Rheinprovinz in größerem Umfang Abwehrbewegungen. Der Widerstand wuchs enorm, so dass letztlich auch die Besatzungsbehörden sich zurückzogen und ihre Unterstützung versagten. Ende November 1923 war der Putsch beendet. Der ganze Separatistenspuk löste sich auf. Die Fahnen wurden wieder eingezogen. Die separatistische Regierung verschwand still, und ihre großspurigen Vertreter verließen die Eifel und das Rheinland.

Mit tiefer Entrüstung notierte zum Beispiel Lehrer Peter Josef Mengelkoch in der Schulchronik Steiningen/Steineberg:

„Kaum hatte der Unterricht nach den Herbstferien begonnen, da hallte auch schon die Kunde durch unser Eifeldörfchen, dass die Republik Rheinland Tatsache geworden sei (Pfui!). Auch im Kreis Daun hat der Separatismus gewütet. An der Spitze des Gesindels stand der damalige Bürgermeister Kirch aus Daun, ein ehemalige Hauptmann des Infanterie Regimentes Nr. 29. (Pfui!) Ihm gesellte sich treu zu Seite sein „blühender Genosse" Schulrat Ehrlich aus Daun. Als Anführer einer Truppe von Lumpengesindel, besetzte er in der Nacht das Postgebäude zu Daun und hat sich dort in gemeiner Weise über einige Lehrer des Kreises ausgedrückt. Nachdem der „saubere Herr" so sich ganz unmöglich und seine ihm unterstellten treudeutschen Lehrkräfte verächtlich gemacht hatte, begab er sich nach Koblenz zu seinem Busenfreund Dr. Adolf Dorten, um in der Rheinischen Republik die Stelle eines Staatssekretärs im Unterrichtsministerium zu übernehmen. Jetzt waren die Gelüste des „ehrlichen Mannes" gestillt." Lehrer Peter Josef Mengelkoch wurde von Dorfbewohnern („wegen meiner Arbeit für das geliebte Deutsche Vaterland, für das ich im Weltkriege meine geraden Glieder geopfert habe") angezeigt und sollte mitsamt seiner Familie ausgewiesen werden. Doch dazu kam es durch das rasche Ende der separatistischen Bewegung nicht mehr. Der Neunkirchener Pfarrer Johann Hermann notierte: „Auch in der Pfarrei Neunkirchen trieb die Separatistengesellschaft ihr Unwesen; in Pützborn drangen die Banden ein in die Häuser, forderten unter Drohung mit den Waffen Lebensmittel, so dass ich sonntags auf der Kanzel zur Selbsthilfe riet. Wenn solche Räubergeschichten sich wiederholen, sollte man sofort die Glocke läuten, und wer noch Mannesmut und Muskelkraft in sich fühle, solle zusammenstehen. Zu einem Zusammenstoß mit dem Dauner Kreisdelegierten Deruy kam es, als ich als Pastor für den auch bald nach meinem Einzug ausgewiesenen Wirt Peter Hey und Frau in Daun vermitteln wollte. Er machte mir und dem Klerus die hässlichsten Vorwürfe, dass wir zu Deutschland hielten und nicht zu dem katholischen Frankreich. Ich wies ihn auf diese eigentümliche Katholizität Frankreichs und seine hässlichen Kulturkampfgeschehen hin usw. Schließlich erklärte ich ihm, ich sei nicht gekommen, um mit ihm zu streiten, ich werde sofort nach Koblenz zu seinem HöchstVorgesetzten Tirard reisen und dort meine Bitte vorbringen; das tat ich, und schon am übernächsten Tag wurde die Ausweisung der Familie Hey zurückgenommen...Dann kam noch vor dem Mittagessen der Herr Kreisdelegierte Deruy zu mir - als Bittender! Ich möge das Schreiben doch zurücknehmen; er müsse sich ja zu Tode schämen, wenn das bei seinen Akten liegen bliebe. Er werde mir in jeder Weise beistehen usw. Von da an hat Frankreich mich und meine Pfarrei in Ruhe gelassen."

„Zum Tode verurteilt"

Das „Banner der Vaterlandsverräter" (Eifelzei-tung), das die Separatisten auf dem Dach des Landratsamtes gehisst hatten, waren vielen ein Dorn im Auge. Trotz Verhängung des Belagerungszustandes und des scharfen Patrouillendienstes trafen sich am 23.10.1923 acht junge Leute aus Daun (Bernhard Fries; Heinrich Kauth; Fritz Anschütz; Peter Stark; Johann Hunz; Johann Stark; Peter Hörter; Otto Anschütz). Unter Gesang vaterländischer Lieder zogen sie durch den Ort bis nach Gemünden, wo in der dortigen sogenannten „Villa" der berüchtigte Separatist Bourscheid8 wohnte. Er war aber nicht anwesend und entging so einer deftigen Prügelstrafe. Dafür wurden etliche seiner Fensterscheiben eingeworfen. Dann machten die Acht kehrt und zogen wieder in Richtung Stadtmitte. Inzwischen war es nach Mitternacht, als sie auf Schleichwegen den Rammelberg hinauf am Landratsamt ankamen. Im Schutz der Nacht kletterte Peter Hörter am Blitzableiter der Kreissparkasse hoch, kroch hin auf das Dach des Landratsamtes und dort zum hohen Fahnenmast und entfernte die grün-weiß-rote Flagge. Wieder unten in der Leopoldstraße angelangt, verurteilten die acht Burschen die Fahne „zum Tode", zerrissen sie in Fetzen, die am frühen Morgen weithin verstreut auf der Straße lagen. Zum Entsetzen der Separatisten und zum Schrecken der Bevölkerung. Bereits in aller Frühe waren die acht Dauner von Einwohnern verraten worden und wenige Stunden später wurden sieben von ihnen verhaftet. Einer konnte fliehen. Der französische Kommandant forderte vom Dauner Amtsrichter Hunsenger eine harte Verurteilung der Angeklagten. Doch dieser sprach die Burschen frei, was zur Folge hatte, dass der Amtsrichter ebenfalls sofort ausgewiesen wurde. Auf Anordnung des Kreisdelegierten wurde wieder eine neue Flagge gehisst und von der Gemeinde Daun die Errichtung einer Nachtwache verlangt. Diese bestand zunächst aus zwölf, später aus acht Personen, die fünf Stunden lang Streife gehen mussten (mit Ausnahme der Ärzte, des Apothekers, Jakobs und Kirch). Die örtliche Polizei erhielt von der französischen Kommandantur den Befehl, erneut die Männer zu verhaften. Drei von ihnen konnten noch rechtzeitig ins englisch besetzte Köln fliehen, während die anderen vier (Kauth, Anschütz, Stark und Hunz) verhaftet und vier Wochen hindurch im Dauner Kreisgefängnis festgehalten wurden. Erst nach dem Zusammenbruch der Separatistenbewegung am 6. Dezember 1923 wurden sie frei gelassen. Ebenfalls am 6. Dezember wurde „Landrat" Kirch wieder Dauner Bürgermeister. Auch Adolf Jakobs nahm wieder seine Stelle als Obersekretär ein.

Damit war der Separatistenputsch im Kreis Daun endgültig zu Ende9.

Nachwehen

In Daun befasste sich der Gemeinderat am 13. Dezember 1923 mit dem Verhalten von Bürgermeister Kirch. Die Gemeindevertreter Bitzegeio und Minninger erklärten dabei, sowohl Kirch wie Jakobs könnten nicht mehr weiter ihre Ämter verwalten, da sie durch ihr Verhalten der Gemeinde Schaden zugefügt hätten. Eine Entscheidung wurde nicht ge-troffen.10 Doch für die acht Dauner war der „Fahnenfrevel" noch nicht zu Ende. Während ein Teil der Bevölkerung sie und ihren Widerstand als „Dummenjungenstreich" bezeichnete, nannte der andere sie als „Helden und Treudeutsche". Die Geflüchteten kehrten zwar durch Vermittlung des Roten Kreuzes von Köln und Düsseldorf wieder nach Daun zurück, doch im Januar 1924 erhielten sechs von ihnen erneut eine Vorladung vor das französische Militärgericht in Trier. Die Anklage lautete „auf Gefährdung der Sicherheit der Besatzungstruppen". Diese Anschuldigung, die vermutlich eine sehr harte Bestrafung zu Folge gehabt hätte, war für die Beschuldigten Grund genug, zwei Tage vor der Verhandlung erneut zu flüchten. Das Trierer Militärgericht verurteilte sie in Abwesenheit am 23. Februar 1924 zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten. Eine Berufung gegen das Urteil wurde abgelehnt. Erst im Herbst 1924 - gestützt auf das Londoner Abkommen11 - konnten die Dauner zurückkehren.

Anmerkungen:
1 Josef Friedrich Matthes (* 10. Februar 1886 in Würzburg); politischer Redakteur; rheinischer Separatist. Er ließ sich am 21. Oktober 1923 zum „Ministerpräsident" der Rheinischen Republik ernennen, die am 27. November endete. Matthes zog nach Paris, wo er als Journalist in Paris arbeitete. Er wurde 1941 nach der Kapitulation Frankreichs an Deutschland ausgeliefert und starb am 9. Oktober 1943 im KZ Dachau.
2 Dr. Hans Adam Dorten (* 10. Februar 1880 in Endenich) stellte zusammen mit Josef Friedrich Matthes und mit Unterstützung der Franzosen am 20. Oktober 1923 in Koblenz eine „Vorläufige Regierung der rheinischen Republik" zusammen. Dieser Versuch scheiterte an der fehlenden Unterstützung der Bevölkerung und an nachlassendem Rückhalt durch das französische Militär. Am 31. Dezember 1923 zog er nach Nizza (Frankreich), wo er als Anwalt arbeitete und dort im April 1963 starb.
3 Rudolf Kirch, Bürgermeister in Daun (* 01.12.1874, in Mülheim); am 23. November 1904 durch einen Erlass des Oberpräsidenten der Rheinprovinz zum kommissarischen Bürgermeister der Landbürgermeisterei Kirn ernannt. Kirch blieb nur knapp drei Jahre in Kirn und ging wieder nach Daun zurück; seit 1905 verheiratet mit Barbara Ernst Barbara (* 01.03.1871, in Chicago), Tochter der nach Amerika ausgewanderten Dauner Familie Johann Ernst und Maria Lins.
4 Jakob Sollhe, Bürgermeister in Gerolstein von 1910-1929
5 Koch-Pfeifer war aus Gemünd. Er sollte in der Rheinischen Republik Landwirtschaftsminister werden. Er besetzte am 22.10.1923 die Bürgermeisterei in Gerolstein.
6 Paul Tirard (* 2. Juni 1879; + 1945 in Frankreich); französischer Politiker; von 1919 bis 1930 Hochkommissar und Präsident der Interalliierten Rheinlandkommission im französisch besetzten Rheinland. Sein Regierungssitz war in Koblenz.
7 Maurice Barres (* 19. August 1862 in, Lothringen; + 4. Dezember 1923); französischer Romancier, Journalist und Politiker der nationalen Rechten
8 Jenes separatistische Regierungsmitglied Bourscheid aus Köln, der nach dem Scheitern des Separatistenputsches aus Daun verschwand, wurde 1924 durch vier Dauner (Bernhard Fries; Peter Stark; Peter Hörter; Otto Anschütz) in Köln ausfindig gemacht und der Polizei übergeben. Als „Landesverräter" verurteilt, trat er eine Haftstrafe im „Klingelpütz" an.
9 Dieser Aufstand verlief im Kreis Daun gottlob relativ ruhig und friedlich, während es in Nachbarkreisen und in der gesamten von Franzosen besetzten Eifel zu heftigen Straßenkämpfen kam, die viele Verletzte und sogar Tote forderten.
10 Der Separatist, Bürgermeister Hoppmann in Gerolstein, weigerte sich, zurückzutreten. Er behauptete, der größte Teil der Einwohner seiner Bürgermeisterei Gerolstein-Rockeskyll wolle ihn als Bürgermeister weiterhin im Amt sehen. Der Gemeinderat war aber anderer Ansicht und verweigerte eine Zusammenarbeit mit ihm. Am 16. Dezember 1923 dankte er endgültig ab.
In Gillenfeld verschwand Bürgermeister Bange am 7. Dezember 1923 auf Nimmerwiedersehen. Er trat in die Dienste der französischen Grenzpolizei ein, während der einstige Beigeordnete Pfarrer Dr. Keller vorerst die Amtsgeschäfte übernahm.
11 Diese Londoner Konferenz im August 1924 behandelte unter anderem die Frage der sogenannten Ruhrgefangenen und die Rückkehr der Ausgewiesenen, sowie eine Amnestie für Separatisten und für Vergehen, Taten und Verhaltensweisen gegen deutsche Gesetze im passiven Widerstand, die zwischen dem 11. Januar 1923 und dem Inkrafttreten des Abkommens lagen. Bereits verhängte Strafen sollten von beiden Seiten wieder aufgehoben werden.