Die Berndorfer Ortsschelle

Florian Schulten, Gerolstein-Lissingen

Meine Aufzeichnungen über den Schellenmann/-männer erstrecken sich auf den Zeitraum vom Kriegsende bis in die 80-ziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Nach dem Krieg gab es in Berndorf nur drei Telefonanschlüsse (Pastor, Bürgermeister, Poststelle), kein Mitteilungsblatt und nur wenige Haushalte bezogen eine Tageszeitung. Lediglich am Haus Scholzen (Hausname) war ein Anschlagskasten befestigt, in dem amtliche Mitteilungen ausgehangen wurden. Die örtliche Poststelle befand sich in meinem Elternhaus, das mein Großvater, der aus Oos stammende Hilarius Hoffmann, gebaut hatte. Hier unterhielt er weiterhin eine Kolonialwarenhandlung und eine Gastwirtschaft. Der Hausname war und ist es heute noch, abgeleitet von Opa's Name „Hellijer". Zur Veröffentlichung amtlicher als auch privater Mitteilungen gab es den Schellenmann, der an verschiedenen Stellen im Dorf seine Messingschelle erklingen ließ. War dann aus jedem Haus eine Person anwesend, wurden die Nachrichten laut und vernehmbar ausgerufen. Der erste Schellenmann, jedenfalls so weit ich recherchieren konnte, war Nikolaus Leyendecker, auch genannt Schütz Klos (Schütz-Hausname). Der Schellenmann hatte auch gleichzeitig das Amt des Feldschützes inne. Es ist also anzunehmen, dass der Name Feldschütz dem Hausnamen des Nikolaus Leyendecker entstammt. Der zweite Schellenmann war Johann Keul, der sicherlich wegen seiner großen Behinderung nicht in den Krieg eingezogen wurde. Ihm folgten Jakob Thömmes und als letzter Matthias Thelen. Es wurde bei folgenden Gelegenheiten geschellt. Hier einige Punkte, die ich aber im Einzelnen noch näher erklären will.

Gemeindeversammlung

Es wurde verkündet, dass am Sonntag nach dem Hochamt vor der Kirche eine Gemeindeversammlung stattfinden soll. Hier stand der Bürgermeister in der Mitte und machte seine Bekanntmachungen. Bei dieser Gelegenheit wurden auch die Steuerzettel und andere amtliche Bescheide ausgegeben. Bei schlechtem Wetter wurde die Versammlung kurzfristig in unsere Gastwirtschaft verlegt. Hier habe ich als Kind ein ganz besonderes Erlebnis gehabt und im Gedächtnis behalten. Während der Bürgermeister sprach, rief plötzlich ein Teilnehmer, der wohl am Fenster gesessen hat: „ Oh, loh kütt Efjes Otto"! Efjes ist der Hausname von Otto Leyendecker. Auf der Strasse, die von Walsdorf an unserem Haus in die Landstrasse 10 einbiegt, kam Otto aus der Kriegsgefangenschaft. Natürlich wurde Otto hereingerufen und in der Heimat willkommen geheißen. Er hatte jetzt noch 100 Schritte bis zu seinem Elternhaus. Otto war kurz vor Kriegsende als 16-jähriger noch einberufen worden und kam von Mainz über Kreta-Afrika nach Russland, wo er in Gefangenschaft genommen wurde. Über Jugoslawien fand er im Jahre 1950 den Weg nach Hause.

Der Einnehmer kommt am Dienstag um 14 Uhr bei Hellijer!

In jedem Quartal kamen zwei Beamte des Amtes Hillesheim in unsere Wirtschaft um die Steuergelder der Berndorfer Bürger zu kassieren. Es gab damals die Möglichkeit, bei diesen Terminen Abschlags- oder Restbeträge zu zahlen. Die beiden Herren hatten einen Kasten mit Kontenblättern dabei, wo die Zahlungen manuell sofort gebucht und ebenfalls auf den Steuerzetteln quittiert wurden. Die Steuerbescheide setzten sich zusammen aus: Gewerbesteuer, Grundsteuer, Lohnsummensteuer, Wassergeld und Kanalbeitrag, Berufsgenossenschaft, Familienausgleichskasse, Hundesteuer, Vergnügungssteuer, Holztaxe, Deckgeld, Kosten für Friedhof, Küster, Frühmesse sowie Beiträge zur Provinzial Feuerversicherung.

Notschlachtung

Heute um 14 Uhr wird bei einem Landwirt eine Kuh „Verponnt"! D.h. das Fleisch, wird pfundsweise ab Hof verkauft zum Preis von ca. 1-1,50 Mark. War eine Kuh erkrankt, so dass nur noch eine Notschlachtung die Lösung des Problems war, wurde das Fleisch soweit es noch für den Verzehr geeignet war, billig angeboten, um den Verlust für den Landwirt in einem erträglichen Rahmen zu halten. Es war Ehrensache, dass viele Bewohner Fleisch kauften, denn dieses Schicksal konnte jedem Landwirt geschehen. Meine Mutter war dann auch stets zur Stelle, um für ihren, damals 10-köpfigen Haushalt ein ordentliches Stück Fleisch zu bekommen.

Der Schellenmann in Berndorf

Sonderzuteilung für Selbstversorger

Am Nachmittag gibt es für Selbstversorger in Hillesheim bei Daniels Schellfisch auf Lebensmittelkarten, Abschnitte E und F! Selbstversorger waren die Leute die keine Landwirtschaft hatten, wo deshalb die Versorgung schwieriger war. Meine Mutter, auch wir waren Selbstversorger, fuhr mit dem Fahrrad nach Hillesheim, um sich in einer langen Reihe anzustellen. Wenn sie Pech hatte, war der Fisch alle, ehe sie bedient werden sollte. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen über Mitteilungen und Vereinsveranstaltungen. Mitteilungen von Privatpersonen waren selten. In diesen Fällen mussten die Kosten für das Schellen selbst übernommen werden. Ansonsten wurden die Auslagen für den Schellenmann aus der Gemeindekasse getragen, was in der Regel Minimalbeträge waren, ca. 3-5 Mark. Es war wohl Mitte der 80-er Jahre, als immer mehr Bürger einen Telefonanschluss hatten und die Gemeindeblätter Einzug hielten. Der Schellenmann wurde überflüssig; seine Schelle hat heute einen Ehrenplatz im Gemeindehaus.

Wenn Sie, verehrte Leserinnen und Leser, nach Berndorf kommen, halten Sie bei der neuen Kirche an. Dort steht tatsächlich ein Schellenmann aus Bronze (siehe Foto). Hierbei handelt es sich um eine Stiftung des früheren Jagdpächters und Steinbruchbesitzers Dr. Bruno Carnessali. Aus guten jagdlichen und geschäftlichen Verbindungen hat er diese Figur von seinem Bruder, dem Priester Don Luciano Carnessali, anfertigen lassen. So ist dankenswerterweise der Schellenmann in Berndorf erhalten geblieben.

Für die Mithilfe der Recherche danke ich Herrn Andreas Meier aus Berndorf.