Brot und Fleisch

Hans-Gregor Adrian, Lohmar

Bitterkalt war es auf dem Dachboden, wo unser Getreide lagerte. In der Nacht waren die Temperaturen auf minus 15 Grad gefallen. Mit der hölzernen Schütte füllten wir einen Sack mit Weizen und ließen ihn vorsichtig die schmale, steile Treppe hinunter, schleiften ihn über den Flur und packten ihn dann auf meinen kleinen Schlitten, den ich vor der Haustür abgestellt hatte.

„So, den bringst du zum Bäcker und lässt dir Brotmarken dafür geben", sagte mein Vater und half mir mit dem schweren Schlitten bis zur Straße.

Brotmarken gab es damals im Tausch gegen Roggen und Weizen. Die Bauern des Dorfes brachten ihr Getreide zum Bäcker, der es bei den Mühlen gegen Mehl tauschte. Die Bauern bekamen dafür kein Geld sondern Brotmarken, eine Art Gutschrift, die sie dann beim Brotkauf gegen frisches Brot zurücktauschten. Die Brotmarke unseres Bäckers war einfach ein Stück kräftige Pappe von der Größe einer Streichholzschachtel, versehen mit dem Stempel der Bäckerei. Beim Einkauf musste man zusätzlich zur Brotmarke nur noch einen kleinen Aufpreis, den Backlohn, zahlen. Ich legte mir das dünne Schlittenseil über die Schulter, stemmte meine Gummistiefel in den harten Schnee und zerrte den schweren Schlitten langsam die Straße hoch. Zum Glück war auch die Hauptstraße schneebedeckt, der Schneepflug war zwar durch, hatte aber eine dünne, feste Schicht Schnee für mich übrig gelassen. Ein kurzes Stück konnte ich auf dem Sack liegend die Straße runterrutschen, doch dann kam ein Auto und ich brachte mein Gefährt auf dem Bürgersteig in Sicherheit. Beim Bäcker angekommen zog ich den Schlitten auf den Hof und klingelte am Seiteneingang. Der Bäcker kam, nur mit Unterhemd, Pantoffeln und der fein karierten Bäckerhose bekleidet, raus, schlurfte durch den Schnee zum Schlitten: „Pack an!" Zusammen schleppten wir den Sack in die Backstube und legten ihn auf die Waage. „27,4 Kilo....!" Während er die Brotmarken abzählte, schaute ich in den offenen Backtrog, wo ein gekrümmter, silbern glänzender Metallhaken Teig knetete. „Dein Vater war ein guter Schütze..." sagte der Bäcker unvermittelt. Ich sah ihn verständnislos an. „Wir hatten im Wald ein Gewehr versteckt,... einen Karabiner 98 K," erklärte er flüsternd. „Das Schloss hatten wir natürlich zu Hause gut eingefettet und verpackt, damit es nicht rostete."

Ich sah ihn immer noch verständnislos an. Natürlich kannte ich einen Karabiner 98 K, ich hatte selbst einen, verrostet und ohne Schloss in meinem Versteck hinter dem Hühnerstall. Ich wusste nicht, worauf er hinaus wollte. „Nach dem Krieg... Junge... wir gingen auf die Jagd...! Wenn es Abend wurde, schlichen wir aus dem Dorf, das Schloss und die Patronen in der Jackentasche. wir holten das Gewehr aus dem Versteck, reinigten es, steckten das Schloss rein und schoben die Patronen in die Kammer. Dann warteten wir auf die Rehe. Rehe gab's genug!"

„Wenn eins nahe genug heran kam, legte dein Vater vorsichtig das Gewehr auf meine Schulter," - Der Bäcker legte seine Arme mit einem unsichtbaren Gewehr auf meine Schulter -, „ich hielt mir die Ohren zu und „... Päng!" „Das war doch Wilderei." stotterte ich, „. hattet ihr keine Angst erwischt zu werden?" „Wir hatten Hunger.," sagte er bestimmend und kniff mich zum Abschied in die Wange.