Wenn ech neist soan, as Jemeen!

Hermann Hein, Daun-Neunkirchen

Das Dorf hatte seine eigene Art, Nachrichten zu verbreiten. Der Ortsvorsteher ließ das, was er den Bürgern mitzuteilen hatte, durch den Gemeindediener ankündigen. Der lief durch das Dorf mit seiner Schelle. An ganz bestimmten Stellen bzw. wo er gut zu hören war, unterbrach er das Bimmeln und teilte lautstark mit, was ihm der Ortsvorsteher aufgetragen hatte. Meistens war das die Ankündigung, dass die Gemeinde sich beim Ortsvorsteher versammeln sollte: „Um zwo Auer as Jemeen bei Jaaßen". In Hochdeutsch etwa: Um zwei Uhr ist Gemeindeversammlung. Bei „Jaaßen", das war der Hausname des Ortsvorstehers. Ein Gemeindediener aus einem Nachbarort hat sich das etwas einfacher gemacht. Bei der Amtseinführung ließ er seine Mitbürger wissen: „Wenn ech neist soan, as Jemeen". (Wenn ich nichts sage, also nichts ankündige, ist Gemeindeversammlung). Gemeint war, dass das Schellen ohne Ausrufen eine sofortige Gemeindeversammlung beim Ortsvorsteher zur Folge hatte. Der Gemeindediener wurde arbeitslos und durch das Verbandsgemeindeblättchen ersetzt. Es enthält mehr Informationen als früher mündlich mitgeteilt wurden. Zudem ist es kostenlos und wird Woche für Woche an alle Haushalte verteilt. An manchen Abenden hallten knallende Peitschen durchs Dorf. Junge, unverheiratete Männer kündigten damit einen Polterabend an, der immer noch „Hillesch" genannt wird. Wer als Jungmann noch nichts von der „Hillesch" wusste, wurde damit aufgefordert, sich der Truppe anzuschließen. Dann wurde ein Ackerwagen so umgerüstet, dass das Schleifen der Sense auf den eisenbereiften Rädern einen höllischen Krach verursachte. Die dreimalige Fahrt durch das ganze Dorf endete vor dem Haus der Braut mit einem Ständchen. „Hillesch" wird von der Dorfjugend immer noch gefeiert. Doch die Peitschen, auf Platt sagt man Schmeck, gibt es schon lange nicht mehr. Mit dem Aussterben der Landwirte brauchte man auch die Peitschen nicht mehr. Auf die Polterabende wird mit modernen Medien aufmerksam gemacht: Handy, SMS, Twitter und What's App. In meinem Heimatdorf gab es in früheren Jahren eine Weidegenossenschaft. Vom Frühjahr bis zum Herbst wurde ein Kuhhirte beschäftigt. Der zog allmorgendlich durchs Dorf und blies in sein Horn. Das war das Signal für die Weidegenossen, ihre Rindviecher loszubinden und aus dem Stall zu treiben. Abends das gleiche Spiel: Der Kuhhirte kündigte, bevor er das Dorf erreichte, das Ende des Weidegangs durch Tuten mit dem Horn an. Die Bauern wussten, dass sie die Stalltüren öffnen mussten, um die Tiere wieder reinzulassen. Nur Fremde wunderten sich, dass die Rindviecher problemlos ihre Ställe fanden. Das Getute ist längst Geschichte. Zunächst sorgten elektrische Weidezäune dafür, dass der Kuhhirte arbeitslos wurde. Danach folgte das Sterben in der Landwirtschaft. Eine gewichtige Funktion hatten auch die Plakatwände. Es gab offizielle und geduldete. Geduldet waren die Aushänge an Scheunentoren, Licht- oder Telegrafenmasten. Die offizielle Plakatwand stand an gut sichtbarer Stelle in der Nähe meines Elternhauses am Dorfbrunnen. Meistens war sie mit Plakaten, die für Zigaretten, Waschmittel o.ä. warben, überklebt. Die örtlichen Vereine ignorierten dies und klebten ihre Informationen einfach darüber. Das wurde seitens der Werbewirtschaft nicht gerne gesehen, blieb aber meist folgenlos. Das Scheunentor gegenüber der Gastwirtschaft Hey wurde für Informationen genutzt. Die Kirchgänger gingen daran vorbei und die Besucher der Gaststätte auch. Der Sportverein heftete immer die Mannschaftsaufstellung an das Scheunentor. Die Plakatwand gibt es nicht mehr. Aber die Vereine nutzen immer noch freie Flächen, um auf ihre Veranstaltungen hinzuweisen. Banner, an gut sichtbaren Stellen angebracht, werben besonders wirkungsvoll. Plakate werden immer noch aufgehängt, jetzt jedoch an Lichtmasten, Garagentoren und in Supermärkten usw. Dann gab es noch die Nachrichtenbörsen der besonderen Art. Nach dem Hochamt am Sonntag eilten die Frauen nachhause, während die Männer auf dem Kirchenvorplatz kleine Grüppchen bildeten. Das Geschehen der vergangenen Woche wurde durchgehechelt und auch so manches Gerücht verbreitet. Der Frühschoppen im Gasthaus diente ebenfalls dazu, Neuigkeiten auszutauschen. Das galt auch für den Aufenthalt im Dorfladen. Selten war man dort alleine. Die Zeit vertrieb man sich mit Klatsch und Tratsch. Diese Art der Nachrichtenverbreitung gibt es allenfalls noch in Ansätzen. Das Hochamt findet am Vorabend des Sonntags statt. Den Frühschoppen gibt es nicht mehr und der Dorfladen wurde schon vor vielen Jahren aufgegeben. Die Poststelle und das einzige öffentliche Telefon waren ebenfalls Treffpunkte zur NachrichtenÜbermittlung. Der Posthalter dachte gar nicht daran, das Zimmer während eines Telefonats zu verlassen. Er hörte einfach mit. Das Postgeheimnis wurde aber gewahrt. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, die Postkarten zu lesen und dem Empfänger vorab den Inhalt mitzuteilen: „Ein Kärtchen vom Gretchen. Sie kommt am Wochenende". Zeitungen und Zeitschriften sowie Telefon, Radio und Fernsehen gehören mittlerweile zum Alltag. Aber auch diese Medien unterliegen dem Wandel. Sie werden bedroht von Handys und I-Phones unterschiedlicher Art. Brauchte eine Nachricht vor fünfzig Jahren noch Stunden oder Tage, bis sie den letzten Winkel erreicht hatte, so sind es derzeit nur noch Sekunden. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn eines nicht allzu fernen Tages die Bekanntgabe eines Ereignisses vor dessen Entstehung in die Welt gesetzt wird.