Wie ein Dorfeingang zu uns spricht

Richard Otten, Deudesfeld

Als „Visitenkarte" für ein Dorf ist sein Eingang entlang einer Straße freilich nicht passend, da mag man eher an den Dorfplatz oder Ortskern denken. Aber wie viel kann ein Dorfeingang sprechen, er hat einen eigenen Charakter und Mitteilsamkeit, mit allem, was zu sehen und was vielleicht nicht zu sehen ist, und wie springen die Kontraste ins Auge, wenn man zwei Dörfer an solcher Stelle miteinander vergleicht. Auch die Bildervergleiche „gestern -heute" sprechen so intensiv. Ein „Dorfeingang" - die erste Assoziation für ein typisches Eifeldorf ist sicher unspektakulär. Da wären fast immer dieselben traditionellen, wenigen Elemente: eine Obstwiese, eine alte Scheune, eine Brücke, ein alter Baum, vielleicht ein Wegkreuz, dann „das erste Haus", und natürlich - ein Ortsschild. Manche Eifelgemeinde ergänzt heute das „Willkommen" mit einer individuellen Extratafel: ein Hinweis auf ein lokales Museum, ein Theater, eine vulkanische Sehenswürdigkeit. Mit einem Begrüßungsschild „auf Platt" entsteht ein individueller Akzent, eine menschliche Ansprache. In jedem Fall ist der traditionelle Eintritt ins Dorf ein abrupter, der Übergang ist nicht fließend. In der Dämmerungs- und Nachtzeit fällt es noch mehr auf: die Dorfstraßen sind beleuchtet, Wiesen und Felder liegen im Dunkel. Es zeigt sich ein klares „Drinnen" und „Draußen".

Die paar Kleinigkeiten - der Baum, das Wegkreuz, die Scheune - sorgen aber für ein echtes „Dorfimage", und obwohl es fast immer die gleichen Grundelemente sind, ist doch kein Ortseingang wie der andere. Solch ein Dorfeingang spricht nicht viel, er ist ein verschlafener, mag man sagen. Dem Besucher aus der Stadt signalisiert diese Reduziertheit aber auch „Ruhe" oder „Unberührtheit". Die unausgesprochene Botschaft heißt: „Hier ist nicht „Stadt". Und was empfindet der Einheimische, der Arbeitsheimkehrer oder der Stammurlauber hier? Im schönsten Fall, nach langer Abwesenheit, ist „sein" Dorfeingang eine stumme Umarmung, eine Kraftquelle. Wie viele schwere und schöne Abschieds- und Willkommensgrüße haben Dorfeingänge in die Biographien der Menschen geschrieben! Sogar noch für den Arbeitspendler im Feierabend ist hier schon fast zuhause. Hier sitzt ein Teil der vielbeschworenen Identität.

Nun wandeln sich die Zeiten aber, auch für das Land „auf dem Land". Die Dörfer und kleinen Flecken verändern ihre Gesichter, gerade im 20 Jahrhundert. Ganze Ideologien und Mentalitäten im Wandel der Zeiten lassen sich nun, nach den Umwälzungen im ländlichen Raum, an den Dorfbildern und Verkehrswegen ablesen. Die alles prägende bäuerliche Subsi-stenzwirtschaft geht zurück, auch die moderne Landwirtschaft schrumpft, aber vielerorts nicht die Wirtschaft. Gott sei Dank. Aber sie formt Menschen, Städte und Dörfer neu. Die Wirtschaft ist heute zweifelsohne der größte Prägestempel des Siedlungsbildes. Und mit ihr spricht auch mancher Dorfeingang eine neue Sprache.

Diese „neue" Wirtschaft passt nicht so recht ins Dorf, obwohl sie doch eigentlich dringend gebraucht wird: eine Kleinindustrie, ein Handwerksbetrieb, ein großer Lebensmittelmarkt. Mitten im Dorf ist kein Platz dafür, sie erzeugt Lärm, Verkehr, Emissionen - also wächst sie außerhalb an der Straße, am Dorfeingang. Und obwohl sie mit Arbeitsplätzen und Versorgung höchst willkommen ist, kann sie selbst kein rechtes Willkommen ausstrahlen. Noch vor dem Ortsschild steht plötzlich eine bunte Blechtafel mit Hinweispfeilen zu 12 Kleinindustrien und zum Internetauftritt des Ortes, die kleine Landstraße wird zum LKWtauglichen Kreisverkehr, Peitschenlaternen und Vorfahrtsschilder sichern den Tag- und Nachtverkehr. Eine Tankstelle so groß wie drei Tennisplätze wächst auf der Streuobstwiese, dazu eine Waschstraße. Ein Anhänger mit einer riesigen Imbisswerbetafel parkt mitten in einer Wiese. Die Grenze Feldflur / Dorf wird zum fließenden Übergang. Man passiert eine bunte Agglomeration von Gewerbehallen, Geländebefestigungen oder Imbisspavillons, dahinter liegt irgendwo noch „das eigentliche Dorf'. Auch solch ein Dorfeingang spricht ohne Worte: diesem Ort geht's nicht schlecht, hier ist man umtriebig, hier wird geschafft. Dem Empfindsamen sagt es heutzutage aber auch: „Hier sieht es aus wie im Dorf vorher und im vorletzten Dorf ebenso. Diese Dorfeingänge schenken uns kein Willkommen, seien sie noch so bunt und verkehrskomfortabel. Dabei versucht manches Gewerbe, uns positiv anzusprechen. Discounter, Baumärkte und Tankstellen haben dafür ein festes Werberepertoire: an Stahlmasten in den Himmel ragende leuchtende Firmenlogos in den vertrauten Farbkombis - 24 Stunden beleuchtet, üppiger Gratisparkraum, Fähnchenreihen und riesige Angebotstafeln. Die Werbung ist aber nicht konzipiert für Acker und Wiese, sondern immer für den autobefahrenen Stadtraum, wo die Werbung und die Geschäfte in dichter Konkurrenz stehen: Je greller und auffälliger, desto besser. Solch ein Auftritt ist allerdings ein zweischneidiges Schwert. Er meldet mir gleichzeitig aus der Ferne schon, was ich alles vorfinden werde (eine Fleischtheke, Waschstraße, einen Getränkemarkt....) und dass ich dank Parkplatzbeschilderung nicht lange suchen muss. Wir kennen die Tankstellen-, Lebensmitteldiscount-, und Baumarktlogos aber inzwischen von überall, und was überall gleich ist, verliert seine Ortsidentität. „Et as keen Doaf, et as och keen Stadt", wie ein alter Eifler bemerkte. In ganz Deutschland sehen diese Gebiete gleich aus, es wird irgendwann langweilig. Ortsidentität ist aber kein Selbstzweck, sie ist Bestandteil einer gesunden Psyche. Der Mensch, ob daheim oder unterwegs, hat ein unbeugsames Bedürfnis, zu erfahren: „Ich bin ich, und nicht ein Austauschbarer, ich bin an einem bestimmten Ort und nicht beliebig anderswo.... '

Die Werbekommunikation an den GewerbeDorfrandgebieten ist zwar grell, doch sie nutzt vertraute Assoziationen. Oft werden entlang der Parkplätze riesige Fahnenreihen mit dem Firmenlogo aufgestellt. Fahnen oder Beflaggung benutzte man früher zu außergewöhnlichen Ereignissen, in Hafenstädten bei Ankunft großer Schiffe, bei Militäraufmärschen oder Nationalfeiern. Wo Beflaggung war, entstand Gemeinschaftssinn, da kamen Menschen zusammen. Wir kennen es aus dem Dorfleben noch von Feuerwehr- und Pfarrfesten u.ä. Mit dieser Psychologie spielen die Werbefahnen, obwohl sie nun ihre Wirkung längst ausgereizt haben. Man kann das Außergewöhnliche nicht einfach zum Alltäglichen machen. Das große Möbelhaus möchte uns gern durch seine 20 Fahnenmasten sagen „Hier kommen Menschen zusammen!" Es teilt uns aber heute nur lautstark mit: „Wir sind groß und wir sind preiswert!" Seine riesigen Werbemittel haben sich recht schnell inflationiert, denn fast alle Geschäfte haben Beflaggung, und wenn alle uns anschreien, kann uns keiner mehr etwas deutliches sagen.

Plötzlich aber, weil wir immer gern entdecken und Neues kennenlernen wollen, registrieren wir anderswo die wohltuende Diskretion. Nur drei Kilometer weiter übers Land, da ist plötzlich ein Dorfeingang ohne Industriehallen und Kreisverkehr! Am Dorfeingang lediglich ein alter Walnussbaum und ein Ortsschild. An einem Haus ein kleines handgemachtes Ladenschild, eine Töpferei, eine Imkerei oder ein Kunstschreiner. Kleine unaufdringliche Zeichen, die eher flüstern und sich zurücknehmen. Sie haben immer etwas eigenes, auch wenn z.B. ein schönes Wirtshausschild doch in jedem zweiten Dorf zu finden ist.

Stark vom Tourismus abhängige Regionen oder Städte haben oft strengste Restriktionen bezüglich Außenwerbung und Gewerbeansied-lung, man denke an kleine Handwerkerdörfchen in Südfrankreich, an „Bummelgäßchen" in italienischen Urlaubsorten, oder auch schon an der Mosel. Hier lockt uns zwar auch alles zu einem Geschäft, hier muss auch Geld umgesetzt werden, aber kein Niemand schreit uns an mit Leuchtreklamen, 24-Stunden-Autowäsche oder Teppichhäusern. Man folgt instinktiv dem Bedürfnis nach Unbekanntem, nach Stöbern und Entdecken. Die Werbekommunikation in Kleinteiligkeit und Individualität ist genauso ausgetüftelt wie der Reklamerummel der Gewerbeansiedlungen, aber sie passt sich unserem Wesen und einem wohltuenden Siedlungsbild an. Man spricht Fußgänger an, nicht den in der Ferne vorbeirauschenden Autofahrer. Dieses Siedlungsbild, diese kleinen Zeichen sind für unsere gesunde Psyche und Identität genauso notwendig, wie es Heimat, Arbeit und Güterversorgung sind. Und freilich, was wäre die Vulkaneifel heute ohne Industrie und Gewerbe, sie wäre nicht romantisch-verschlafen, sondern arm. Und solche Zustände gab es hier lang genug. Die Zeiten, in denen ein Eifeler Dorfeingang schon die Armut der Bewohner verkündete, mögen in alten Geschichten ruhen. Man schaue aber mal öfter im modernen Kreisverkehr aus dem Autofenster, öffne sein inneres Ohr und bemerke, wie alte und neue Siedlungen zu uns sprechen. Jeder „stille" Dorfeingang ohne Internetadresse, ohne Werberummel kann eine persönliche Begrüßung sein, vielleicht sogar ein kleiner Kulturschatz. Betreten wir ein Dorf, sagt die kleine Wetterfahne auf dem Kirchturm uns mehr über Heimat und Wohlstand als zehn Fahnen auf dem Supermarktparkplatz.