Wie mich der Computer entdeckte

Christine Kaula, Wipperfürth

Ein technisch versierter Mensch könnte jetzt einen wunderbaren Aufsatz schreiben über die Entwicklung der Massenmedien im Allgemeinen und im Besonderen. Wie es irgendwann einmal angefangen hat. Wer, wann, was erfunden hat, und wie die Entwicklung der verschiedenen Bereiche wohl einmal weitergehen wird - Ende natürlich offen. Ich kann die Entwicklung der modernen Medien nur anhand meiner persönlichen und beruflichen Erfahrungen schildern, die naturgemäß ganz unterschiedlich zu denen anderer Menschen sind.

In den 1950er-Jahren lebte ich medienmäßig sozusagen in der Steinzeit. In meinem Elternhaus im Kölner Süden hatten wir zwar ein Radio, aber weder Fernsehapparat noch Telefon. Eine Tageszeitung zu beziehen, war nicht im Budget enthalten, eine Illustrierte zu kaufen, purer Luxus. Das Radio war ein etwas einseitiges Kommunikationsmittel, denn es brachte zwar Neuigkeiten ins Haus, beförderte aber keine nach draußen. Telefonieren konnten wir nicht, also beschränkte sich der Kontakt zwischen den Verwandten auf Briefeschreiben und Besuche. Die Briefe wurden natürlich mit der Hand geschrieben. Nachdem ich des Schreibens mächtig war, wurde ich dazu ausersehen, die Kommunikation zwischen der Kölner und der Eifeler Verwandtschaft aufrechtzuerhalten. „Schriev ens, dat mir op de Kirmes kumme", hieß es dann von Mutters Seite aus. Schreiben war halt nicht das ihre, obwohl sie für ihr Leben gern Briefe empfing. Mama suchte Schreibpapier; wenn sie keins fand, musste eine Doppelseite aus meinem Aufsatzheft dafür herhalten. „Ihr Lieben alle", begann ich, malte sorgfältig Buchstabe für Buchstabe in meiner schönsten Schönschrift. Natürlich musste zuerst nach dem Befinden von Onkel und Tanten gefragt werden. „Wie geht es Euch? Uns geht es soweit gut." Das Wort „soweit" konnte alles und nichts bedeuten, meistens ging es ja allen gut, aber der Satz war obligatorisch und Pflicht. Nach der Einleitung kam man zum Grund des Briefes: „Wir kommen Euch zur Kirmes besuchen, holt uns bitte am Bus ab." Man schrieb zu Weihnachten, Ostern, Pfingsten, zu Geburtstagen und zu Geburten, zu Taufen, Kinderkommunionen und zu Beerdigungen. Bei nahen Verwandten erschien die Familie persönlich. Und umgekehrt war es genauso. Ein Telefon bekamen meine Eltern erst, als ich schon verheiratet war.

Einen Beruf zu erlernen, war zu der damaligen Zeit keineswegs in allen Familien selbstverständlich. Ich hatte das Glück und konnte in den 1960er-Jahren eine Ausbildung zur Anwaltsgehilfin machen. In der Kanzlei gab es einen großen, schwarzen, schweren Telefonapparat, eine mechanische Adler-Schreibmaschine, einen Stenoblock samt Stift und viele Akten. Den Umgang mit Schreibmaschine, Telefon und Stenoblock lernte ich schnell; mit den Menschen richtig umzugehen, dauerte ein bisschen länger. Nach der Lehre wechselte ich in ein mittleres Industrieunternehmen und saß auf einmal vor einer elektrischen Schreibmaschine. Das war eine ziemliche Umstellung, aber nach kurzer Zeit hatte ich auch das geschafft, freute mich über die Arbeitserleichterung. Im Folgejahr wechselte ich in ein ganz großes Unternehmen in der Nähe meines Wohnortes. Dort gab es neben einer Telefonanlage mit vielen Nebenstellen einen Fernschreiber, ein LorenzGerät im Holzschrank mit Holzrollos. Dieses Gerät bediente eine eigens zu diesem Zweck eingestellte Fernschreiberin, die den ganzen Tag nichts anderes machte als Fernschreiben zu tippen oder welche zu empfangen und sie dann weiterzuleiten. Das war noch Anfang der 1970er-Jahre so. Die damalige Hochkonjunktur machte solche exklusiven Arbeitsplätze möglich. In diesem großen Unternehmen gab es sogar noch hauseigene Büroboten, und jeder einfache Sachbearbeiter hatte eine eigene Tippmamsell. Das waren noch Zeiten! Nach meiner Heirat und Umzug ins Bergische Land arbeitete ich anfangs im Büro eines Einzelhandelsgeschäfts. Das war allerdings wieder ein Rückschritt, fast alles wurde per Hand erledigt, die Schreibmaschine funktionierte manuell und die mechanische Addiermaschine hatte einen Hebel und machte beim Rechnen „Ratsch".

Für mich kam die grundlegende Wende in den 1980er-Jahren. Nach einer weiteren Ausbildung arbeitete ich als Werbeleiterin in einer großen Firma. Zwar schrieb ich meine Briefe und Textentwürfe zunächst noch auf einer elektrischen Schreibmaschine, und es gab auch noch den bekannten Fernschreiber im Holzschrank. Doch schon kurze Zeit später wurde ein Schreibautomat von Olympia angeschafft. Um den Gebrauch dieser modernen Geräte zu erlernen, schickte das Unternehmen mich auf ein eintägiges Seminar. Kleine Texte konnte man auf einer Minidiskette abspeichern, ein Display erlaubte, den Text zu kontrollieren noch während man ihn schrieb. Damit zu arbeiten, war so komfortabel, dass ieh ganz hingerissen von den Möglichkeiten war, die sich boten. Heute lächle ich selbst darüber, doch für die damalige Zeit war es eine ganz neue Welt. Und nach weiteren zwei kurzen Jahren (1985) saß ich vor dem allerersten IBM-Personal Computer, den es in dem Großunternehmen überhaupt gab. Dieses Mal gab es kein Seminar, weil so etwas überhaupt noch nicht angeboten wurde. Eine kurze Einweisung, der Rest blieb einem selbst überlassen. Schwarzer Bildschirm, grüne Schrift, sonst nichts. Die Befehle musste man sich teilweise selbst erarbeiten und aufnotieren, es gab keine „Hilfe"-Taste; es gab wirklich gar nichts! So ging es wohl vielen Menschen damals, die mit dem neuen Medium konfrontiert wurden. Aber ich lernte nach anfänglichen Schwierigkeiten, mit „meinem PC" sehr gut umzugehen. Ein Telefaxgerät hätte ich gern auch gehabt; die gab es nämlich auch schon, zwar nur in schwarzweiß und auf Thermopapier, aber immerhin wäre es eine große Hilfe gewesen. Man hätte so nötig eines gebraucht für Prospektandrucke und ähnliche Entwürfe , die fast täglich per Boten von der Werbeagentur geliefert wurden. Komischerweise wurde dies zunächst nicht genehmigt, obwohl viel kleinere Firmen über diese praktischen Geräte schon verfügten. Erst einige Monate später sah die Firmenleitung ein, dass man dadurch eine Menge Geld sparen konnte.

Von dieser Zeit an begann - zumindest für mich in meiner Erinnerung - eine rasch fortschreitende Entwicklung in der Kommunikationstechnik. In der Konstruktionsabteilung schaffte man die großen Zeichenbretter Format 0 ab und ersetzte sie durch großformatige Computer, wobei die Arbeit zunächst noch so lange parallel erledigt wurde, bis alle Mitarbeiter mit der neuen Technik vertraut waren und das Programm optimal und ohne Fehler funktionierte.

Später wechselte ich in einen Verlag nach Köln. Da gab es für die Redakteure spezielle Programme für Fachzeitschriften und Bücher. Schon lange benutzte ich moderne WindowsVersionen (die erste erschien 1989) anstelle der Textverarbeitung Word für DOS auf dem schon erwähnten IBM-PC und konnte damit viel komfortabler arbeiten. Dazu kamen natürlich noch zusätzliche Tabellenprogramme und Powerpoint. In dieser Zeit gab es schon lange eine große Auswahl an Programmen, die das Arbeiten in vielen Berufszweigen erleichterten. Mitte der 1990er-Jahre wuchs das Internet, zum Ende des Jahrzehnts hatte es schließlich auch meinen Arbeitsplatz erreicht, nicht sehr lange danach hielt es in meinen eigenen vier Wänden Einzug. Ich erinnere mich noch gut, dass ich das Attentat auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 morgens an meinem Arbeitsplatz auf dem Bildschirm beobachtete, da ich kurz vorher etwas für meinen Chef recherchieren sollte. Die letzten Jahre meiner Berufstätigkeit brachten für mich keine besonderen neuen Veränderungen, da mein Arbeitgeber zwar jeweils die modernsten Windows-Versionen anschaffte, im Übrigen jedoch keine großen Investitionen tätigte. Im Jahre 2010 ging ich dann in den Ruhestand. Es ist mir nicht möglich, die weitere Entwicklung der modernen Kommunikation darzulegen. Mein Wissen über diese Techniken blieb mit dem Tag stehen, an dem ich in den Ruhestand ging. Zwar benutze ich nach wie vor meinen PC, schreibe meine Texte darauf, recherchiere im Internet (es ist ja so bequem), besitze ein modernes Handy, mit dem man außer telefonieren auch noch fotografieren, mailen, googlen, whatApp'sen, übersetzen und Musik und Sprache aufnehmen kann. Man kann es als Kalender benutzen, etwas darauf notieren und man kann - wenn man will -sogar damit spielen. Bestimmt habe ich noch etwas vergessen, weil ich wahrscheinlich gar nicht alle Anwendungen kenne. Zu schnell ist die Entwicklung fortgeschritten und hat mein Wissen weit überholt. Ich habe nicht die Ambitionen, mich jeweils auf den neuesten Stand bringen zu müssen, da ich mit der technischen Ausrüstung, über die ich verfüge, zurechtkomme. Ein Ende der Entwicklung der Kommunikationsmedien ist allerdings nicht abzusehen. Ein junger Mensch könnte diesen Bericht nun fortsetzen - mit seinen Erkenntnissen und seinem Wissen.