Kindheitserinnerungen „Die Hardt"

Annemie Clemens-Monzel, Mürlenbach

Am Ortseingang Mürlenbachs von Birresborn kommend befindet sich rechts der Kyll der Hardterberg. Hinter den Häusern an der Birresborner Straße ist der Hang mit Bäumen bewachsen. Der Hardterberg schlängelt sich hinter der Mürlenbacher Kirche weiter entlang der Schönecker Straße bis zum Ende des Neubaugebietes „Remelsbach". Zwischen Kirche und Haus Michels ist der ursprüngliche Weg zur Hardt.

In meiner Kindheit war der Südhang ausschließlich landwirtschaftliche Nutzfläche. Rechts des Hardterwegs ist heute alles mit Weißdorn und Ginster zugewachsen. Links vom Weg in der sogenannten „Bous" besteht noch heute Weidefläche. An dem warmen Südhang waren im Frühjahr die ersten Veilchen und Schlüsselblumen, im Sommer die Gold- und Silberdisteln. Am Ende des Remelsbachtals teilte sich der Weg. Links ging es zum „Eisenmännchen", geradeaus zum „Fronseifen" und rechts hoch führte ein schmaler Weg zur Hardt. Diesen schmalen Weg habe ich meistens als Kind benutzt. Dort wuchsen schattenspendende Bäume.

Auf der Höhe angekommen, ging es links auf „Schützenkreuz", geradeaus zum „Dachsberg" und rechts kam ich auf den Hardterweg. Rechts vom Weg war das Haus der Eheleute Willi Lindemann. Sie waren Bauersleut und Selbstversorger. Rechts vom Weg war ein wunderschöner Bauerngarten mit Lattenzaun. Die Lindemanns besaßen den sogenannten „Gemeinde-Ziegenbock". 50 m vom Haus entfernt hat man den Ziegenbock schon gerochen. Auf der linken Seite des Weges war meist ein eingezäuntes Kartoffel- und Weizenfeld. Hinter dem Haus am Südhang und geschützt vom „Eisenmännchen" war eine große Obstwiese. Heute befinden sich nur noch ein paar Mauerreste und Steinhaufen dort. Petroleumlampen waren ihre Beleuchtung, das Wasser holten sie mit einem Schulterjoch mit Zinkeimern aus einer Quelle in Richtung „Dachsberg". Frau Lindemann freute sich immer, wenn wir Kinder sie besuchten und schenkte uns meistens Nüsse. Sie pflegte sich schlecht und sah nach ein paar Jahren wie eine Hexe aus. Später als junge Frau erfuhr ich, dass sie eine wunderschöne Frau war, als sie vom Altenhof auf die Hardt kam. Die Ehe blieb kinderlos und ihr Mann muss nicht mehr gut zu ihr gewesen sein. Damals lag alles nur an den Frauen. Die Männer gingen nicht zum Arzt. Jetzt konnte ich ihre Ungepflegtheit verstehen. Weiter am Hardterweg vorbei war recht ein kleines Häuschen. Da wohnte die rothaarige Marie. Ich schätzte sie damals zwischen 20 und 30 Jahre alt. Ich bewunderte immer ihre roten Locken. Hatten wir Kartoffeln auf der Hardt angebaut, half Marie bei der Ernte. Vater belohnte sie immer mit Einkellerungskartof-feln für den Winter.

Eines Tages erfuhren wir, dass Marie nach Amerika gegangen ist. Schaut man heute in die Hecken unterhalb des Weges, sieht man noch Mauer- und Steinreste ihres Häuschens. Oberhalb von Marie war das Haus Jakob Stadtfeld, ebenfalls Selbstversorger mit vielen Kindern, die nach Schulabschluss in die Welt gingen, um Geld zu verdienen. Übrig blieb „Pitter", der geistig zurückgeblieben war und nach dem Tode der Eltern auf der Hardt bleib. Jeden Mittag kam Pitter hinunter ins Dorf, und irgendwo durfte er sich mit an den Tisch setzen. Für morgens und abends bekam er noch oft die Brote mit. Er hat nie gebettelt. Als ich in den 70er Jahren mit meinen Kindern auf der Hardt war, saß Pitter draußen auf der Bank und hatte die Schuhe aus. Pitters Zehennägel waren durch die Strümpfe gewachsen. Er sah nicht gut aus. Kurze Zeit danach hatte Pitter einen schweren Schlaganfall und starb an den Folgen.

Im 19. Jahrhundert sollen 17 Häuschen und Hütten auf der Hardt gestanden haben. Die Hardt war fruchtbar, aber mühsam zu erreichen. Viele Bewohner zogen nach und nach in die umliegenden Dörfer.

Rechts des Weges war das Haus Lenzen. Ich erinnere mich nur noch an Hermann und Klos (Nikolaus) sowie deren Mutter Christine. An schönen Sommertagen saß Christine auf einem Holzklotz im Hof, schnitt und rieb ihre selbst angebauten Tabakblätter. Dann stopfte sie sich ihre Pfeife und rauchte genüsslich. Das hat mich als Kind total fasziniert. Theo Lenzen hat das Haus aufrecht erhalten. Es ist heute ein Wochenendhaus mit Licht, Wasser und Telefonanschluss.

Etwa 30 m weiter links des Weges wohnte das Ehepaar Walter und Martha Jarcejewski. Auch sie waren Selbstversorger mit einer Kuh, einem Kalb, einem Schwein, drei Ziegen, Hühnern, Hund und vielen Katzen. Walter und Martha hatten einen eigenen Brunnen. Ihre beiden Söhne waren nach dem Krieg vermisst. Sie hofften bis zuletzt auf ihre Heimkehr. Als im Alter ihre Kraft nachließ, schenkten Walter und Martha im Frühjahr uns Kindern die kleinen Zicklein. Mit zusammengebundenen Füßen trugen mein Bruder und ich sie nach Hause. Dort wurden sie aufgezogen, gemästet und schließlich geschlachtet. Walter starb zuerst. Um Martha kümmerte sich eine Frau aus dem Dorf und somit konnte sie bis zuletzt auf dem Berg bleiben. Aus ihrem Haus wurde ebenfalls ein Wochenendhaus. Ganz vorne auf der Kuppe, mit wunderbarem Blick übers Kylltall, begannen zwischen 1950 und 1960 Johann Hagen und seine Frau Maria geb. Stadtfeld, ein Haus zu bauen. Es war ein mühseliges Werkeln und Bauen über Jahre hinweg. Sie waren kinderlos und wurden alt übers Bauen. Maria hatte einen Unfall und starb an den Folgen. Johann wurde dement. Verwandtschaft im Dorf nahm ihn auf und pflegte ihn bis zum Tod. Auch dieses Haus ist heute ein schönes Wochenendhaus. Ich bin im 67. Lebensjahr und heute noch gerne auf der Hardt. Von 17 Häusern und Hütten habe ich noch die Bewohner in sechs Häusern erlebt.