Das Auslaufmodell

Gisela Bender, Deudesfeld

Eine Bäuerin aus dem ehemaligen Arbeitskreis hat Geburtstag.

Wenn man 70 Jahre alt wird, dann ist das Grund genug, zurück zu schauen. Ich greife mir eine dieser Bäuerinnen heraus, und zeige auf, wie sie zu dem wurde, was sie heute ist. Das Leben jeder Einzelnen mag in Nuancen anders verlaufen sein, der Kern der Sache ist jedoch bei allen der gleiche. Es stellt ein Stück bäuerlicher Zeitgeschichte in den Fokus.

Im Krieg geboren, nachdem bereits klar war, dass dieser Krieg nicht zu gewinnen war. Die Eltern hatten eine sogenannte Kriegshochzeit gefeiert. Dann war der Vater wieder an der Ostfront, dann nach der Verwundung im Lazarett. Schließlich bei den Franzosen in Kriegsgefangenschaft.

Meine Vorstellbäuerin hat ihre Eltern nur krank erlebt. Der Vater wohl durch die Verwundung bedingt, war von Kopfschmerzen derart geplagt, dass er tagelang auf der Bank lag. Die Mutter lag 1950 länger als ein halbes Jahr im Krankenhaus. Zum Sterben hatte der Vater sie nach Hause geholt, aber sie kam wieder auf die Beine. Zahlreiche Krankenhausaufenthalte sollten folgen. Zu den gesundheitlichen Problemen kam wie in allen Häusern die Geldknappheit. Wirklich arm, so sagt sie, waren sie nicht, das empfanden sie auch gar nicht so, es war nur die meiste Zeit kein Geld im Haus. Meine Vorstellbäuerin hat die Arbeit geliebt. Schon früh hat sie mit dem Pferd auf dem Feld geackert. Im Winter mussten Berge von Speiß und Rommein aus dem Keller geschleppt werden.

Einen Beruf hat sie nicht erlernen dürfen, das hat der Vater nicht eingesehen. Dafür musste sie früh in „Stellung". Die Dienstherren kamen aus dem Kölner Raum und musterten die jungen Mädchen.

Wenn die noch halben Kinder gefielen, dann waren sie für den Winter verkuppelt. Die Mädchen arbeiteten, der Lohn wurde zu Hause abgegeben. Im Frühjahr kamen sie zurück wie die Schwalben. Hauswirtschaftsschule sollte es dann doch sein, wichtig für die einmal zu führende Familienküche. Darüber hinaus engagierte sich unsere Bäuerin in verschiedenen sozialen Organisationen. Ein Hof war in dieser Zeit ohne Bäuerin dieses Schlages nicht zu führen. Wer sich erinnert, der sah diese Frauen tagelang auf dem Rübenfeld stehen, um Unkraut zu kappen, sah sie auf den Traktoren im Heu, immer in Eile, denn morgen konnte es wieder regnen.

Man sah die Bäuerin hin und wieder auch in einem schönen Stöffchen, aber viel öfter in Gummistiefeln. 365 Tage morgens und abends bei Wind und Wetter, ob Werktag, Sonn- oder Feiertag, immer im Dienst. Immer beim Vieh, unsere Bäuerin, sie ist nahe bei ihren Tieren. Nahe bei der Kreatur, verbunden mit der Natur. Das Modell, das ich hier vorgestellt habe, ist ausgelaufen. Eine neue Generation von Bäuerinnen ist nachgerückt. Ihr Aufgabenbereich ist komplexer geworden, mit Internet und einer digitalen Arbeitswelt. Der nachfolgenden Generation Bäuerinnen ist es zu wünschen, dass sie - bei allem Streben nach immer mehr Größe und immer mehr Masse - stets an erster Stelle das Wohlergehen von Mensch und Tier in den Vordergrund stellen.