Einander verstehen -miteinander leben

Roswitha Gräfen-Pfeil, Mosbach

Einander verstehen - miteinander leben, das ist nicht immer so ganz einfach, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen. Eine Familie zog aus der Großstadt ins BadenWürttembergische, die Tochter ging mit ihrer Mutter zum Bäcker, um Brötchen zu kaufen. Die Bäckerin: " Was welletze? Weggle???" Verdutzte Gesichter und völliges Unverständnis der Kundinnen, herrlich! Aber mit Gesten und Fingerzeigen war das Frühstück trotz „Fremdsprache" gerettet. Wir in der Eifel legen eine Bettdecke aufs Bett, warum sich manche Leute im Badischen Odenwald einen Teppich auf das Bett legen, verstand ich nicht. Es dauerte, da ich ihr Schlafzimmer nicht sah, etwas länger, bis ich merkte, Teppich ist ein anderer Name für die Bettdecke.

„Du mechst a Krach wies Scheierndohr, wanns implumbe dut! " Ist dies nicht eine schöne Redewendung, deren Bild sich jeder vorstellen kann, so er den Satz versteht? Das „Heb mal!" in der Kurpfalz heißt, etwas zu halten, begriff ich schnell. Diese und viele andere Beispiele der alltäglichen Verständigung trotz fehlender gemeinsamer Sprache erklären sich durch die Situation.

Der Anteil der Sprache an der Kommunikation mit anderen ist nur ein Teil, Körpersprache und Gesten, Gesichtsausdruck und Lautstärke unterstreichen oder erklären unsere Worte, wir können die Gesprächspartner riechen und fühlen, sie uns ebenso.

Daher ist z. B. auf einen Wochenmarkt einkaufen gehen ein sinnliches Erlebnis. Es schenkt uns, so wir offen sind, Austausch mit anderen Menschen, optische und geruchliche Eindrücke, Anregungen für den häuslichen Speiseplan und wir erfahren etwas über den Ort, an dem wir uns befinden. Eine wichtige Gelegenheit auch, sich selbst als Teil der Einwohnerschaft im Wohnort wahrzunehmen. Dies gilt ebenso für die Einzelhandelsgeschäfte vor Ort, in denen noch Personal Kundenservice bietet. Und wenn die gleichen Waren im Internet bestellt werden? Es mag rationeller sein, um einzukaufen, man braucht eventuell nicht in den Regen gehen, "spart" vielleicht sogar Zeit. Aber was ist das Bild einer Birne gegen deren Duft? Bringt es nicht mehr Freude, die Äpfel vom Bauern seines Vertrauens zu kaufen, als irgendwelche mit gleichem Sortennamen? Im Internet sind wir, aller „sozialen Netzwerke" zum Trotz, nur mit uns selbst konfrontiert.

Unsere Kommunikation mit anderen im Netz ist oft eine kurzfristige Reaktion, mit Wortkürzeln reduzierte, zeitsparend getippte Halbsätze, missverständlich und häufig gedankenlos. Das Netz schirmt uns bei intensiver Nutzung ab von der Realität unseres Wohnortes, von den Geschäften des täglichen Bedarfs und den Menschen dort. Wir gehorchen den Befehlen einer Maschine, um unsere Bestellung abzuschließen. Tippfehler oder falsche Mausklicks wirken sich unter Umständen weit schlimmer aus, als es ein Versprecher je könnte. Bei diesem Einkauf fehlt ein Mensch mit Gesicht uns gegenüber, der mit uns in Verbindung tritt. Auf dem Markt wird sogar immer mit Bargeld gezahlt, niemand kann mitkassieren ohne unser Zutun.

Das Internet stellt eine andere Art von Realität dar, die manchmal mit dem Alltag verwechselt wird.

In der Süddeutschen Zeitung, im Magazin von Heft 12/20013, gab es einen Essay zum zehnjährigen Jubiläum von Skype (einem Internetdienst, mit dem man mit Bild telefonieren kann). Dort war zu lesen: „ Das Videotelefon schafft die Illusion der Anwesenheit und hat die räumliche Trennung zwischen Liebenden zweifellos erträglicher gemacht. Aber die Distanz, die bleibt, ist immer spürbar - am deutlichsten vielleicht an einer kleinen Verschiebung.

Denn es ist beim Skypen nicht möglich, einander anzublicken. Wenn man dem Gesicht auf dem Bildschirm in die Augen sieht, glaubt der andere, man schaue leicht nach unten, weil die Kamera am oberen Rand des Bildschirm installiert ist. .. Dank Skype können wir uns nahe sein, ... aber wir schauen fortwährend aneinander vorbei."

Fehlender Umgang mit Menschen macht uns zu sozialen Analphabeten, der Hirnforscher Manfred Spitzer spricht sogar von digitaler Demenz. Er sagt, sein Computer sei seit seinem Kauf keinen Deut besser geworden, aber unser Gehirn werde dadurch besser, dass wir es benutzen. Nach seinen Forschungen gibt es einen Zusammenhang zwischen der Nutzung der Medien (nicht die berufliche Nutzung des PC!) und sozialer Inkompetenz. Es ist eben nicht gleich, ob ich Wörter in eine Tastatur tippe oder sie einem Gegenüber sage, weder für mich, noch für mein Gegenüber. Kaiser Friedrich II wird folgendes makabere Experiment aus dem Jahr 1211 zugeschrieben: Er erbaute ein Kinderheim, stellte bestes Personal und Verpflegung bereit und brachte sieben verwaiste Kinder dorthin. Alle Kinder erhielten die bestmögliche Versorgung - jedoch gab es eine Einschränkung: Niemand durfte mit den Kindern sprechen, bei keiner Gelegenheit, keinen Kontakt mit liebevollen Gesten, keine Hinwendung zu den Kindern durfte es geben.

Ziel dieses absurden Experimentes war zu erforschen, ob Kinder einer bestimmten nationalen Herkunft auch ohne muttersprachliche Anregungen von sich aus die Muttersprache erlernen würden. Das Ergebnis war, dass alle Kinder innerhalb von wenigen Monaten starben. Sie verkümmerten wegen mangelnder Zuwendung.

Der Stauferfürst Friedrich schrieb dazu: »Sie vermochten nicht zu leben ohne das Händepatschen und das fröhliche Gesichter schneiden und die Koseworte ihrer Ammen.« Ich denke, dieses Beispiel zeigt deutlich, wie sehr wir als Menschen soziale Wesen sind, wir sind darauf angewiesen, Austausch mit MitMenschen zu haben, in jedem Alter. Lieber sind mir ein paar Menschen, mit denen ich alt werden kann, wie es in der Eifel heißt, als tausend Freunde bei Facebook. Die gehen auch nicht mit mir ins Cafe, die lachen nicht in Echtzeit mit mir, bieten keinen Raum für Trauer. Und sie bringen mich auch nicht weiter in der Erfahrung, anderen eine Freundin zu sein. Sie brauchen nur Strom und Lebenszeit zum Tippen!