Gedankenschranken

Klara Drockur, Daun

Im Oktober 2014 feierte die Kreisbibliothek des Landkreises Vulkaneifel ihr 25-jähriges Jubiläum. In diesem Zusammenhang nahmen Schülerinnen und Schüler der beiden Dauner Gymnasien an einem mehrtägigen Slam-Workshop mit Slam Poetin Svenja Gräfen teil. Die dort entstandenen Texte wurden von den Schülerinnen und Schülern bei der großen Jubiläumsveranstaltung im Dauner Forum vorgetragen. Einer der bei diesem Workshop entstandenen Texte ist hier nun exemplarisch abgedruckt.

Ich sitze im Zug. Ich ziehe meine Schuhe und meine Jacke aus, lehne mich im großen, gemütlichen Sitz zurück und schaue hinaus. Bäume, Pflanzen, Häuser, Autos und Motorräder, all das, zieht an mir vorbei. Hin und wieder auch ein Fahrrad und da sind Menschen, die durcheinanderwuseln und gehetzt die Straßen entlang laufen; müde, rastlos, sie sehen unzufrieden aus.

Doch mich, mich stört das nicht. Ich sitze im Zug und genieße es, einfach nochmal Zeit für mich zu haben. Wohin der Zug fährt weiß ich nicht, aber das ist mir genauso egal wie die Tatsache, dass daheim ein Haufen Arbeit auf mich wartet.

Mir ist einfach alles egal, der Fleck auf der neuen Bluse-egal! Die fünf in der Geschiklausur-egal! Die kaputte Vase-ach, egal! Das verlorene Fußballspiel-egal! Meine Lieblingskekse sind leer-egal! Mein bester Freund antwortet mir nicht mehr- auch egal! Mein Lohn wurde gekürzt-egal! Egal, egal, egal I don't care, I love it! I don't care, I love it, I love it,it!

Ich liebe dieses Gefühl, einfach an nichts denken zu müssen! Ich kann mich einfach zurücklehnen, relaxen, einfach nichts tun und mich sanft durch die Gegend schuckeln lassen... EIN TRAUM für alle, die nochmal Zeit zum Abschalten, zum NICHTSTUN und AN-NICHTS-DENKEN brauchen.

Wir leben viel zu gehetzt, gestresst, sind müde, rastlos, ausgelaugt, unzufrieden. Wir wollen immer mehr, immer schneller, höher, weiter, wollen immer mehr erreichen. Doch wir stecken uns zu hohe Ziele, muten uns zu viel zu, haben kaum noch Zeit zum Durchatmen, zum Verschnaufen.

Wir wollen diesem Teufelskreis entfliehen, doch wir sind gefangen im Strudel der Zeit, in Hektik, Stress und Rastlosigkeit. Und hinzu kommt noch dieser Druck, der Druck, PERFEKT sein zu müssen; genug zu leisten, zu arbeiten, fit und sportlich zu sein, schön auszusehen. Der Druck, beliebt, sympathisch und stets gut gelaunt sein zu müssen. Denn wer nichts tut, wird verpöhnt, verspottet und verachtet. Und da niemand so enden will, rackert und müht sich jeder ab, klar, denn jeder will das „perfekte" role model mit dem „perfekten" Leben sein.

Doch was heißt schon „perfekt"? PERFEKT- und so schmerzlich diese Erkenntnis jetzt für manche sein magdas gibt es nicht, schlicht und einfach, Punkt, Ende der Durchsage.

Wozu also dieser ganze Stress? Wozu dieser Druck, etwas erreichen zu wollen, das gar nicht existiert? Mal ehrlich, das macht doch keinen Spaß, dieses Streben nach irgendwelchen hirnrissigen Idealen! Sich vorschreiben lassen zu müssen, SO hast du auszusehen. DIESE Verhaltensmuster musst du an den Tag legen und DAS musst du leisten, sonst bist du ein NIEMAND!

Völlig verrückt das Ganze, total WAHNSINNIG!! Ein Riesenfehler in unserer heutigen Gesellschaft!! Es ist irre; was der eine macht, macht der andere und ein weiterer und noch ein weiterer und RUCKZUCK machen es alle!

Und da soll mal einer sagen, wir seien unabhängig und hätten einen freien Willen. Wo bitte ist denn da unsere Entscheidungsfreiheit?!? Wir werden doch ständig von Medien, Trends, Idealen, unseren Mitmenschen beeinflusst und viel zu oft merken wir das schon gar nicht mehr.

In unseren Köpfen aber existiert immer noch die Vorstellung, dass WIR GANZ ALLEINE entscheiden, was wir wann, wo und wie machen wollen. Doch jetzt mal ehrlich: Wollten Sie wirklich diesen kratzigen, blauen Wollpullover kaufen, obwohl Sie sich eher unwohl darin fühlten? Oder haben Sie ihn nur gekauft, weil die Verkäuferin meinte, er würde Ihrer Figur schmeicheln und vermeintliche Problemzonen super kaschieren?

Oder Sie, sind Sie wirklich der Meinung, dass Ihr Büro einen neuen Anstrich brauchte oder denken Sie das nur, weil ihre neue Kollegin - die Sie einfach umwerfend finden-das gesagt hat?

Sind wir wirklich noch Herr unserer Entscheidungen? Sind es wirklich wir selbst, die Entscheidungen treffen oder ist unser freier Wille bloß eine Illusion? Können wir überhaupt noch eigene Entscheidungen treffen? Dürfen wir eine eigene Meinung haben? Dürfen wir unser Leben tatsächlich selbst bestimmen? Haben wir die Freiheit, unser Leben selbst zu gestalten und so zu leben, wie nur wir es wollen, ohne äußere Einflüsse, vollkommen frei und unabhängig?

Wann durfte ich denn das letzte Mal wirklich selbst entscheiden, was ich tue? Wann war das? Moment, durfte ich es denn jemals? Und warum stehe ich überhaupt hier? Warum trage ich diesen Text vor? War das wirklich meine Entscheidung? Habe ich mich wirklich selbst dazu entschlossen? War das wirklich ganz allein meine Entscheidung, mein freier Wille? Wollte ich das? Wann habe ich das entschieden und wo? Was hat mich dazu bewegt? War ich allein, als ich das entschieden habe?

HALT! STOP!!! Habe ich mir nicht vorgenommen, heute einfach mal an nichts zu denken?

Sagen wir, ich hab es versucht.. Hat wohl nicht geklappt, hm, doof..

Von „Ich sitze im Zug" über Autos, die leere Keksdose und „mir ist alles egal" zu den täglichen Problemen unserer Gesellschaft, WAHNSINN!

Ich versuche es erneut. Ich rutsche im Sitz zurück, sodass ich nun mit dem Rücken auf der Sitzfläche liege und schaue hinaus. KONZENTRIEREN, an NICHTS denken, das kann doch wohl nicht so schwer sein!!

Ich folge der Strecke, die der Zug fährt; durch Wald und Wiesen, über Brücken, an Flüssen vorbei, durch einen Tunnel.. ALLES SCHWARZ, LICHT AM ENDE DES TUNNELSSO muss Sterben sein, genau SO! Ich denke schon wieder...

Jetzt fährt der Zug durch ein kleines Dorf, ganz gemütlich fährt er dahin und ich mit ihm. In der Ferne ein Bahnübergang, Autos, die darauf zufahren, anhalten und warten. ...Und es schließt sich die Schranke. DANKE!