Das Leben auf einem „Kriemelhof"

(Kriemel = Krümel)

Gisela Bender, Deudesfeld

Unter diese Bezeichnung fallen die Bauernhöfe in der Größenordnung von 40 bis 70 Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche. In ihren Ställen stehen etwa 30 bis 60 Kühe, dazu der entsprechende Nachwuchs. Was hat man ihnen in den vergangenen Jahren von der Politik nicht alles aufgebürdet! Hunderte von Verordnungen und Reglementierungen. Eine Subvention nach der anderen wurde angeschoben, die nicht den kleinen und mittleren Familienbetrieben halfen, sondern die Großen immer noch größer machten. Selbst der Berufsverband wurde nicht müde immer wieder den gleichen Slogan „wachsen oder weichen" zu wiederholen. Nicht jeder wollte in diese großen Schuhe steigen. Tausende dieser Familienbetriebe haben längst aufgegeben, nicht weil sie schlecht gewirtschaftet hatten, sondern weil die Agrarpolitik es so wollte. In absehbarer Zeit wird man ihresgleichen gezielt suchen müssen, ihre Spur verliert sich. Diese Menschen haben in Generationen so viel für die Gesellschaft, vor allem für die Landschaftspflege getan. Aus diesem Anlass möchte ich das unmittelbare Leben auf einem dieser Höfe aufzeichnen, solange dies noch möglich ist. Beginnen möchte ich mit einem Zitat aus Goethes „Freies Geistesleben": „Das ausgesprochene Wort ist sogleich tot, das geschriebene hat den Vorteil, dass es dauert und die Zeit abwarten kann, wo ihm zu wirken gegönnt ist". Dieser große deutsche Dichter und Naturwissenschaftler - lebte er heute, dann wäre er, da bin ich mir sicher, auf Seiten der „Kriemelbau-ern". Der Tag beginnt um 5.30 Uhr jeden Morgen für die beiden Altenteiler und den 48-jährigen Sohn. Jeder hat seinen Aufgabenbereich. An diesem Morgen will die Altbäuerin erst einen Blick in den Laufstall mit den Trockenstellern werfen. Das sind ein paar Kühe, die in nächster Zeit kalben sollen. Alles scheint friedlich zu sein, doch dann sieht sie, dass eine Kuh ganz flach ausgestreckt da liegt und mit den Hinterbeinen schlägt. Sofort weiß sie, hier tut Hilfe Not, sie ruft die beiden Männer und treibt sie zur Eile. So schnell die Hilfe auch da ist, sie kommen zu spät, die Kuh ist tot. Mit hängenden Köpfen stehen alle drei da, die Altenteiler mit ihrer Jahrzehnten langen Erfahrung und der Jungbauer mit seiner jahrelangen Ausbildung, dem Meisterbrief und mittlerweile auch schon jahrelanger Praxiserfahrung. Für diese drei Menschen ist ein Stück aus dem Familienbereich herausgebrochen. Es muss weitergehen, ist der Schaden auch groß. Die Kuh ist weg, das Kalb, das in zwei Wochen zur Welt hätte kommen sollen, ist weg; zudem ist auch die Milch dieser Kuh weg. Annalena, die dort liegt, ist die älteste Kuh im Betrieb gewesen. Dreizehn Jahre war sie und sie hätte bald eine Lebensleistung von 100.000 Liter Milch zusammen gehabt. Annalena wird diese drei Menschen noch lange beschäftigen. Es ist Donnerstag, der 24. Mai. Der Bauer hat mit dem Lohnunternehmer ausgemacht, dass sie Sonntagnachmittag Grassilage einfahren werden. Deshalb hat er angefangen zu mähen. Die Silage ist für die Milchwirtschaft ein wichtiger Faktor, deshalb sind das Bearbeiten und das Einbringen zum richtigen Zeitpunkt das A und O. Nur mit einer guten Silagequalität stimmen im Herbst und Winter die Inhaltsstoffe wie Eiweiß und Fett in der Milch. Außerdem beeinflussen Eiweiß und Fett die Preisfindung bei der Molkerei. Für den Außenstehenden ist es wohl schwer begreiflich: Auch dieser kleine, in der Abgeschiedenheit gelegene Hof produziert für den globalen Weltmarkt. Man kann sich fragen, wie lange die drei vom „Kriemelhof' diesen Marktbedingungen noch Stand halten können. Es gibt auch viele schöne Erlebnisse auf diesem Hof. Die Rinder, die man selbst groß gezogen hat, kalben und stocken den Kuhbestand wieder auf. Bei der monatlichen Milchkontrolle des LKV (Landeskontrollverband) hatte der Betrieb zehn Kühe mit je 40 Liter Milch, und die gaben sie freiwillig, ohne dass sie mit Kraftfutter gedrillt waren. Jedes Frühjahr finden sich wieder die Zugvögel ein, und voller Freude über ihren vielstimmigen Gesang bleibt man unwillkürlich stehen und lauscht. Nein, nichts auf der Welt kann einem mehr bieten. Weil sie nicht gegen den Strom schwimmen wollen, machen sie mit, die Molkerei zu wechseln. Große Erwartungen wurden geweckt, aber sie wurden enttäuscht. Die Standards für die Qualität der Milch werden ständig höher geschraubt, der Auszahlungspreis jedoch nicht. Im Berufsstand wird viel palavert, schließlich gehen die Bauern auf die Straße. Daraus erwächst eine Protestbewegung, es entsteht der B D M (Bund der deutschen Milcherzeuger). Sie fordern einen fairen Preis von 40 Cent pro Liter Milch. Eine Zeitlang sieht das ganz vielversprechend aus. Dann verliert der B D M seine Einflussnahme, zu wenige Bauern machen mit. Erneut betritt eine neue Molkerei die Bühne, ein Großkonzern. Auch hier wird sich zeigen, genau wie bei den Bauern auch, ob die Größe das Maß aller Dinge bleibt. Inzwischen ist es wieder Frühjahr geworden, wieder steht das Silo machen an. Weil der Lohnunternehmer sich immer wieder nicht an die vereinbarte Zeit hielt, kommt in diesem Jahr ein neues Team. Aber auch hier muss der Bauer erkennen, dass er immer wieder nach hinten geschoben wird. Wäre das Wetter beständiger, dann wäre die Angelegenheit nicht so nervenaufreibend. Ärgerlich trumpft der Bauer beim Chef des Lohnunternehmens auf, dieser beschwichtigt ihn: „Nau, maach ehs lahngsam, dau matt deiner Kriemei!" Dieser Ausspruch inspirierte mich zur Namensfin-dung des Hofes. Der Bauer sieht den Mann an und sagt: „Wir vom Kriemelhof freuen uns an unserer Leistung, so bescheiden sie auch sein mag! Im Übrigen hat es, solange die Welt besteht, immer Große und Kleine gegeben!"

Ihre Welt ist noch in Ordnung: Die Kühe auf dem Hof gehen von April bis November Tag und Nacht auf die Weide.