Ein sehnlicher Kinderwunsch

Marianne Schönberg, Jünkerath

Weihnachten stand an, es war das letzte Kriegsjahr und zu Nikolaus gab's keine Lebkuchen, keine Nüsse - wir lebten in der Großstadt. Meine Mutter hatte einen Apfel irgendwo erstanden, eine rote Kerze und Wolle. Die brauchten wir in der Schule im Handarbeitsunterricht. Wenn ein Stück vom Bezugsschein für Textilien abgegeben wurde, bekam man das gewünschte Strickgarn. Die Farbe? Da stand zur Wahl dunkelgrau und braun. So gerne hätte ich rot gehabt, oder grün oder blau - nichts! Also versuchten wir Mädchen uns unisono in Deckfarben, Das machte überhaupt keinen Spaß. Außerdem kratzte die Wolle, wer weiß, was da alles eingesponnen war. Nun sollten wir davon Weihnachtsgeschenke für die Eltern stricken. Beliebt waren Fausthandschuhe, die hatten nur einen Finger, eben den Daumen. In die Oberseite konnte man Muster einarbeiten, das machte ein wenig Freude. Jede wollte etwas anderes haben, kleine Rauten, Zöpfchen, Waffelmuster oder einfach Perlmuster ... Kreativität war gefragt. Weihnachten kam immer näher. Die Tage waren grau, nichts Buntes in den Deko-Ab-teilungen der Kaufhäuser, keine Musik auf den Straßen, nur spärliche Angebote in den Geschäften. Briefpapier gab's in farbigen Mappen, Kleidungsstücke in begrenzter Zahl und eben nur gegen Bezugsschein oder Kleidermarken zu kaufen, Schuhe waren Mangelware, an Stiefel dachte man nur im Traum. Wer einen kleinen Garten hatte - Schrebergärten gab's in den Städten - hielt sich Kaninchen. Deren Fell brachte dem Besitzer wunderschöne Möglichkeiten - daraus fertigten findige Kürschner Kappen, Muffs, Pelzkragen.... das war was! In unserer Nachbarstraße war ein Buchladen. Ich musste fast täglich dran vorbei und schaute ins Fenster, immer wieder und in Erwartung des Besonderen - und es kam: Ein Buch mit blauem Einband, Feen und Blumen, Sterne und Pflanzen zierten ihn ...Andersens Märchensammlung. Das tat mir so gut und ich sagte Mutter, dies, nur dies wünsch ich mir zu Weihnachten. Sie sagte nicht ja und nicht nein, wollte sich das mal überlegen, und meine Angst wuchs. Nachts träumte ich vom BUCH, tags drauf war es aus dem Schaufenster verschwunden. Da wird die Kinderseele grau, keine Schneeflocke kam dagegen an: „Nichts gibt's mehr zu wünschen. MEIN BUCH ist verkauft, für mich unwiederbringlich verloren!" Dann Weihnachten, der Heilige Abend, wir gingen zum Christbaum - Mutter, Vater, Oma und ich. Kerzen leuchteten, Fondantplätzchen (frz. „schmelzend", Bezeichnung für eine weiche, pastöse Zuckermasse) schmückten die kleine Tanne und darunter lagen die Geschenke. Da war etwas in Blau, mit Bildern der Feen, Blumen ... DAS Märchenbuch! Freude? Freudentränen. Das hatte ich nicht erwartet! Weihnachten und SO EIN GESCHENK!