„Die Mühle ist mein Leben"

Nikolaus Sungen von der Bleckhausener Mühle erinnert sich

Peter Fricke / Siegfried Czernohorsky, Daun

„Kaffee ist fertig!" - so die feste, fast befehlende Stimme von Nikolaus - „Klaus" - Sungen, dem es schwer fällt, die Gäste in seiner Pension zu bedienen und sie deshalb zu etwas Mithilfe auffordert, vor allem im Sommer, wenn die Gäste in der Sonne auf der Terrasse sitzen. Er hat auf Selbstbedienung umgestellt. Auch mit seinen inzwischen 86 Jahren lässt er es sich nicht nehmen, Kaffee und Kuchen oder die Brotzeiten selbst zu machen und die Pension zu führen. In der Woche ist es in seiner Pension mit 7 Zimmern eher ruhig. Gäste kehren vor allem am Wochenende auf der Wanderung durch das malerische Tal der Kleinen Kyll zwischen Schutz und Manderscheid auf dem Planetenradweg bei ihm ein. „Wanderer kehren ein, Radfahrer schauen nur auf den Boden und fahren vorbei", so Klaus Sungen.

Nikolaus Sungen empfängt Wanderer und Radfahrer, Foto: Nikolaus Sungen

Wie alles begann

Nikolaus Sungen wurde am 25. November 1928 in der Bleckhausener Mühle1 an der Kleinen Kyll geboren, als siebtes Kind von insgesamt 14 Kindern, 10 Jungen und 4 Mädchen, von denen heute noch 8 leben. Es war ein frostiger Novembertag. Das Leben war mehr als karg in dem kleinen Haus ohne fließendes Wasser. Sieben Kinder lebten in einem Zimmer, waschen mussten sie sich im Bach, auch im Winter. Die Schule in Bleckhausen war ca. 3/4 Stunde Fußmarsch entfernt, bergauf durch den Wald - auch bei Eis und Schnee. Die Familie ernährte sich von den bescheidenen Einnahmen der Mühle und dem, was den kargen Äckern im Tal abgerungen wurde. Damit die Mühle auch im Winter betrieben werden konnte, musste bei Frost laufend das Eis auf der Wasserrinne aufgehackt werden. Die Kinder mussten mitarbeiten, damit es für alle zu essen gab. Gegessen wurde mit der ganzen Familie - an einem langen Tisch, oft Pellkartoffeln mit Zwiebelsoße. Zu Weihnachten gab es nur kleine Geschenke wie einen Griffel für die Schultafel, sein Vater spielte Violine, einer seiner Brüder Ziehharmonika. Und dennoch war es eine schöne Zeit: „Angst und Geld haben wir nie gekannt."

Der Einschnitt - NS-Zeit und 2. Weltkrieg

Doch die NS-Zeit und der Krieg setzten der kleinen Idylle im Tal ein Ende. Nach Hitlerjugend und Reichsarbeitsdienst wurde Klaus Sungen - damals 16 Jahre - doch noch am 3. Januar 1945 eingezogen. Nach Einsätzen in Hunsrück, Westerwald, Thüringen und Berlin geriet er „zum Glück" in amerikanische Gefangenschaft. Am 30. November 1945 gelang ihm die Flucht mit Hilfe seiner Schwester, die ihn mit Zivilkleidung versorgte, sodass er nach langer Zugfahrt - zum Glück unerkannt - wieder seine Eifelheimat erreichte. Inzwischen war einer seiner Brüder auf eine Mine getreten und dabei getötet worden, ein weiterer gefallen.

Es geht wieder aufwärts

Das kleine Gebäude der Mühle war der Familie zu eng geworden. So wurde 1948 daneben das Haus gebaut, in dem sich noch heute die Pension befindet. Nach dem Tod seines Vaters (1957) und seiner Mutter (1958) führte er den Mühlenbetrieb alleine weiter. Das Glück seines Lebens fand er mit seiner Frau Maria (geb. am 14. Juni 1928). Er habe sie „mit Liebe geholt", drei Jahre sei er nach Pantenburg „freien gegangen". Mit seiner tüchtigen Frau eröffnete er dann die Pension im Jahr 1958. Den Mühlenbetrieb, der sich kaum noch lohnte, stellte er nach einem Unwetter und Hochwasser am 1. Mai 1959, das einen Teil der veralteten Mühleneinrichtung zerstörte, ein. Seit 1904 hatte sich die Mühle in Familienbesitz befunden. Die Versuche, die alte Mühle unter Denkmalschutz zu stellen und touristisch zu nutzen, scheiterten - auch aus finanziellen Gründen. Daher steht das Mühlengebäude bis heute leer. Die Pension wurde 1992 um einen Anbau und 2011 um einen Wintergarten erweitert. Um das bescheidene Einkommen aus der kleinen Pension und der Landwirtschaft zu ergänzen, „rückte" er mit seinen Pferden zunächst Holz im Wald. Mit viel Glück überstand er einen Unfall mit einigen Quetschungen an den Beinen, als er von Baumstämmen eingeklemmt wurde. Ab 1965 war er dann als Waldarbeiter tätig, bis er mit 61 Jahren aus gesundheitlichen Gründen pensioniert wurde.

Die Mühle - sein Leben

Seine idyllische Heimat an der Kleinen Kyll hat Klaus Sungen nie verlassen. Urlaub oder Reisen in die weite Welt sind ihm fremd. „Ich bin Naturmensch und immer zufrieden. Denn da, wo ich wohne, ist es am schönsten!" Luxus braucht er nicht: „Das Feuer im Ofen ist mein Fernseher. Wenn es ausgeht, gehe ich ins Bett." Die Mühle ist sein Leben. Einen kleinen Ortswechsel brachte nur die jährliche Pilgerwanderung. 54 Jahre lang führte er als stimmgewaltiger „Brudermeister" - Vorbeter mit Stab - die Pilgergruppe von ca. 80 - 120 Personen über die 40 Kilometer von Bleckhausen nach Klausen. Seit dem Tod seiner Frau vor drei Jahren lebt er allein. Seine Kinder helfen beim Pensionsbetrieb. Sein Sohn, der in einem Haus neben ihm wohnt, hat die Landwirtschaft - im Nebenerwerb - übernommen. Besondere Freude macht es ihm, dass viele Stammkunden aus der näheren Umgebung, aber auch aus Mayen, Bitburg, Wittlich und Trier ihm die Treue halten. Für ihn gehören die Gäste zu seiner Familie. „Kommt doch wie immer, wir sind eine feine Familie, meine Frauen, meine Kinder und ich!" „Der Nikla, die Mühle, das Tal, das ist eine Pracht, das alles hat der liebe Gott gemacht", so reimte eine Wandergruppe aus Hambuch bei Kaisersesch. Sorgen um die Zukunft macht er sich daher nicht. Vielleicht übernimmt einmal einer seiner Enkel den Betrieb? Aber das steht heute noch nicht an. Auch wenn plötzlich 30 Gäste vor der Tür stehen, bringt ihn das nicht aus der Ruhe. Dann serviert er seinen selbst gebackenen „Streusel mit Apfel oder Apfel mit Streusel" oder seinen Kirschkuchen und die Gäste bedienen sich selbst. Sein herzliches, verschmitztes Lachen ist dann bis auf die Terrasse zu hören und wenn man genau hinhört, verrät es seinem Gegenüber: „Genieße ganz einfach den Tag!".

Die alte Bleckhausener Mühle heute

Anmerkung
1 Zur Geschichte der Mühle: Friedbert Wißkirchen, Bleckhausener Mühle, Brände und wirre Eigentumsverhältnisse, Heimatjahrbuch Vulkaneifel 2001, S. 144 ff.