Fremdarbeiterinnen im „Schlossbrunnen Gerolstein" in Pelm

Thea und Wolfgang Merkelbach, Pelm

Da die meisten arbeitsfähigen Männer im Kriegseinsatz waren, fehlten überall in der Heimat Arbeitskräfte. Kriegsgefangene, junge Männer - fast noch Kinder - und junge Frauen aus den besetzten Gebieten wurden nach Deutschland gebracht und in Fabriken, handwerklichen Betrieben und in der Landwirtschaft eingesetzt. Anfangs kamen sie als Fremdarbeiter freiwillig, später wurden sie zur Arbeit in Deutschland gezwungen. Serbische Arbeiter ,wohnten' in der alten Pelmer Schule, ukrainische in einem Lager am Berghang oberhalb des Lokschuppens. Sie erhielten eine geringe Entlohnung. Davon kauften sie ihr Bier in der Bierhandlung Schmitt in Pelm, woran Katharina Lamberty, geb. Schmitt, sich noch erinnern kann. Wo heute die B 410 durch Pelm führt, befand sich damals ein großes Lager, das anfangs für deutsche Soldaten, dann für Kriegsgefangene und zum Kriegsende für jugendliche Zwangsarbeiter genutzt wurde. Die letzteren wurden

zum Schanzen eingesetzt, wie in dem Bericht von Heinrich Ferleyko aus Polen im Heimatjahrbuch 2014 zu lesen ist. Die Gefangenen im Pelmer Lager wurden morgens zur Arbeit bis nach Rockeskyll in die handwerklichen und landwirtschaftlichen Betriebe geführt und abends wieder abgeholt. Wie eine Kopie vom Sonderstab Kaschner aus dem Bundesarchiv belegt, waren im Pelmer Lager am 18.2.45 noch insgesamt 250 Mann, dazu 550 ausl. Hiwi. untergebracht, die Panzersperren für die Pz. Sperrliniel errichten mussten.

In Gerolstein diente die Drahtfabrik als Gefangenenlager. Auf einer Karte des Gerolsteiner Bahnhofes von 1944 ist ebenfalls ein Gefangenenlager eingezeichnet. Gegenüber dem Friedhof in der Sarresdorfer Straße stand in Richtung der Berufsschule eine Baracke für politische weibliche Gefangene. Als diese durch eine Bombe zerstört wurde, verlegte man die Frauen in den Gerolsteiner Sprudel, wo sie unter der strengen Aufsicht einer Frau M. aus Dreis arbeiteten. Diese politischen Gefangenen unterstanden dem Gefängnis Wittlich mit der Außenstelle Flußbach.

Im Heft fünf „Um Munterley und Löwenburg" von P. J. Böffgen heißt es auf Seite 47 über den Gerolsteiner Sprudel: 1938, Dem Mangel an Arbeitskräften konnte man dadurch begegnen, dass man ein weibliches Arbeitskommando im Werksgelände unterbrachte. Die Kontrolle übten Aufseherinnen aus Wittlich aus.

Auch am Heiligenstein soll ein Lager gestanden haben, wie Zeitzeugen berichten. Morgens wurden die Bewohner von den klappernden Holzpantinen der Insassen geweckt, die zum Arbeiten in die Sprudelbetriebe marschierten.

Die Fremdarbeiterinnen im „Gerolsteiner Schloßbrunnen"

Dr. Joseph Dehottay, der Besitzer des Brunnens, schrieb am 25.6.1942 an die Gewerbeaufsicht in Trier: Die ukrainischen Arbeiterinnen wurden unserer Firma zugewiesen, weil wir Frontheeraufträge erhalten und unsere Firma für die Belieferung der Wehrmacht bestimmt ist. Der Zugang dieser Arbeitskräf- te erhöht unsere Produktion und damit die Versorgung der Front um ein mehrfaches. Für die Zuweisung von Kleidung und Lebensmittel für die Arbeiterinnen musste alle 14 Tage ein Formular für die „Bedarfsanmeldung" ausgefüllt werden. So beantragte der Brunnen z.B. beim Ernährungsamt, Abt. B, im Dauner Landratsamt für den 15.6. bis 28.6.1942:
4 kg, 200 g Nährmittel und 3 kg, 100 g Zucker, vom 27.7. bis 9.8.1942: 5 kg, 500 g Margarine, vom 14.8. bis 6.9.1942: 11 kg und 200 g Fleisch, vom 25.9. bis 15.11.1942: 400 kg Speisekartoffeln

Das Ernährungsamt, Abt. B, im Landratsamt Daun stellte für diese Anträge Bezugsscheine aus. Am 20. August legte Dr. Dehottay einem solchen Antrag folgendes Schreiben bei: In der Anlage empfangen Sie unsere Lebensmittelbedarfsanmeldung für die bei uns beschäftigten Ukrainerinnen für die Zeit vom 24.8. bis 6.9.1942 und bitten Sie uns die entsprechenden Bezugsscheine freundlichst zugehen lassen zu wollen. Heil Hitler

SCHLOSSBRUNNEN GEROLSTEIN K. G. Jos. Dehottay

Dr. Dehottays Bemühungen um größere Essenszuteilungen

Monatlich erhielt der Schlossbrunnen vom Oberpräsidenten der Rheinprovinz von dem Provinzial-Ernährungsamt = Abt. B mehrseitige Formulare für die Essenszuteilungen. Dabei wurde unterschieden in
I. Groß-Krankenreviere von Arbeitergemeinschaftslagern
II. Verpflegungssätze von Kriegsgefangenen, die aus der Wehrmachtsverpflegung ausgeschieden sind
III. Lagerverpflegungssätze für sowjetische Arbeiter (Kriegsgefangene, Zivilarbeiter und Zivilarbeiterinnen in der Rüstungsindustrie u. gewerbl. Wirtschaft)
IV. Verpflegungssätze in der Landwirtschaft (einschl. Garten- und Weinbau)

Die Arbeiterinnen im Schlossbrunnen zählten zu Punkt III. Dabei wurde genau unterschieden in a) allgemein, b) Schwerarbeiter, c) Schwerstarbeiter, d) im Bergbau, e) Kinder. Die Bezeichnungen waren wichtig für die Menge der Zuteilungen an Lebensmittel. So erhielten in der Gruppe III die jeweiligen Unterabteilungen: für Fleisch a) 500g b) 800g c) 1000g d) 1200g und e) 250g jeweils für 14 Tage für Fett a) 260g b) 400g c) 520, d) 600g und e) 130g jeweils für 14 Tage.

Es wird genauestens auf die Einhaltung der vorgegebenen Mengen geachtet. Im Schreiben vom 19. April 1943 an den Schlossbrunnen heißt es, dass die zugeteilten Kartoffelrationen auf keinen Fall erhöht werden dürfen, da der „Kartoffelwirtschaftverband" auf eine allgemeine enge Vorratslage aufmerksam macht. Um seine Arbeiterinnen besser zu versorgen, bemüht sich Dr. Dehottay, möglichst alle Fremdarbeiterinnen in die Stufe der Schweroder noch besser Schwerstarbeiterinnen einstufen zu lassen. Er beantragt am 25.6.42 für neun Frauen den Schwerarbeiterstatus und für fünf die Einordnung als Schwerstarbeiterinnen. Schwere Lasten und Kisten müssen fortbewegt werden, schreibt er, da wir keine Transportbänder besitzen, die diese Tragarbeiten fortfallen lassen. Ausserdem arbeiten die Ukrainerinnen täglich 10 Stunden. Die Kisten mit Flaschen haben ein Gewicht von 25 - 30 kg. Für die fünf Ukrainerinnen von Nummer 10 bis 14 tritt hinzu, dass sie ausschliesslich für Vollguttransport und Stahlföschen (flaschen) des Kohlesäurewerks beschäftigt werden. Eine Kiste Vollgut wiegt je nach Grösse 40 bis 60 Kilo, das gleiche Gewicht ist für die Stahlflaschen je nach Grösse anzusetzen. Dehottay argumentiert weiter, dass bei den 20 bis 24 Jahre alten Mädchen bei einer schlechten Ernährung die Arbeitsleistung nicht erbracht werden könne, was nichts anderes als eine Schwächung unserer Produktion für die Front und für die Rüstungsindustrie zur Folge hat. Er kann daraufhin einen Teilerfolg verbuchen. Das ist aus einer Lebensmittelzuteilung von 1942 abzulesen, in der fünf Arbeiterinnen normal und acht als Schwerarbeiterinnen eingestuft sind. Man kann den Unterlagen entnehmen, dass die Zuteilungen sich oft änderten, d.h. verschlechterten und Dr. Dehottay sich immer wieder um bessere Einstufungen bemühte. So begründet er am 12. Mai 1944 seinen Antrag auf Höherstufung: ... weil wir Heeresaufträge erhalten haben und wir Lieferungen für die Rüstungsindustrie dauernd auszuführen haben. Ebenso werden Krankenhäuser und Lazarette durch unseren Vertreterstab beliefert. Für die Bekleidung der Arbeiterinnen erhält der Schlossbrunnen Altkleider zu festgesetzten Preisen. So ist dokumentiert, dass der Schlossbrunnen am 20.10.1942 von der Amtsbürgermeisterei Gerolstein, Abteilung Wirtschaftsamt, 2 Kleider zu je 6 Mark, 4 Jacken zu je 6 Mark, 4 Röcke zu je 3,50, 6 Blusen zu je 2,50, 1 Schlüpfer zu 1 Mark und 1 Pullover zu 7 Mark bezahlt hat. Auf anderen Listen ist aufgeführt, was jede einzelne Arbeiterin an Kleidung und Schuhen erhalten hat. So sind z. B. unter Anastasia Gramak 1 Jacke, 3 Blusen, 1 Kleid, 1 Mantel, 1 Hemdhose, 1 Schlüpfer, 1 P. Schuhe im Wert von insgesamt 48,90 Reichsmark aufgelistet. Die Zulieferer kommen aus Pelm, Gerolstein, Malmedy und Eupen. Aus Malmedy, Thalstraße, liefert Bäcker Karl Schmitz am 4. Juli '42 1,700 kg Roggenmehl und 8,900 kg Brotmehl. Michel Eis aus Pelm bringt am 27.7.42 3,200 kg Zucker und 4,200 kg Nährmittel. Aus Gerolstein erhält der Brunnen von der Obst-und Gemüsehandlung Frank(z) Fisch und Gemüse und vom Lebensmittelladen Merkelbach Margarine. Johann Kemper aus Eupen liefert am 3. Juli 1942 14 Paar Frauenholzschuhe, hohe, das Paar zu 1,65 Rmk. Vorher waren natürlich 14 Bezugsscheine per Einschreiben für Holzgaloschen in den Größen Nr. 35 - 39 geschickt worden. Bei den meist nassen Böden der Abfüll- und Spülanlagen sind Holzschuhe für trockene Füße sehr wichtig. Aus einem Schreiben von Dr. Dehottay geht hervor, dass die Zwangsarbeiterinnen auf dem Brunnengelände untergebracht waren. Er schreibt, dass sie sich ihr Essen unter der Leitung von Anna Schwatschko selbst Rechnung Schuhe zubereiteten. Agnes Klasen weiß zu berichten, dass manche von den Ukrainerinnen sonntags bei Bauern aushalfen und so durch geschenkte Lebensmittel, z.B. frisches Gemüse, ihren Speiseplan bereichern konnten. Karl Stritzke erinnert sich, dass die Ukrainerinnen an ihrer Kleidung ein Erkennungsabzeichen trugen. Dass die Arbeiterinnen auch Briefe schreiben dürfen, geht aus mehreren Listen mit Aufzählung der Briefzahlen und Portokosten hervor. So schreibt Lidia Neschewenko: 6 Br. a 0,25 = 1,50 RM, Maria Sirik 3 Br. a 0, 25 = 0,75 RM und Sofia Schwatschko 4 Br. a 0, 25 = 1,00 RM. Das Briefeschreiben wird durch die Lagerordnung genauestens geregelt.

Die Lagerordnung

Der Pelmer Wolfgang Weiser ist Lagerführer. Er muss den Behörden über den allgemeinen Zustand Bericht erstatten. Eine Kopie seines Berichts ist in den Unterlagen erhalten: Bauliche Veränderungen keine, Zustand befriedigend, Sauberkeit gut. Über die Stim- mung kann nicht geklagt werden, da wir nur junge Mädels haben, die die ihnen aufgetragenen Arbeiten willig verrichten. Die Freizeitgestaltung ist den Mädels überlassen, die recht lustig sind und sich gut vertragen und unterhalten... 2. XII 42 Das Lagerleben selbst ist durch die Lagerordnung genau geregelt. Ein rotes Plakat mit dem Titel „Lagerordnung für Ostarbeiter" hängt für alle sichtbar aus und ist in 21 Paragraphen in deutscher, russischer und ukrainischer Sprache verfasst.

Einige Auszüge draus:
1. Die Leitung des Lagers liegt in den Händen des deutschen Lagerführers.
2. Den Anordnungen des Lagerführers......ist unbedingt und sofort Folge zu leisten.
3. Der Lagerführer ernennt aus der Belegschaft für jede Stube Stubenordner und für das gesamte Lager den Lagerältesten......
4. Der Lagerälteste ist für Ruhe, Ordnung und Sauberkeit verantwortlich.
6. Das eigenmächtige Verlassen des Lagers ist strengstens verboten. Arbeitsverläufe, das Wecken, die Essensgabe, Bestrafung bei Verstößen: Alles wird genauestens geregelt.
14. Trotz des Krieges ist der Postverkehr mit der Heimat ermöglicht worden, so dass jeder an seine Angehörigen auf dem ordentlichen Postwege schreiben kann. ... Jeder Briefschreiber muß sich darüber klar sein, dass seine Mitteilungen der Wahrheit entsprechen müssen. Die ausgehende Post ist bei der Lagerführung abzugeben... Es soll nicht häufiger als zweimal im Monat geschrieben werden.
21. Verstöße gegen die vorgenannten Bestimmungen werden je nach der Schwere des Vergehens bestraft. Jeder Lagerinsasse, vor allem aber die Stubenbelegschaften, sind verpflichtet, beabsichtigte Verfehlungen einzelner Elemente, vor allem auch das unberechtigte Verlassen des Lagers, von vornherein zu verhindern oder zu unterbinden.

Mit der ärztlichen Betreuung der ausländischen Arbeiterinnen ist Dr. Lehnen aus Gerolstein betraut, wie aus einem Lagerbericht vom November 1942 hervorgeht. Die Krankschreibung der Arbeiterin Lidia Neschewenko wegen einer Handverletzung ist von Dr. H. Luy vom Krankenhaus Gerolstein unterschrieben. Auf dem gleichen Formular wird die Frage nach der Freizeitgestaltung wie folgt beantwortet: Volkstanz und Singstunde.

Von 1942 bis Ende 1944

 

Dmitrenko, Galina

19.10.22

Opanasow/ Bravarsky

Dushik, Maria

10.11.21

Opanasowka/ Bravarsky

Dushik, Wassilina

geb. 1920

„ ??????? „

Gontscharowa, Maria

10.4.23

Andrejewka/Stalino

Gramak, Anastasia

18.12.19

Senipolski/Bravarsky

Lisik, Motzena

27.11.24

Predslawski/Kiew

Neschewenko, Lidia

14.6.25

Zigemski/Kiew

Openasenow, Walia

12.5.26

Michaplon/Kiew

Osbapert, Anna

23.7.23

Senipolki/Bravarsky

Pantschenk (Paulschenko), Maria

5.12.21

„ ????? „

Pawlowska, Maria

geb. 1930

Sjemelinzy/ Kamanet, Podolsk

Peliptschuk, Emilia

11.2.25

Stamostroy/Kiew

Schwatschko, Anna

23.10.23

Senipolski/Bravarsky

Schwatschko, Sophia

2.10.23

Opanassow/ "

Sirik, Maria

27.11.24

Senipolski/ ????

Sztuder, Agnes

17.1.21

Rozdrazewo/Krotoschin

Tschajun, Alexndra

22.6.18

Senipolski/Bravarski

Tschernikowa, Faina

29.8.24

Taganrog

Wolodus, Maria

23.9.23

Woloschen/Kiew

Die Schreibweise der Namen variiert in den Unterlagen. Die meisten Arbeiterinnen stammen aus der Umgebung von Kiew. Aus den Unterlagen geht hervor, dass Anfang 1942 acht Ukrainerinnen, später 14 und im Juni/Juli 1944 nur noch 3 im Schlossbrunnen arbeiten und wohnen. Wie Willi Krings, Mitarbeiter der Jünkerather Gewerkschaft, berichtet, sind ab Mitte 1944 dort viele Ukrainerinnen zur Arbeit eingeteilt. Wahrscheinlich werden sie wegen der kriegswichtigen Bedeutung des Jünkerather Werkes dorthin verlegt.

Entschädigung für die Zwangsarbeiter?

Die Autoren, Thea und Wolfgang Merkelbach, haben versucht, zu erkunden, ob auch Zwangsarbeiterinnen vom Schlossbrunnen Entschädigungen der Stiftung „Erinnerung - Verantwortung - Zukunft", die am 6. Juli 2000 ins Leben gerufen wurde und insgesamt 4,3 Milliarden DM an die Überlebenden aus- gezahlt hat, erhalten haben. Nachforschungen bei der ukrainischen Botschaft in Berlin 2010, im Internetportal des Bundesarchivs (www. zwangsarbeit.eu) und bei der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Kiew brachten kein Ergebnis, vor allem deshalb weil wohl viele Frauen durch Heirat ihre Namen geändert hatten und die meisten Herkunftsorte nach dem 2. Weltkrieg teilweise mehrfach umbenannt worden waren. Zudem war zum Jahresende 2004 die Nachweisbeschaffung für ehemalige NS-Zwangsarbeiter/-innen eingestellt und im Juni 2007 das Auszahlungsprogramm der Stiftung beendet worden.

Quellen: Archiv: Gerolsteiner Brunnen, Nachlass Dr. Dehottay Bundesarchiv, Berlin Ukrainische Botschaft, Berlin Deutsche Botschaft Kiew Josef Böffgen: Um Munterley und Löwenburg, Heft 5, Hrsg. Stadt Gerolstein